Prä-Inka-Kulturen: Am Dreizehnten ist Mittsommer
Alte Hinkelsteinkreise, Mauerreste oder Erdwälle irgendwie mit Sonne-, Mond- und Sternenlauf in Beziehung zu setzen, hat Charme und Konjunktur. Und manchmal, wie jetzt in Peru, stützen sogar hieb- und stichfeste Belege die astro-archäologische Fantasie.
Eine sandige Hügelkette in Peru, Morgengrauen, 300 vor Christus, es hat lange nicht geregnet – und der offizielle Himmelskörperbeauftrage hat heute seinen großen Tag. Wenn die Berechnungen stimmen (und sie stimmten seit dem Bau des Steinkalenders gottlob immer) wird gleich der glühende Ball der Sonne genau dort aufgehen, wo er soll: über dem südlichen Steinturm, dort am Horizont rechts. Die obere Turmhälfte passt gerade in das helle Viereck am anderen Ende des langen Beobachtungskorridors. Der offizielle Himmelskörperbeauftragte der Chavín, Vorläufer der Vorläufer der späteren Inka, wartet.
Am anziehensten für Generationen von Forscher war dabei wieder und wieder das auffällige Prunkstück der Gegend: ein runder, von drei konzentrischen Wallringen umgebener Zentralkomplex. Je nach gerade aktuellem Grabungstrend sind ihm in schöner Regelmäßigkeit wechselnde Funktionen zugeschrieben worden. So galt die Wallanlage als Festung, Tempel, Fluchtburg oder Arena für zeremonielle Kämpfe der Prä-Inka. Wirklich klar ist bis dato nur, dass das gesamte Areal einst wohl tatsächlich in kriegerischen Umbruchzeiten befestigt wurde, als das kulturelle Zentrum Chavín de Huántar zusammenbrach. Ein rein militärischer Zweck der Anlage schien auf den zweiten und dritten Blick aber schon deswegen unwahrscheinlich, weil merkwürdig viele Zugänge die elegant proportionierten Befestigungen durchbrachen und zudem eine gesicherte Wasserzufuhr völlig fehlte.
Morgengrauen über dem Südturm
Die Steinreihe sowie die beiden Gebäudekomplexe im Westen und Osten fungierten zusammen als Sonnenobservatorium und -kalender, so die Forscher. Von dem im Westen gelegenen ummauerten Beobachtungspunkt deckten die Steintürme genau den Horizontbereich ab, in dem die Sonne zwischen Sommer- und Wintersonnenwende beim Wandern im Jahresverlauf aufgeht. Am längsten Tag des Jahres im Dezember stieg sie von hier aus gesehen genau über dem südlichsten Steinturm auf – im hohen Winter der Südhalbkugel im Juni machte sie dagegen knapp jenseits des nördlichsten Turms die Nacht zum Tag.
Andersherum funktionierte die Sonnenbeobachtung von dem im Osten der Reihe ausgegrabenen Beobachtungsgebäude – von hier aus gesehen ging die Sonne Mitte Juni über dem ersten, nördlichsten Turm, im Dezember-Mittsommer dagegen knapp links des letzten noch sichtbaren und südlichsten Turm der Reihe unter.
Im Korridor der Sonne entgegen
Absolut exakt aber ging zu Zeiten der Chavín die Sonne Mitte Dezember über dem südlichsten Turm auf. Und genau für diesen Augenblick scheint das westliche Beobachtungsgebäude wie geschaffen: An seiner Südseite ist ein etwa 40 Meter langer Korridor genau in Ost-West-Richtung angelegt, der nicht in das Gebäude selbst integriert sondern daran angebaut war. An dessen Westseite finden sich Reste eines mit hölzernen Türen verschließbaren Separees, das gen Steinreihe gerichtete Ende war dagegen offensichtlich geöffnet. Ein am Ende des Ganges stehender Beobachter hätte also genau den Sommersonnwenden-Sonnenaufgang über dem 235 Meter entfernten Südturm am Ende des Korridors im Blick.
Dieser Augenblick hatte wohl etwa durchaus Beeindruckendes – und eine Herrscherkaste mag das auch weidlich kultisch ausgenutzt haben, spekulieren die Wissenschaftler. Denn nur in genau diesem Gang förderten Grabungen in größeren Mengen Opfergaben wie etwa Keramik-Kriegerfiguren zu Tage. Gut möglich also, das Chavín den Korridor, vielleicht unter der Führung von Priestern, rituell in Richtung Sonnenaufgang durchschritten haben und bei dieser Gelegenheit Spenden an den Sonnengott zurückließen. Damit ist hier der bislang älteste Beweis eines Sonnenkultus gefunden, der vielleicht noch viele Jahrhunderte später Grundlage für die Sonnenanbetung der Inka und anderer präkolumbianischer Kulturen war. Die Perfektion der Anlage lässt darauf schließen, dass die Wurzeln der Sonnenreligiosität demnach noch viel weiter zurückliegen könnten als das von den Chavín dominierte vierte Jahrhundert vor Christus.
Kein Wunder, meinen andere Wissenschaftler, etwa der Archäologe Daniel Sandweiss von der Universität von Maine: Gerade an der knochentrockenen Peruanischen Küste sei es von lebenswichtiger Bedeutung, den kalendarisch erwartungsgemäß idealen Zeitpunkt zu kennen, an dem die Feldfrüchte zu sähen und zu ernten sind. Davon hingen Wohl, Wehe und Existenz der Gemeinschaft ab – und sicher auch die Karriere des offiziellen Himmelskörperbeobachters.
So, meinen ein paar Jahrtausende später Ivan Ghezzi und Clive Ruggles von der Yale-Universität, könnte es gewesen sein vor gut zweitausend Jahren. Die Forscher leiteten eine neue archäologische Untersuchungen der Chankillo-Türme – den Resten von 13 gemauerten Steinpfeilern, die am Rande des größten Ruinenfeldes der Chavín-Kultur Südamerikas wie eine wohlgeordnet ansteigende Reihe abgebrocher Zahnstümpfe in den Himmel ragen. Die Artefakte der Gegend 400 Kilometer nördlich von Lima stammen von einer der ältesten präkolumbianischen Hochkulturen Südamerikas und hatten Archäologen angelockt, seit sie am ausgetrockneten Bett des Casma-Sechín-Flusses erstmals entdeckt worden waren.
Am anziehensten für Generationen von Forscher war dabei wieder und wieder das auffällige Prunkstück der Gegend: ein runder, von drei konzentrischen Wallringen umgebener Zentralkomplex. Je nach gerade aktuellem Grabungstrend sind ihm in schöner Regelmäßigkeit wechselnde Funktionen zugeschrieben worden. So galt die Wallanlage als Festung, Tempel, Fluchtburg oder Arena für zeremonielle Kämpfe der Prä-Inka. Wirklich klar ist bis dato nur, dass das gesamte Areal einst wohl tatsächlich in kriegerischen Umbruchzeiten befestigt wurde, als das kulturelle Zentrum Chavín de Huántar zusammenbrach. Ein rein militärischer Zweck der Anlage schien auf den zweiten und dritten Blick aber schon deswegen unwahrscheinlich, weil merkwürdig viele Zugänge die elegant proportionierten Befestigungen durchbrachen und zudem eine gesicherte Wasserzufuhr völlig fehlte.
Ghezzi und Ruggle suchten die verschüttete Bedeutung der Ruinen daher jenseits der prominenten Wallanlage in der Umgebung. Dabei konzentrierten sie sich besonders auf die auffällige, penibel von Nord nach Süd hügelaufwärts ausgerichtete Reihe der 13 Steintürme. Bald fanden sie rund 200 Meter entfernt im Westen und Osten der Reihe Mauerreste, die ebenfalls exakt nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet waren – und begannen eine Theorie zu entwickeln, die sie nun gut begründet veröffentlichen.
Morgengrauen über dem Südturm
Die Steinreihe sowie die beiden Gebäudekomplexe im Westen und Osten fungierten zusammen als Sonnenobservatorium und -kalender, so die Forscher. Von dem im Westen gelegenen ummauerten Beobachtungspunkt deckten die Steintürme genau den Horizontbereich ab, in dem die Sonne zwischen Sommer- und Wintersonnenwende beim Wandern im Jahresverlauf aufgeht. Am längsten Tag des Jahres im Dezember stieg sie von hier aus gesehen genau über dem südlichsten Steinturm auf – im hohen Winter der Südhalbkugel im Juni machte sie dagegen knapp jenseits des nördlichsten Turms die Nacht zum Tag.
Andersherum funktionierte die Sonnenbeobachtung von dem im Osten der Reihe ausgegrabenen Beobachtungsgebäude – von hier aus gesehen ging die Sonne Mitte Juni über dem ersten, nördlichsten Turm, im Dezember-Mittsommer dagegen knapp links des letzten noch sichtbaren und südlichsten Turm der Reihe unter.
Ganz perfekt, bemerkten die Forscher, arbeitete das Observatorium aber nicht: Sowohl der Wintersonnwenden- Sonnenuntergang von Osten gesehen als auch der Sommersonnenwenden- Sonnenaufgang von Westen rutschen ein klein wenig außerhalb der sichtbaren Steinreihe. Allerdings mag dies kultische Gründe gehabt haben: Statt einem vierzehnten Steinturm sieht ein Beobachter von Westen an der Stelle, an der die Sonne zur Sonnenwende im Juni aufgeht, am Horizont die merkwürdig geformten Ausläufer des fernen Cerro Mucho Malo. Dieser Berg erschien den Chavín vielleicht als würdigerer Geburtsort der Sonne zur Sonnenwende, spekulieren die Autoren. Der Abstand von Bergrückenlinie zum nördlichsten Turm ist jedenfalls identisch zum regelmäßigen Abstand der Türme zueinander.
Im Korridor der Sonne entgegen
Absolut exakt aber ging zu Zeiten der Chavín die Sonne Mitte Dezember über dem südlichsten Turm auf. Und genau für diesen Augenblick scheint das westliche Beobachtungsgebäude wie geschaffen: An seiner Südseite ist ein etwa 40 Meter langer Korridor genau in Ost-West-Richtung angelegt, der nicht in das Gebäude selbst integriert sondern daran angebaut war. An dessen Westseite finden sich Reste eines mit hölzernen Türen verschließbaren Separees, das gen Steinreihe gerichtete Ende war dagegen offensichtlich geöffnet. Ein am Ende des Ganges stehender Beobachter hätte also genau den Sommersonnwenden-Sonnenaufgang über dem 235 Meter entfernten Südturm am Ende des Korridors im Blick.
Dieser Augenblick hatte wohl etwa durchaus Beeindruckendes – und eine Herrscherkaste mag das auch weidlich kultisch ausgenutzt haben, spekulieren die Wissenschaftler. Denn nur in genau diesem Gang förderten Grabungen in größeren Mengen Opfergaben wie etwa Keramik-Kriegerfiguren zu Tage. Gut möglich also, das Chavín den Korridor, vielleicht unter der Führung von Priestern, rituell in Richtung Sonnenaufgang durchschritten haben und bei dieser Gelegenheit Spenden an den Sonnengott zurückließen. Damit ist hier der bislang älteste Beweis eines Sonnenkultus gefunden, der vielleicht noch viele Jahrhunderte später Grundlage für die Sonnenanbetung der Inka und anderer präkolumbianischer Kulturen war. Die Perfektion der Anlage lässt darauf schließen, dass die Wurzeln der Sonnenreligiosität demnach noch viel weiter zurückliegen könnten als das von den Chavín dominierte vierte Jahrhundert vor Christus.
Kein Wunder, meinen andere Wissenschaftler, etwa der Archäologe Daniel Sandweiss von der Universität von Maine: Gerade an der knochentrockenen Peruanischen Küste sei es von lebenswichtiger Bedeutung, den kalendarisch erwartungsgemäß idealen Zeitpunkt zu kennen, an dem die Feldfrüchte zu sähen und zu ernten sind. Davon hingen Wohl, Wehe und Existenz der Gemeinschaft ab – und sicher auch die Karriere des offiziellen Himmelskörperbeobachters.
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