Fraktale Natur: Anleitung zum Küstenbau
Wer die Küstenlinie von Norwegens Fjorden nachzeichnen möchte, braucht viel Fantasie oder eine zittrige Hand. Dabei ist es ganz einfach, mit Erosion, Wellen und wenigen Regeln eine ähnlich zerklüftete Landschaft nachzubauen. Ein Team französischer und italienischer Physiker hat nun das Rezept gefunden.
Kleine Leute müssen längere Wege laufen. Zumindest an felsigen Küsten ist das so. Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit einem Elefanten und Ihrem Hamster am Meer spazieren – allerdings nicht an einem Sandstrand, sondern an einem felsigen Abschnitt. Wo der Elefant gemächlich mit einem Schritt über Gesteinsbrocken und Spalten hinwegschlendert, geht es für Sie mit ihrer geringeren Schrittlänge auf und ab. Gewiss anstrengend, aber noch lange nichts im Vergleich zu den Mühen, die das Spazieren Ihrem Hamster bereitet. Für dessen kurze Beine wird jeder Kiesel zur Hürde, jeder Stein zur Herausforderung und die Tour zur Tortur mit Hochgebirgscharakter. Am Abend wird der Elefant erzählen, Sie hätten nach dem Essen nur eine Runde um den Block gemacht, Sie selbst werden von einem strammen Fußmarsch berichten, und der Hamster wird immer noch unterwegs sein. Es ist eben eine Frage der Sichtweise, wie lang einem der Weg vorkommt.
Genauer gesagt, hängt es vom Größenmaßstab ab. Je feiner der Blick auf eine Küstenlinie ausfällt, umso mehr Details sind zu berücksichtigen und umso länger wird die Linie, weil sie immer mehr zusätzliche Schleifen und Schlenker um Steine, Kiesel und Sandkörner berücksichtigen muss. Konsequent zu Ende gedacht lautet darum die Antwort auf die Frage, wie lang eigentlich die Küste Großbritanniens sei: unendlich lang! Mit dieser Erkenntnis verblüffte einst der Pionier der Fraktalgeometrie Benoit Mandelbrot die Öffentlichkeit und machte zugleich anschaulich, was man sich unter einem Fraktal vorzustellen habe: Eine Struktur, die auf jeder Größenskala immer weiter zerklüftet ist und irgendwie im Prinzip makroskopisch, mikroskopisch und submikroskopisch gleich aussieht.
Fraktale begegnen uns überall in der Natur: Farnblätter, Blumenkohle, Wolken und so weiter. Sie alle lassen sich am Computer schnell nach den Regeln der fraktalen Geometrie aus dem Nichts erzeugen. Doch eine Struktur berechnen zu können, heißt noch nicht, die Mechanismen verstanden zu haben, nach denen sie in der realen Welt entsteht. Hier geht es nicht nach den beschreibenden Formeln, sondern nach den wirkenden Kräften. Und obwohl der fraktale Verlauf von Küsten immer gerne als einleitendes Beispiel aufgeführt wird, fehlte es bislang an schlüssigen Erklärungen, welche physikalischen Abläufe aus einer relativ gleichförmigen Linie einen zerklüfteten Übergang vom Meer zum Land machen.
Dieser Frage wandte sich ein französisch-italienisches Physiker-Team um Bernard Sapoval von der Ecole Polytechnique in Papaiseau zu. Für die Wissenschaftler sind aktuelle Küstenformen das Ergebnis eines Wechselspiels aus Widerstandsfähigkeit des Gesteins und der aggressiven Kraft der Erosion. Beide Kontrahenten lassen sich differenzierter betrachten: So gibt es Küstenabschnitte und Teile des Gesteins, die anfälliger sind und Regionen mit größerer Festigkeit. Erosion wiederum geht auf eine Vielzahl verschiedener Einflüsse zurück, wie Abrieb durch Sand, Luft und Wasser, thermische Ausdehnung, chemische Prozesse und so weiter, von denen einige schnell wirken, andere langsam.
In einem mathematischen Modell simulierten die Forscher, was passiert, wenn die schnellen Komponenten der Erosion – hauptsächlich der Wellengang – über längere Zeit auf eine anfangs recht gerade Küste einwirken. Sie beobachteten, wie das Wasser bald an den weniger stabilen Teilen des Gesteins nagte und Risse in den Küstenverlauf fraß, der dadurch schon ein wenig fraktaler wurde. Die kleinen Buchten und Fjorde machten den Weg frei zu weiteren "weichen" Bereichen, sodass mehr Land verloren ging. Doch nicht nur das Gestein wurde im Zuge der Küstenbildung verändert, auch die Wellen mussten sich der neuen Situation anpassen. Durch den unregelmäßigen Verlauf reflektierte das Gestein die Wellen anders, und es kam zu dämpfenden Überlagerungen. Je zerklüfteter die Küste, umso gemäßigter wurden die Wellen. Es stellte sich schließlich eine Art dynamisches Gleichgewicht ein, bei dem die Küste einen fraktalen Verlauf hatte, der sich zwar langsam änderte, aber nicht mehr stärker zerfressen wurde. Mathematisch gesprochen hatte die Küste eine fraktale Dimension von 4/3 erreicht, wobei auf dieser Skala eine gerade Linie eine 1 bekommen hätte und ein kompakter Klumpen eine 3.
Laut Modell knabbern also die Wellen an den Weichteilen allzu sanfter Küsten, bis sie sich bei einer entsprechend komplizierten Linie selbst mäßigen. Das klingt so plausibel, dass es auch für die echte Natur gelten könnte. Und für Spaziergänger mit besonders kurzen Beinen mag es als Trost dienen, dass die Strecke theoretisch bereits ihren endgültigen Schwierigkeitsgrad erreicht hat.
Genauer gesagt, hängt es vom Größenmaßstab ab. Je feiner der Blick auf eine Küstenlinie ausfällt, umso mehr Details sind zu berücksichtigen und umso länger wird die Linie, weil sie immer mehr zusätzliche Schleifen und Schlenker um Steine, Kiesel und Sandkörner berücksichtigen muss. Konsequent zu Ende gedacht lautet darum die Antwort auf die Frage, wie lang eigentlich die Küste Großbritanniens sei: unendlich lang! Mit dieser Erkenntnis verblüffte einst der Pionier der Fraktalgeometrie Benoit Mandelbrot die Öffentlichkeit und machte zugleich anschaulich, was man sich unter einem Fraktal vorzustellen habe: Eine Struktur, die auf jeder Größenskala immer weiter zerklüftet ist und irgendwie im Prinzip makroskopisch, mikroskopisch und submikroskopisch gleich aussieht.
Fraktale begegnen uns überall in der Natur: Farnblätter, Blumenkohle, Wolken und so weiter. Sie alle lassen sich am Computer schnell nach den Regeln der fraktalen Geometrie aus dem Nichts erzeugen. Doch eine Struktur berechnen zu können, heißt noch nicht, die Mechanismen verstanden zu haben, nach denen sie in der realen Welt entsteht. Hier geht es nicht nach den beschreibenden Formeln, sondern nach den wirkenden Kräften. Und obwohl der fraktale Verlauf von Küsten immer gerne als einleitendes Beispiel aufgeführt wird, fehlte es bislang an schlüssigen Erklärungen, welche physikalischen Abläufe aus einer relativ gleichförmigen Linie einen zerklüfteten Übergang vom Meer zum Land machen.
Dieser Frage wandte sich ein französisch-italienisches Physiker-Team um Bernard Sapoval von der Ecole Polytechnique in Papaiseau zu. Für die Wissenschaftler sind aktuelle Küstenformen das Ergebnis eines Wechselspiels aus Widerstandsfähigkeit des Gesteins und der aggressiven Kraft der Erosion. Beide Kontrahenten lassen sich differenzierter betrachten: So gibt es Küstenabschnitte und Teile des Gesteins, die anfälliger sind und Regionen mit größerer Festigkeit. Erosion wiederum geht auf eine Vielzahl verschiedener Einflüsse zurück, wie Abrieb durch Sand, Luft und Wasser, thermische Ausdehnung, chemische Prozesse und so weiter, von denen einige schnell wirken, andere langsam.
In einem mathematischen Modell simulierten die Forscher, was passiert, wenn die schnellen Komponenten der Erosion – hauptsächlich der Wellengang – über längere Zeit auf eine anfangs recht gerade Küste einwirken. Sie beobachteten, wie das Wasser bald an den weniger stabilen Teilen des Gesteins nagte und Risse in den Küstenverlauf fraß, der dadurch schon ein wenig fraktaler wurde. Die kleinen Buchten und Fjorde machten den Weg frei zu weiteren "weichen" Bereichen, sodass mehr Land verloren ging. Doch nicht nur das Gestein wurde im Zuge der Küstenbildung verändert, auch die Wellen mussten sich der neuen Situation anpassen. Durch den unregelmäßigen Verlauf reflektierte das Gestein die Wellen anders, und es kam zu dämpfenden Überlagerungen. Je zerklüfteter die Küste, umso gemäßigter wurden die Wellen. Es stellte sich schließlich eine Art dynamisches Gleichgewicht ein, bei dem die Küste einen fraktalen Verlauf hatte, der sich zwar langsam änderte, aber nicht mehr stärker zerfressen wurde. Mathematisch gesprochen hatte die Küste eine fraktale Dimension von 4/3 erreicht, wobei auf dieser Skala eine gerade Linie eine 1 bekommen hätte und ein kompakter Klumpen eine 3.
Laut Modell knabbern also die Wellen an den Weichteilen allzu sanfter Küsten, bis sie sich bei einer entsprechend komplizierten Linie selbst mäßigen. Das klingt so plausibel, dass es auch für die echte Natur gelten könnte. Und für Spaziergänger mit besonders kurzen Beinen mag es als Trost dienen, dass die Strecke theoretisch bereits ihren endgültigen Schwierigkeitsgrad erreicht hat.
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