Coronavirus-Impfstoff: »Am Ende wird es mehr als einen Impfstoff geben«
Weltweit suchen Forscherinnen und Forscher nach einem Impfstoff gegen das neue Coronavirus. Das Ziel: Die Menschheit soll künftig vor Sars-Cov-2 geschützt sein. Auch die deutsche Firma CureVac arbeitet an einer Vakzine. Das sorgte zwischenzeitlich für Aufregung, weil US-Präsident Donald Trump laut einem Gerücht versucht haben soll, sich die Rechte am Impfstoff zu sichern. Doch die Firma stellte unter anderem auf Twitter klar: Es habe kein Angebot gegeben. Wie gut lässt sich unter dem Druck der Pandemie arbeiten? Finden erste Tests an Menschen noch diesen Sommer statt? Und was für ein Impfstoff ist das genau? Antworten liefert CureVacs Vice President Stefan Müller im Interview.
»Spektrum.de«: Sie arbeiten an einem Impfstoff gegen das neue Coronavirus. Wie weit sind Sie?
Stefan Müller: Wir testen unseren Impfstoffkandidaten gegenwärtig in den vom Gesetzgeber geforderten präklinischen Modellen – in Zellkulturen wie auch in Nagetieren. Kontakt mit den Zulassungsbehörden für erste Tests am Menschen haben wir aber schon aufgenommen.
Wann sollen die ersten Tests am Menschen starten?
Wir sind in engem Austausch mit den zuständigen Behörden und planen, im Juni erstmals Probanden den Impfstoff zu spritzen. Die Behörden prüfen unsere bisherigen Daten, um sicherzustellen, dass die Substanz die Qualitätskriterien erfüllt, also sicher und nachweislich wirksam ist. Details zu den klinischen Studien kann ich nicht verraten. Fest steht aber, dass sie in deutschen und belgischen Zentren stattfinden sollen. Dort testen wir bereits einen Tollwutimpfstoff, die Zusammenarbeit ist gut, Abläufe sind erprobt.
Im Januar haben Sie mit der Forschung begonnen, im Juni erste Tests – das ist schneller als üblich. Ist das deshalb riskanter?
Riskanter ist es nicht unbedingt, weil wir eine bekannte Technologie nutzen. Wir kennen grundlegende Daten zum Beispiel von unserem Tollwutimpfstoff und wissen, dass das System funktioniert. Die Entscheidung fällt letztlich die Behörde basierend auf unseren seit Januar gesammelten Ergebnissen. Wären die nicht gut, würden keine Tests am Menschen stattfinden. Das ist klar.
»Wir machen dieselben Tests wie bei einer normalen Entwicklung auch – bloß in kürzerer Zeit«
Manche kritisieren die Eile. Ein Argument: Beschleunigte Testverfahren könnten zu unsicheren Mitteln führen, das wiederum würde die Gesundheit vieler gefährden und die Forschung komplett zurückwerfen. Schritt für Schritt sei der bessere Weg. Was sagen Sie dazu?
Das ist prinzipiell ein valider Punkt. Schließlich bekommen Gesunde das Mittel, und es soll sie schützen, nicht krank machen. Doch wir machen ja dieselben Tests wie bei einer normalen Entwicklung auch – bloß in kürzerer Zeit. Das macht die Versuche selbst nicht schlechter oder weniger aussagekräftig.
Sie arbeiten mit messenger-RNA-Molekülen, kurz mRNA. Was bedeutet das genau?
mRNA, oder Boten RNA, ist die Matrize für die Übersetzung in Peptide beziehungsweise Proteine. Die DNA – unser Erbgut – ist der Code, der die jeweilige mRNA definiert, diese wird dann in ein spezifisches Protein übersetzt.
Mit spezifischen Proteinen meinen Sie Antigene, also körperfremde Substanzen des Virus, die im menschlichen Körper für eine Immunantwort sorgen. Genau diese aber enthält Ihr Impfstoffkandidat nun nicht, sondern nur die Bauanleitung dafür. Was ist der Vorteil davon?
Sie können sich RNA-Vakzinen wie eine Druckerkassette vorstellen. Das Außengehäuse ist stets ähnlich – es handelt sich um Lipid-Nanopartikel –, und man tauscht gewissermaßen bloß die Farbe je nach Antigen aus. Die Farbe ist in diesem Fall eine von uns gewählte Nukleotidsequenz des Virus, die mRNA. Sie codiert das Protein, das als Antigen wirkt, und sorgt somit dafür, dass das Immunsystem die passenden Antikörper produziert, die dann das Virus attackieren, wenn es den Körper angreift.
Es war also entscheidend, dass Forscher im Januar das Erbgut von Sars-CoV-2 entschlüsselt und veröffentlicht haben …
Genau. Sobald wir wussten, wie das Virus aussieht, das heißt seine Sequenz kannten, konnten wir unsere Vakzine entsprechend zielgerichtet designen.
»Entschieden haben wir uns für das Konstrukt, das die stärkste Immunantwort auslöste«
Mit wie vielen verschiedenen mRNA-Molekülen testen Sie?
Am Menschen dann nur noch mit einem. In unseren präklinischen Modellen haben wir uns verschiedene mRNA-Konstrukte, die verschiedene Virus-Sequenzen enthalten, angeschaut. Entschieden haben wir uns für das Konstrukt, das die stärkste Immunantwort auslöste und die beste Qualität aufweist. Das sorgt bestenfalls für ausreichend Antikörper, die das Virus unschädlich machen können.
60 Impfstoffe sollen derzeit schon weltweit in diversen Testphasen sein. In Seattle beispielsweise testen Forscher bereits einen Impfstoff in einer von der US-Regierung geförderten Phase-1-Sicherheitsstudie. Wie beurteilen Sie das?
Auch das ist ein mRNA-Impfstoff, und es ist gut, dass es verschiedene Ansätze gibt. Die ersten Daten gilt es nun auszuwerten. Fest steht aber schon jetzt: Es wird am Ende nicht nur einen Impfstoff geben.
Wieso? Letztlich bräuchte es doch nur eine wirksame Vakzine?
Es braucht mehrere Lösungsansätze. Schon allein, weil es unterschiedliche Bevölkerungsgruppen gibt. Je nachdem, wer den Impfstoff nutzt, kann es von Vorteil sein, ein unterschiedliches Armamentarium zu haben. Und auch die Dosis wird unterschiedlich sein, je nachdem, ob es sich um einen DNA-, RNA- oder peptidbasierten Wirkstoff handelt. Und wie könnten Sie bei nur einem Impfstoff sicherstellen, dass genug Impfstoff für alle weltweit da ist? Es geht letztlich auch darum, die nachhaltige Herstellung zu gewährleisten.
Aber warum teilt man nicht einfach das eigene Wissen mit allen, so dass jeder den Impfstoff nachbauen und in Details anpassen kann?
Ein Impfstoff ist kein Produkt, das nach einem einfachen Rezept funktioniert. Das ist nicht wie Kuchen backen. Sie können sicherlich Prozesse transferieren, aber je nachdem, wie hoch die Dosis sein muss, und falls sich herausstellt, dass der Impfstoff mehrfach zu geben ist, brauchen Sie unterschiedliche Mengen und damit auch unterschiedliche Anlagen. Variabilität wird nötig sein.
»Die Herstellung eines Impfstoffs ähnelt der Planung einer Mondmission«
Es geht also nicht um Profit Ihrer Firma?
Nein. Als Sars-CoV-2 aufkam und die Situation in China über die Weihnachtszeit dramatisch wurde, haben Forscher weltweit begonnen, nach einem Impfstoff zu suchen. Sicher ist es auch ein Ziel der Firma, Geld zu verdienen. Man bezahlt ja schließlich Mitarbeiter, Material und so weiter. Jede Institution braucht Geld. Aber das hauptsächliche Ziel ist es, ein gutes, sicheres und effizientes Produkt herzustellen, das vielen Menschen zugutekommt. CureVac wird deshalb unter anderem von der Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung (CEPI) gefördert sowie von der Bill and Melinda Gates Foundation.
Donald Trump soll versucht haben, exklusiv die Rechte an Ihrem Impfstoff zu erwerben. Was haben Sie gedacht, als Sie das hörten?
Es hat solch ein Angebot nicht gegeben. Wir haben das klar dementiert.
Wie hat das Ihre Arbeit beeinflusst?
Nur indirekt. Wir hatten deshalb weder Probleme mit Behörden in Europa oder den USA noch hat sich an der Förderung etwas geändert. CEPI hatte uns schon vorher auf dem Radar. Es gab allerdings deutlich mehr Presseanfragen als üblich.
So wie von uns. Nun sprechen Sie mit mir, statt im Labor zu stehen …
Da ich die präklinische Entwicklung leite, ziehe ich auch sonst leider nur noch selten einen Laborkittel an – das machen meine Gruppen. Ich diskutiere mit den Mitarbeitern hauptsächlich, welche Versuche wir machen, und lese sehr viel aktuelle Forschungsliteratur, um die drängenden Fragen zu beantworten. Zu Beginn eben: Welche mRNA wollen wir wählen? In Bezug auf die technische Entwicklung: Wie lässt sich das in größerem Maßstab produzieren? Und ich spreche mit den klinischen Kollegen: Wie soll die Studie aussehen? Die Herstellung eines Impfstoffs ähnelt der Planung einer Mondmission. Einerseits, weil es Jahre dauern kann. Andererseits, weil es nicht darum geht, einen einzelnen Mechanismus zu definieren, sondern um zahlreiche Prozesse. Bis zu 50 Leute sind damit beschäftigt, ein Molekül möglichst schnell in die Klinik zu bekommen. Das ist sehr spannend.
»Jede Woche, die wir früher impfen, kann Menschen vor Covid-19 bewahren und damit Leben retten«
Auch auf die Gefahr hin, zynisch zu klingen: Ist eine Pandemie aus Sicht eines Impfstoffentwicklers etwas Gutes?
Nein, überhaupt nicht – im Gegenteil, deshalb konzentrieren wir uns auf die Entwicklung einer mRNA-Vakzine. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass wir dazu beitragen können, Millionen Menschen zu schützen. Wir schaffen etwas, was dringend benötigt wird. Doch CureVac und jeder Mitarbeiter ist von den Einschränkungen ebenso betroffen wie andere Konzerne und Privatpersonen. Viele arbeiten von daheim, wir haben ein Schichtsystem eingeführt. Auch gibt es eine Back-up-Gruppe, damit ein Team die Arbeit fortführen kann, falls es im anderen einen Covid-19-Fall gibt und die gesamte Crew in Quarantäne muss. Das ist eine enorme Stresssituation seit Wochen, und es ist großartig, wie die Teams hier zusammenarbeiten.
Für den aktuellen Sars-CoV-2-Ausbruch wird jeder Impfstoff zu spät kommen. Also warum die Eile? Erwarten Sie, dass die Infektionen im Herbst wieder zunehmen – ähnlich wie bei der Grippe?
Das weiß ich nicht. Viele gehen davon aus, dass das Virus saisonal auftreten wird. Aber wir beeilen uns, weil Menschen an den Folgen sterben. Jede Woche, die wir früher impfen, kann Menschen vor Covid-19 bewahren und damit Leben retten.
RKI-Chef Lothar Wieler sagte jüngst erneut, er rechne nicht vor Frühjahr 2021 mit dem Impfstoff wegen der Zulassung. Teilen Sie die Auffassung?
Die präklinische Entwicklung dauert, da man Menschen nur mit einer sicheren Vakzine impfen darf, auch wenn wir hier wirklich Gas geben. Versuche am Menschen brauchen ebenfalls ihre Zeit. Und Zulassungen ebenso. Sollte nächstes Jahr ein Impfstoff zugelassen sein, wäre das noch immer schnell. Noch früher könnte es mit Hilfe einer Notzulassung möglich sein. Ich gehe deshalb auch vom Frühjahr 2021 aus.
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