Amphibiensterben: Abgesang der Frösche
Die Nacht ist angebrochen, und der starke Regen lässt langsam nach. Von überall her schallen jetzt die unterschiedlichsten Froschrufe: Tiefes Knurren wird begleitet von insektenähnlichem Zirpen und schrillem Pfeifen. Hinzu kommen vereinzelte »Raaaak«-Laute, und aus den Bäumen über mir höre ich ein metallisches »Ping« sowie ein dumpfes »Gog-gog«. Es ist der 6. Juni 1992. Ich bin im Bergregenwald von Selva Negra im zentralen Hochland von Nicaragua unterwegs. Die Regenzeit hat vor ein paar Tagen begonnen und die Fortpflanzung der Frösche in Gang gebracht. In dieser Nacht zähle ich knapp 20 verschiedene Arten. Manche Exemplare sitzen am Ufer eines großen Tümpels, andere treiben auf seiner Wasseroberfläche, klammern sich an dünne Schilfhalme in der Ufervegetation oder sitzen auf Steinen eines Bachbetts. Ich entdecke die Amphibien im Pflanzendickicht, in Steinhaufen oder erspähe sie in drei bis fünf Meter Höhe in Bäumen. Ich bin umzingelt von Fröschen.
In den 1990er Jahren besuchte ich die Region um Selva Negra mindestens einmal jährlich, um Studien an Amphibien und Reptilien durchzuführen. Der starke Rückgang vieler Froschpopulationen in dieser Zeit ist mir bis heute schmerzlich in Erinnerung geblieben. Während ich bei meinen ersten Reisen nach Nicaragua zum Beispiel Arten des Craugastor-rugulosus-Komplexes noch häufig entlang von Bächen antraf, fand ich in den Folgejahren immer weniger, bis sie plötzlich vollständig verschwunden waren. Zunächst habe ich das Fehlen einzelner Arten einer natürlichen Fluktuation im Rahmen der Populationsdynamik zugeschrieben. Doch als es im Wald von Selva Negra kontinuierlich stiller wurde, dämmerte mir, dass sich etwas dauerhaft verändert hatte.
Amphibien einschließlich ihrer Larven spielen eine wichtige Rolle in terrestrischen und Süßwasserökosystemen weltweit. Ohne sie funktionieren die Energieflüsse und das Nährstoffrecycling dort nicht mehr richtig. Dementsprechend hat ihr Verschwinden erhebliche ökologische Folgen auf Flora und Fauna.
Daher waren wir Biologen und Naturforscher alarmiert, als in den 1990er Jahren auch aus anderen Regionen Nachrichten über zusammenbrechende Froschpopulationen kamen, vor allem aus weiteren lateinamerikanischen Ländern und Australien. Manche Arten verschwanden sogar ganz von der Bildfläche und wurden als ausgestorben eingestuft. Selbst Naturschutzgebiete, in denen der Lebensraum unverändert in sehr gutem Zustand erschien, blieben nicht verschont.
Dennoch gab es anfangs Skepsis, ob wirklich ein Froschsterben globalen Ausmaßes stattfand. Es war bekannt, dass die Anzahl der Tiere stark variieren kann – besonders als Reaktion auf klimatische Faktoren. In ungünstigen Jahren nimmt ihre Population mitunter erheblich ab, bevor sie dann in den folgenden Jahren wieder auf die ursprüngliche Größe zunimmt. Daher ist es ohne eine jahrelange Beobachtung schwierig, zwischen normalen Populationsschwankungen und langfristigen Trends zu unterscheiden.
Die Anzeichen für ein Amphibiensterben rissen allerdings nicht ab. Und so wuchs die Überzeugung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, dass eine dramatische Entwicklung im Gang war. Wild wurde über die potenziellen Ursachen spekuliert: Hoch im Kurs standen zunächst die zunehmende Umweltverschmutzung, der Klimawandel sowie neuartige Infektionskrankheiten. Klassische Gründe für einen Verlust der biologischen Vielfalt wie intensive Landwirtschaft und Verstädterung ließen sich hingegen rasch ausschließen. Denn viele der Populationsrückgänge verzeichneten die Forschergruppen in Schutzgebieten, in denen keine offensichtlichen Veränderungen des natürlichen Lebensraums stattfanden.
1998 verdichteten sich dann die Hinweise, dass der Übeltäter ein so genannter Chytridpilz mit der lateinischen Bezeichnung Batrachochytrium dendrobatidis ist. Die durch diesen Erreger ausgelöste Erkrankung heißt Chytridiomykose. Zur Fortpflanzung produziert der Pilz bewegliche Zoosporen, die sich im Wasser verbreiten und neue Wirte infizieren können, in diesem Fall Frösche und deren Kaulquappen. Heute ist vollkommen klar: Die von dem Erreger ausgelöste Seuche hat nahezu auf der ganzen Welt Froschbestände dezimiert und dutzende Arten ausgelöscht. Auch in den meisten europäischen Ländern, darunter Deutschland, hat sich der Pilz inzwischen breitgemacht.
Vor einigen Jahren wurde zudem eine weitere Chytridart identifiziert, B. salamandrivorans, die vorwiegend Salamander und Molche befällt. In den Niederlanden und Belgien sind die Populationen des Feuersalamanders auf Grund dieser neuen Krankheit bereits erheblich kleiner geworden. Er gilt in beiden Ländern nun als akut vom Aussterben bedroht.
In Mittelamerika waren diejenigen Frösche am stärksten betroffen, die in den mittleren Höhenlagen der Berge an Bächen vorkamen und sich im Wasser vermehrten. Arten, die vorwiegend in den Bäumen lebten und weder Teiche noch Fließgewässer für die Fortpflanzung benötigten, zeigten keine Anzeichen für einen Rückgang.
Gründe dafür fanden Forschergruppen in den physiologischen und ökologischen Vorlieben des Pilzes. Er gedeiht am besten unter Nebelwaldbedingungen, also hoher Luftfeuchtigkeit und Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad Celsius, ein typisches Klima unter anderem in den mittleren Höhenlagen Zentralamerikas. Da sich der Pilz außerdem über das Wasser verbreitet, haben an oder im Wasser lebende Arten ein größeres Risiko, sich mit den Zoosporen des Chytridpilzes zu infizieren als solche, die Bäche oder Teiche meiden.
Weite Verbreitung beugt Aussterben vor
Das Aussterberisiko ist außerdem bei nur lokal begrenzt vorkommenden Arten wesentlich größer als bei solchen, die geografisch weit verbreitet sind. Denn in einem großen Areal können die lokalen Bedingungen teilweise sehr unterschiedlich sein. Somit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass in einigen Refugien bessere Überlebensbedingungen für die Art herrschen als im übrigen Gebiet. Zusätzlich sinkt in größeren Populationen das Aussterberisiko, weil es eine höhere genetische Variabilität gibt. Es ist dann wahrscheinlicher, dass manche Individuen die Krankheit überleben.
Zu den Symptomen der Pilzkrankheit zählen erweiterte Blutgefäße und eine verstärkte Verhornung der Hautoberfläche. Da Amphibien zusätzlich über die Haut atmen, bekommen sie dadurch schlechter Luft. Darüber hinaus beeinträchtigt die Veränderung ihren Stoffwechsel, weil die Haut Flüssigkeit und Mineralien aufnehmen und abgeben kann. Die Pilztoxine könnten zusätzlich giftig wirken, vermuten Fachleute. Üblicherweise verschlechtert sich der Zustand der befallenen Frösche fortwährend, bis sie schließlich verenden.
Die Vermutung war lange, dass ein gegen die Wirkung des Pilzes immuner Frosch aus Afrika an dessen Verbreitung die Hauptschuld trägt. Mittels Genomsequenzierung konnten Wissenschaftler aber 2018 die Quelle des Chytridpilzes in Korea verorten. Dort fanden sie eine Population einer Vorgängerlinie des Pilzes. Zudem ist Ostasien ein Hotspot seiner Artenvielfalt, was ebenfalls dafür spricht, dass dort sein Ursprung liegt. Gemäß der Studie tauchte der Erreger wahrscheinlich erstmals im frühen 20. Jahrhundert in Korea auf und verbreitete sich dann durch den Amphibienhandel in der ganzen Welt.
Die Initiative »Global Amphibian Assessment« bewertete in den Jahren 2001 bis 2004 den Bedrohungsstatus von nahezu allen derzeit bekannten Amphibienarten. Die Ergebnisse waren alarmierend: Ein Prozent von ihnen gilt als ausgestorben und rund ein Drittel aller Froscharten wurde als bedroht eingestuft. Felduntersuchungen Anfang der 1990er Jahre in der Region Monteverde in Costa Rica hatten bereits ergeben, dass seit 1987 insgesamt 20 Froscharten verschwunden sind, das entspricht 40 Prozent der dortigen Froschfauna. Im nördlichen Südamerika sind vor allem die Arten der Harlekinkröten (Gattung Atelopus) betroffen. Schätzungen zufolge sind rund zwei Drittel der bekannten Arten dieser Gattung aus ihren geläufigen Habitaten verschwunden.
Gleichwohl trägt der Chytridpilz natürlich nicht die alleinige Schuld am globalen Rückgang der Amphibienvielfalt. Tatsächlich ist die Zerstörung und Verschmutzung des Lebensraums der Tiere weiterhin die Hauptursache für ihr Verschwinden. Dazu tragen unter anderem die fortschreitende Entwaldung, Entwässerung und Kontamination von Feuchtgebieten bei. Eine Fragmentierung der Habitate führt zu kleineren, isolierteren Populationen, die weniger Ausbreitungsmöglichkeiten und ein höheres Aussterberisiko haben. Die Vielzahl von Giftstoffen in der Natur belastet die Amphibien zusätzlich.
Auch die globalen Klimaveränderungen, insbesondere die Erwärmung, wirken sich mitunter schwer wiegend auf die lokale und regionale Artenvielfalt aus. Denn eine höhere Temperatur kann dazu führen, dass jahrtausendealte Ökosysteme nicht mehr funktionieren und zusammenbrechen. Darüber hinaus wurden mancherorts fremde Arten eingeschleppt. Dies kann vielfältige negative Konsequenzen für die lokale Amphibienfauna haben. Die Tiere konkurrieren nun um Lebensraum und Nahrung mit den Neuankömmlingen und können gar selbst von diesen gefressen werden. Zudem bringen die nicht heimischen Arten neue und mitunter gefährliche Krankheitserreger mit. Teilweise können einzelne Faktoren wiederum andere verstärken. So kann zum Beispiel die Erderwärmung die Ausbreitung invasiver Arten begünstigen.
Resistent gegen die Pilzerkrankung
Es gibt allerdings auch gute Nachrichten: Wir kennen zum Beispiel Froschgemeinschaften, die schon seit Jahrzehnten mit dem Chytridpilz leben und keine Anzeichen von Populationsrückgang zeigen. In der südlichen Sierra Madre del Sur haben wir etwa festgestellt, dass zahlreiche Kaulquappen typische Symptome einer Chytridinfektion aufweisen, insbesondere den Verlust ihrer Hornzähnchen am Maul. Mittels molekulargenetischer Methoden konnten wir jedoch den Pilz bei erwachsenen Fröschen nicht mehr nachweisen. Es liegt also nahe, dass die Tiere den Erreger loswerden – eventuell durch Sonnenbaden, da die erhöhte Temperatur und das UV-Licht diesen abtöten. Noch sind aber weitere Feld- und Laborstudien erforderlich, um zu verstehen, welche Strategien den Pilz eliminieren.
Außerdem ist eine fortwährende Beobachtung der Froschpopulationen notwendig, um die Infektionsdynamik und die langfristigen Auswirkungen der Seuche besser zu verstehen. Denn das Auftreten einer Infektion innerhalb einer Froschpopulation bedeutet keinesfalls automatisch deren Ende oder gar das Aussterben der Art. Inzwischen kennen wir zahlreiche Beispiele von Froscharten, deren Populationen durch die Pilzepidemie zunächst zusammenbrachen. Anschließend wurden sie über Jahre, zum Teil über Jahrzehnte nicht mehr in der freien Natur gesichtet. Erfreulicherweise sind aber irgendwann wieder Exemplare aufgetaucht.
Offensichtlich waren die Populationen so klein geworden, dass sie nicht mehr ohne Weiteres nachzuweisen waren. Einzelne überlebende Frösche, die gegenüber dem Chytridpilz resistent genug waren, konnten sich zunächst im Verborgenen wieder vermehren. Als die Population dann groß genug war, gelang es auch, die verloren geglaubte Spezies erneut nachzuweisen. Das lässt hoffen, dass noch andere, als verschollen eingestufte Amphibienarten weiterhin existieren.
Nichtsdestoweniger werden Frösche und Salamander auf unserem Planeten tagtäglich weniger. Was also muss passieren, um diesen Prozess zu stoppen oder bestenfalls sogar umzukehren? Vielerorts könnten altbewährte Strategien helfen, etwa die Ausweitung von Naturschutzgebieten und eine eingeschränkte Bewirtschaftung von Naturflächen. Nach wie vor sind diese Maßnahmen ein fundamentaler Bestandteil eines langfristigen Naturschutzprogramms. Denn das Prinzip ist ganz einfach: Hängt eine Art vom Wald ab, verschwindet sie, wenn die Bäume abgeholzt werden. Gleichermaßen gilt diese Korrelation für die meisten anderen Naturlandschaften, darunter Moore, Wiesen oder Bachläufe. Entsprechend sind natürlich ebenso diejenigen Amphibienpopulationen bedroht, die die Chytridinfektionen überleben.
Aus diesem Grund spielen professionell verwaltete und geschützte Naturreservate eine Schlüsselrolle bei langfristigen Erhaltungsstrategien der Amphibien. Allerdings sind etliche Schutzgebiete tatsächlich nur auf der Karte vorhanden und somit nutzlos. Besonders in den Tropen mangelt es oft an ausreichend und gut ausgebildetem Personal sowie operativen Mitteln. Infolgedessen kommt es selbst in Reservaten zu anhaltender Abholzung, nicht regulierter Jagd und Pestizideinsatz.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Klimawandel, der Eintrag von Umweltgiften und neu auftretende Krankheiten nicht durch Schutzgebietsgrenzen aufhalten lassen. Damit kann eine Strategie, die allein auf Naturreservaten beruht, die Artenvielfaltskrise nicht stoppen. Vielmehr braucht es zusätzliche Anstrengungen, um die Erderwärmung aufzuhalten, den Eintrag von Giftstoffen in die Natur zu beenden und die Ausbreitung invasiver Arten sowie von Infektionskrankheiten im Tierreich zu minimieren. Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass dazu ein umfassendes Umwelt- und Klimaschutzkonzept nötig wäre, das weit über die bisherigen Maßnahmen hinausgeht. Dem Artenreichtum auf unserem Planeten zuliebe wäre es also höchste Zeit, aktiv zu werden.
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