Verhängnisvolle Fernwirkung: Amazonas-Abholzung lässt Karibik in Algen ersticken
Tausende Tonnen Braunalgen begraben die Karibik unter übel riechenden Teppichen. Meterbreite braune Streifen von abgestorbenem Sargassum überdecken die einst weißen Strände von den Kleinen Antillen bis an die Küsten Mexikos. Sie schneiden die Bevölkerung vom Meer ab und behindern Fischerei und Tourismus, auf dem Wasser töten die schwimmenden Algen Fische, Schildkröten und Korallenriffe. Viel spricht dafür, dass das jetzt der Normalzustand im Westatlantik ist – und schuld daran ist womöglich die Abholzung des Amazonas-Regenwalds, die zurzeit als Ursache dramatischer Brände Schlagzeilen macht.
Doch dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro kann man zumindest die karibische Algenpest nicht anlasten: Der größte Algenteppich der Welt, von dem die vergammelnden Pflanzen an den jetzt nicht mehr ganz so paradiesischen Tropenstränden stammen, kehrt bereits seit 2011 jedes Jahr wieder. Er bildet sich regelmäßig an Afrikas Westküste und reicht bis nach Zentralamerika an die Küste Yukatans. 2018 war er nahezu 9000 Kilometer lang. Ursache der beispiellosen Algenblüten des letzten Jahrzehnts seien zusätzliche Nährstoffe im Atlantik, berichtete im Juli eine Gruppe um Chuanmin Hu von der University of South Florida. Ein beträchtlicher Teil davon stamme aus dem Amazonasbecken.
Ist der Wald erst einmal gerodet, wird die freie Fläche meist abgebrannt und dann landwirtschaftlich genutzt. Doch der üppige Regenwald täuscht: Einmal entwaldet, erweisen sich die tropischen Böden als recht nährstoffarm und müssen nach ein paar Jahren gedüngt werden. Ein Teil des Düngers gelangt über den Amazonas in den Nordatlantik – im Jahr 2009 war es laut Messungen besonders viel. Das, so die Schlussfolgerung von Hu und seinen Kollegen, war der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sehr warmes Wasser behinderte 2010 noch einmal das Wachstum von Sargassum, doch im Jahr darauf begann das Kraut den tropischen Atlantik zu erobern.
Ist der Atlantik gekippt?
Dass Sargassum große schwimmende Teppiche bildet, ist seit Jahrhunderten sprichwörtlich. Allerdings beschränkte sich das Phänomen bisher auf die Sargassosee, die auch nach der Schwimmpflanze benannt ist. Die Algenmatten sammeln sich – heutzutage zusammen mit Plastikmüll – im ruhigen Zentrum des nordatlantischen Strömungssystems, das einen weiten Wirbel über den nördlichen Atlantik bildet. Weiter südlich dagegen, außerhalb des Wirbels, war Sargassum laut Satellitendaten selten.
Doch 2011 kippte das System anscheinend. Die Pflanze, die zuvor nur sporadisch Fuß fasste, begann sich extrem zu vermehren und verbreitete sich in den Folgejahren quer über den gesamten Ozean. Im heutigen Zustand, so die Befürchtung, ist die Sargassum-Blüte ein fester Bestandteil des Ozeans. Jene Faktoren, die einst die Braunalge mutmaßlich komplett aus dem tropischen Atlantik fernhielten, bestimmen demnach heute nur noch, ob die Teppiche eher klein bleiben – wenn die Meeresoberfläche zu warm für die Alge wird oder aufsteigendes Tiefenwasser vor Afrika und die Sedimente des Amazonas wenig Nährstoffe bringen – oder den gesamten Ozean überstrecken wie 2018.
Dass im Amazonasgebiet nun wieder mehr Wald in genutztes Land umgewandelt wird, macht es womöglich eher unwahrscheinlich, dass der Atlantik in absehbarer Zeit in seinen Zustand vor 2010 zurückkehrt. Und die Staaten der Karibik rätseln schon heute, wie sie die gigantischen Mengen an Braunalgen unter Kontrolle kriegen, die derzeit an ihre Strände treiben.
Allein der Schutz der wirtschaftlich wichtigen Tourismusindustrie kostet enorme Summen, in kleineren Inselstaaten stellt sich zusätzlich die Frage: Wohin mit dem ganzen angespülten Zeug? Wie die Auswirkungen der Algenteppiche auf die Umwelt in der Karibik beseitigt werden sollen, ist ebenfalls noch vollkommen unklar. Sicher ist allerdings, dass irgendwann auch wieder Schluss ist mit der Sargassum-Pest im tropischen Atlantik: Irgendwann in relativ naher Zukunft wird das Meer durch den Klimawandel schlicht zu warm für die Braunalge sein.
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