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News: Alzheimer zerstört vertikale Strukturen im Gehirn

Ein neues Bild des Gehirns könnte den Schlüssel zum Verständnis der Alzheimerkrankheit bergen. Bestimmte vertikale Strukturen, auch Mikroröhren genannt, kommen in der Großhirnrinde eines jeden normalen Gehirns vor. In dem in Schichten angeordneten Gewebe dienen sie vermutlich der Verknüpfung neuronaler funktioneller Einheiten. Bei Alzheimer-Patienten sind diese Verbindungen jedoch unterbrochen.
"Diese Strukturen werden normalerweise im cerebralen Cortex – der Großhirnrinde – angetroffen, jenem aus sechs Schichten aufgebauten Bereich des menschlichen Gehirns. Sie kontrollieren die höheren Funktionen wie rationales Denken und Sprechen. Es könnte sein, dass sie den Schlüssel zum Verständnis und vielleicht zur Umkehr der Verwüstungen bedeuten, welche diese zerstörerische Krankheit anrichtet", sagt H. Eugene Stanley, der die wissenschaftliche Untersuchung betreute und Direktor des Center for Polymer Studies der Boston University ist.

Eine Arbeitsgruppe von Physikern arbeitete gemeinsam an Gewebeproben, die Bradley Hyman, Direktor der Alzheimer Forschungseinheit am Massachusetts General Hospital, zur Verfügung stellte. Sie entwickelten ein neues bildgebendes Verfahren, beruhend auf einem Ansatz aus der statistischen Physik, und konnten auf dieser Weise das Gehirngewebe analysieren und visualisieren. Sie verglichen Gewebe aus dem Gehirn von Patienten, die an Alzheimer und einer ähnlichen Störung, der Lewy body dementia (LBD) erkrankt waren, mit Material aus dem Gehirn einer Kontrollgruppe (Proceedings of the National Academy of Science vom 9. Mai 2000, Abstract).

Das neue bildgebende Verfahren zeigte Ketten aus elf Neuronen, die wie die Segmente einer Schlange untereinander verbunden sind. Sie verlaufen bei der Kontrollgruppe senkrecht durch alle Bedeutungsebenen, Schichten, des Großhirns. "Im Falle einer LBD-Erkrankung konnten wir nahezu keine einzige solcher Mikroröhren sehen", sagt der Hauptautor Sergey Buldyrev, "und bei Alzheimer-Patienten sind diese Röhren wesentlich kleiner und auch schwächer ausgeprägt als in denen unserer Kontrollgruppe."

Von diesen Mikroröhren wird seit einiger Zeit angenommen, dass sie eine Rolle für die Gehirnfunktionen spielen, aber es ist das erste Mal, dass sie quantifiziert und in normalem und erkranktem Gewebe verglichen werden können. Weiterhin deckt die Studie auf, dass die Abwesenheit von Mikroröhren direkt proportional zur Anzahl des fibrillären Gewirrs im Gehirn ist, nicht jedoch verbunden ist mit dem Ausmaß seniler Arteriosklerose. Das fibrilläre Gewirr und die Arteriosklerose sind die beiden Hauptveränderungen im cerebralen Gewebe, von denen Wissenschaftler heute annehmen, dass sie den Tod von Gehirnzellen bewirken, den wir als Alzheimer charakterisieren.

"Wir fanden, dass im Falle einer Alzheimer und LBD-Krankheit die Mikroröhrenorganisation unterbrochen ist – und dass diese Unterbrechung möglicherweise mit der kognitiven Beeinträchtigung in Verbindung steht", sagt Buldyrev. "Dieses Ergebnis passt auch zu der Tatsache, dass bei Alzheimer-Patienten nahezu die Hälfte der Neuronen absterben. Das lässt es uns als sehr wahrscheinlich betrachten, dass überhaupt jegliche Form der Organisation im Großhirn verloren geht. Bei LBD hingegen sind nur etwa zehn Prozent der Neuronen verloren – und dennoch erscheint es so, dass es eine dramatische Abwesenheit an Mikroröhren in diesem Gewebe gibt. Die Unterbrechung der mikroröhrenartigen Organisation im Großhirn ist überraschend und führt uns zu der Vermutung, dass der Verlust an vertikaler Organisation mit dem Rückgang der kognitiven Leistungen in dieser Krankheit gekoppelt ist."

Das bildgebende Verfahren beruht auf Methoden, welche auf dem Feld der statistischen Physik zum Studium von Flüssigkeiten und Kristallen entwickelt wurden. Es schließt die Entwicklung und Bestimmung einer zentrierten Dichtematrix im unmittelbaren Umfeld eines jeden Neurons in einem solchen Gewebe ein. Hieraus wurde ein Durchschnittswert für viele Neuronen gebildet. So konnte die statistisch zu erwartende Umgebung eines typischen Neurons berechnet werden. Diese Technik erlaubt den Wissenschaftlern, winzige Bereiche der neuronalen Architektur zu vergrößern, zum Beispiel solche Mikroröhren.

Die Technik könnte eines Tages eingesetzt werden, um Gewebeveränderungen bei anderen neuronalen Krankheiten, wie der Schizophrenie, zu untersuchen, vermuten die Wissenschaftler.

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