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News: Ansatz für Therapie von Chorea Huntington

Die Anhäufung und Ablagerung unlöslicher Proteinaggregate bei neurodegenerativen Krankheiten kann durch spezifische Moleküle verhindert werden. In Experimenten gelang es einerseits, die Eiweißablagerungen durch chemische Substanzen zu blockieren. Andererseits zeigte sich, dass sogenannte Hitzeschockproteine die Eiweißverklumpung auflösen können. Damit bieten sich erstmals Ansatzpunkte für die Behandlung bestimmter neurodegenerativer Leiden wie Chorea Huntington.
1997 konnte eine von Dr. Erich Wanker geleitete Forschergruppe am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin nachweisen, dass zwischen dem genetischen Defekt hinter der Erbkrankheit Chorea Huntington (Veitstanz) und Missbildungen des entsprechenden Proteins – des Huntingtins – ein Zusammenhang besteht. Demnach führt eine übermäßig lange Wiederholungssequenz innerhalb des Huntingtin-Gens zu einer pathologisch langen Sequenz von Glutaminen innerhalb des Huntingtins. Das Huntingtin geht daraufhin von seiner normalen in eine so genannte Amyloid-Struktur um und bildet filzige Knäuel. Derartige Eiweißverfilzungen findet man auch bei Morbus Alzheimer, bei der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und bei der Rinderkrankheit BSE. Da die krankheitsrelevanten Proteine verlängerte Polyglutamin-Sequenzen aufweisen, werden diese Krankheiten auch als Polyglutamin-Krankheiten bezeichnet. Die davon betroffenen Nervenzellen „ersticken“ gewissermaßen an diesem Eiweißmüll und büßen dadurch ihre Funktion ein (vergleiche MPG-Spiegel 5/6 1997 „Tödliche Monotonie eines genetischen Dreiklangs“).

Seither suchen Wissenschaftler in vielen Laboren nach Mitteln und Wegen, um die Anhäufung und Ablagerung von unlöslichen Proteinaggregaten in Nervenzellen aufzuhalten oder sogar rückgängig zu machen. Kernfrage dabei ist, ob die Neurodegeneration direkt durch die Proteinablagerung hervorrufen wird. Zwei Forschungsgruppen aus dem Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und dem Max-Planck-Institut für Biochemie präsentieren jetzt neue Forschungsergebnisse, die den Verdacht erhärten, Eiweißablagerungen könnten die Ursache für das Absterben von Neuronenzellen bei neurodegenerativen Krankheiten sein. Die Forschungsgruppen von Erich Wanker am MPI für molekulare Genetik in Berlin und von Ulrich Hartl am MPI für Biochemie in München beschäftigen sich seit längerem mit Chorea Huntington und verwandten neurodegenerativen Störungen und der einhergehenden Anhäufung von Polyglutaminen zu amyloid-ähnlichen, faserigen Strukturen in den Nervenzellen.

Die Gruppe am Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik untersuchte verschiedene chemische Substanzen auf ihre Fähigkeit, diese Proteinablagerungen zu unterbinden. Mit Hilfe eines speziellen Filtrationsassays konnten die Forscher zeigen, daß der monoklonale Antikörper 1C2 und die Verbindungen Kongo Rot, Thioflavin S, Chrysamin G und Direct fast yellow die Aggregation des Krankheitsproteins, die Fibrillogenese, in Abhängigkeit von der Dosis verhindern. Diese Ergebnisse wurden durch Elektronenmikroskopie, Massenspektrometrie und Zellkulturuntersuchungen bestätigt. Bisher ist noch nicht bekannt, über welchen molekularen Mechanismus der Antikörper und die anderen molekularen Substanzen die Eiweißablagerungen unterbinden. Erich Wanker, Leiter der Berliner Gruppe, meint: „Es gibt Hinweise, dass der Antikörper die ursprüngliche Struktur des verlängerten Polyglutamintrakts stabilisiert und so die Aggregation blockiert, während Kongo Rot und seine Derivate die Nukleusbildung und das Wachstum der Fibrillen hemmen.“

Hingegen untersuchte die Gruppe von Professor Hartl am Max-Planck-Institut für Biochemie, wie sogenannte Hitzeschockproteine auf die Aggregation des Huntingtonproteins wirken. Hitzeschockproteine werden von allen Organismen produziert, wenn es ihnen zu heiß wird. Dann verliert Eiweiß seine Form: Eiweißfäden, die normalerweise in ganz bestimmten Spiralen, Schleifen oder Falten verlaufen müssen, um zu funktionieren, verknäulen sich. Im Innern liegende klebrige Stellen kommen nach außen, und das Eiweiß verfilzt. Genau an diese klebrigen Stellen binden die Hitzeschockproteine, so dass die Eiweiße nicht mehr untereinander verkleben können. Sie bleiben löslich und in Funktion.

Die in vitro Experimente am Martinsrieder Max-Planck-Institut ergaben nun, dass die Hitzeschock-Proteine Hsp 70 und Hsp 40 die Verklumpung des Krankheitsproteins zu unlöslichen Fibrillen unterdrücken. Stattdessen entstehen lösliche Aggregationszustände der Proteine. Diese unterscheiden sich im Mikroskop nicht sonderlich von den unlöslichen Proteinablagerungen. Doch scheinen die löslichen – im Gegensatz zu den unlöslichen Eiweißen – vom Proteasom, also der Verdauungsmaschine der Zelle – abgebaut zu werden. Hartl vermutet, dass die Hitzeschockproteine zudem den Einbau anderer, glutaminreicher Proteine in stabile Aggregate verhindern und sie so vor Funktionsverlust bewahren. In vivo Untersuchungen bei Hefekulturen stützen diese Hypothese (Proceedings of the National Academy of Sciences vom 6. Juni 2000 und 20. Juni 2000).

In beiden Studien gelang es, die Aggregatbildung zu verlangsamen oder einzudämmen. Die Experimente zeigen somit potentielle Ansatzpunkte für die Behandlung von Polyglutamin-Krankheiten wie Chorea Huntington auf. Die Gruppe von Erich Wanker wird als nächstes nach aggregationshemmenden, nicht-toxischen Verbindungen suchen, die über die Blut-Hirn-Schranke vordringen, um diese Substanzen dann in einem transgenen Maus-Modell testen zu können.

Die Forscher um Ulrich Hartl wollen Strategien und Substanzen finden, mit denen sich die Konzentration von Hitzeschockproteinen in neuronalen Zellen gezielt steigern läßt.

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