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Paläozoologie : Anklagepunkt Faultiertotschlag

Tatzeit: Ende des Pleistozäns. Angeklagt: Homo sapiens. Die Indizien sprechen eine eindeutige Sprache: Schuldig, ohne begründeten Zweifel. Die langsamsten aller amerikanischen Tiere überlebten den Menschen der Nacheiszeit höchstens klein und versteckt auf Bäumen. Oder war doch das Klima schuld?
Ein Vertreter der Megatheriidae (Riesenfaultiere)
Immer wenn unsere Vorfahren sich anschickten, eine neue Welt zu erobern, kamen mit ihnen Tod und Verderben. Besonders für die auffälligeren der tierischen Ureinwohner: In Europa erwischte der ausgewanderte Afrikaner Mammut und Wollnashorn, in Nordamerika die großen Gürteltiere; die Monsterwombats in Australien. Jahrtausende später ging es dann auch den Moas Neuseelands und den Elefantenvögeln Madagaskars an den Kragen. Große Tiere und neusiedelnde Menschen scheinen nicht gut zusammenzupassen, lehrt die Historie.

Neben dem Mensch sitzt allerdings fast immer noch ein zweiter Schuldiger auf der Anklagebank: Das unberechenbare Klima am Ende des Pleistozän. Ein schneller Wechsel zwischen Eiszeit und Zwischeneiszeit machte all jenen Organismen mit mangelhafter Anpassungsfähigkeit schwer zu schaffen, und entlastet damit den Menschen als alleinigen Verursacher so manches Artentods.

David Steadman vom Naturgeschichtlichen Museum Floridas betätigte sich nun als Anwalt einer nacheiszeitlich dramatisch dezimierten, skurillen Geschöpfgruppe des alten Amerikas – den Riesenfaultieren. Vertreter der bodenlebenden Megatheriidae konnten bis zu sechs Meter groß und drei Tonnen schwer werden, und mindestens 19 Gattungen verschiedener Familien dieser Tiere gediehen noch vor einigen Jahrtausenden. Bis sie dann, ziemlich plötzlich und fast spurlos, aus dem Bestiarium-Bauchladen Amerikas verschwanden. Heute finden sich nur noch wenige, kleine Faultiere, die ausschließlich auf dem südlichen Kontinent im Zeitlupentempo Tropenwälder in luftiger Höhe entlauben.

Mensch oder Klima, wer also machte den Megafaultieren dereinst den Garaus? Nicht einfach zu sagen, denn die Ankunft des Menschen fällt in Amerika zeitlich mit den Belastungen des Klimaumschwungs vor etwa 15000 bis 9000 Jahren zusammen. Zumindest, so Steadman, auf den kontinentalen Landmassen Nord- und Südamerika. Hier sammelten die Forscher akribisch analysierbare Hinterlassenschaften längst ausgestorbener Faultiergrößen: Knochen, aber vor allem auch möglichst gut erhaltene Pröbchen von Riesenfaultierkot. Alle Funde analysierten sie mit Hilfe der Radiokarbonmethode und erhielten so einen guten Überblick darüber, wann und wo die jeweils Letzten der großen Faultierarten gelebt hatten. Im heutigen Texas muss dass beispielsweise vor etwa 10 500 bis 12 100 Jahren gewesen sein; die jüngste Probe aus Argentinien war von einem vor 10 200 Jahren verendeten Tier. Diesem Tatzeitpunkt nach könnten also beide der Riesenfaultier-Ausrottung angeklagten – also Klimaumschwung wie das neu eingetroffene Raubtier Mensch – der Tierart den Garaus gemacht haben.

Fossile Reste sind alles, was vom Riesenfaultier blieb | Die fossilen Überreste von Neocnus comes, einem ausgestorbenen Faultier aus dem heutigen Haiti. Auf den Inseln der Großen Antillen hielten sich Riesenfaultiere länger als auf dem amerikanischen Kontinent – wahrscheinlich, weil der Mensch hier erst spät großflächig jagte.
Dann aber setzten Steadman und seine Ermittler auf die Westindischen Inseln über. Hier, im ewig feuchtwarmen Inselklima, existieren keine verwertbaren Altkotproben – wohl aber einige wenige Kollagenreste aus Knochen alter Riesenfaultiere. Diese unterzogen die Forscher nun einer genauen beschleunigermassenspektrometrischen Analyse. Ergebnis: Hier auf Haiti und Kuba starben viele Riesenfaultiere erst vor gut fünf Jahrtausenden endgültig aus. Mit einer Klimaumwälzung kann das nichts zu tun gehabt haben – die Periode war in dieser Hinsicht lokal eher ereignislos.

Und der Mensch? Sehr gut archäologisch untersucht sind die Großen Antillen nicht. Wahrscheinlich aber beherbergten die Inseln viele Menschen, die einen größeren Räuberdruck ausüben konnten, tatsächlich erst mitten in der Nacheiszeit, mithin erst nach der Besieldung der kontinentalen Landmassen. Genaueres verraten die Analysen von 5730 Jahre vor unserer Zeit auf Haiti abgelagerten Seesedimentschichten: Sie zeigen einen damals dramatischen Anstieg von Holzkohleeintrag (verursacht durch Feuernutzung früher Besiedler) und große Mengen von Ambrosia-Pollen – einem Gewächs, das mit größeren Umwälzungen der Vegetation einhergeht. Die Menschen waren zu dieser Zeit angekommen. Die Riesenfaultiere für immer gegangen.

Kaum ein zufälliges Zusammentreffen, meint Steadman, auch wenn fossile Belege für bejagte Riesenfaultiere fehlen: Die langsamen, an Menschen nicht gewöhnten Bodenbewohner dürften eine allzu leichte Beute gewesen sein. Und das wohl nicht nur vor gut 5000 Jahren auf den Großen Antillen, sondern auch – noch einmal doppelt so lange her – auf dem Kontinent selbst. Dort mag zudem das Klima eine Rolle beim Aussterben der Riesenfaultiere gespielt haben. Den Pflanzen, die nach den Kotanalysen auf dem Speisezettel der Faultiere gestanden hatten, existieren immerhin auch heute noch – an Nahrung mangelte es trotz Klimawandel also wohl nie. Dennoch überlebten nur kleine, baumbewohnende Arten, die zudem meist mit ihren symbiontischen Grünalgen im Pelz vor den Augen hungriger Jäger im undurchdringlichen Dach des Waldes getarnt sind. Nicht einfach zu erwischen also, auch durch den vordringenden Menschen. Bei der Riesenverwandtschaft am Boden hatte der wohl mehr Glück.

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