Der erste Eindruck: Andere mögen uns mehr, als wir meinen
Bei einem Smalltalk bemüht man sich zumeist um einen freundlichen Umgangston. Ob uns jemand gewogen ist oder lediglich höflich Konversation betreibt, ist deshalb nicht so leicht zu erkennen. Dass wir dabei tatsächlich oft falschliegen, stellten Psychologen aus den USA und England in einer Reihe von Experimenten fest. Demnach unterschätzen wir systematisch, wie nett wir auf unser Gegenüber wirken, berichten Erica Boothby von der Cornell University und ihre Kollegen in der Fachzeitschrift »Psychological Science«.
Die Forscher setzten zunächst je zwei einander unbekannte Versuchspersonen gleichen Geschlechts an einen Tisch und ließen sie fünf Minuten miteinander plaudern. Dann sollten beide angeben, wie sehr sie den anderen mochten, ob sie ihn gerne besser kennen lernen oder sich mit ihm anfreunden wollten – sowie was der andere umgekehrt über sie sagen würde. Die Gesprächspartner unterschätzten ihre Wirkung systematisch, und das hatte weder etwas mit Bescheidenheit noch einem Hang zum Selbstschutz zu tun, wie weitere Selbstauskünfte nahelegten. Vielmehr hing die Diskrepanz zwischen vermuteter und tatsächlicher Sympathie mit Schüchternheit zusammen: Durchschnittlich schüchterne Probanden verschätzten sich auf einer Skala von 1 bis 7 um einen halben Punkt, das schüchternste Drittel um einen ganzen Punkt.
Wie kommt es dazu? Die Forscher zeigten unbeteiligten Dritten die Videoaufnahmen der oben beschriebenen Gespräche, und diese schätzten die wechselseitige Sympathie der Gesprächspartner korrekt ein. Es lagen demnach genug Hinweise im Verhalten vor – nur kamen sie bei den Beteiligten selbst nicht an. Stattdessen, so zeigte ein Anschlussexperiment, waren die Konversationspartner mehr damit beschäftigt, sich selbst kritisch zu beobachten, und dieser »harsche innere Kritiker« verdeckte vermutlich den Blick auf positive Signale.
Zuletzt befragten die Psychologen rund 100 Erstsemester an der Yale University, die sich jeweils zu zweit ein Zimmer teilten, aber zuvor nicht gekannt hatten. Wer mit wem zusammenwohnte, hatte die Univerwaltung anhand gemeinsamer Vorlieben etwa für Sauberkeit oder Abendaktivitäten entschieden. Auch in dieser Studie unterschätzten die Studierenden, wie sehr ihre Mitbewohner sie mochten. Um bewusst bescheidene Einschätzungen ausschließen zu können, stellten die Forscher in einer Befragungsrunde demjenigen 100 Dollar in Aussicht, der die Sympathie seitens des Zimmergenossen am besten einschätzte. Doch auch damit besserten sich die Urteile nicht. Erst mit Ablauf des ersten Studienjahres schloss sich die Lücke zwischen vermuteter und tatsächlicher Sympathie. »Vielleicht kannten sie sich da gut genug, oder sie hatten entschieden, ob sie weiter zusammenwohnen wollten, womit sich die Sympathie offenbarte«, spekulieren Boothby und ihre Kollegen.
Auf anderen Gebieten, etwa was die Autofahrkünste angehe, würden sich viele Menschen überschätzen, merken die Forscher an. »Aber unsere sozialen Fertigkeiten sehen wir in einem weniger rosigen Licht.« Dabei seien die meisten passable Konversationspartner. Zu unseren größten Sorgen zähle jedoch, dass andere uns nicht mögen und unsere Unsicherheit bemerken.
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