Saturn-Mission: Ansichtskarten aus dem Chemielabor
Alles vorläufig, meinten Forscher Ende Januar - und wiederholen dies bei der Präsentation der ersten nun sorgfältig aufgearbeiteten Daten, die eine kleine Sonde uns vom geheimnisvollsten Mitglieds der fernen Saturnwelt gesendet hat. Raum bleibt also für weitere Überraschungen.
Das letzte Lebenszeichen kam Freitag nachmittags um 5, am 14. Januar 2005 – spätestens 17 Minuten danach, so ergab die Datenobduktion, muss das Lebenserhaltungssystem sicherlich zusammengebrochen sein. Seitdem liegt ein Botschafter der Menschheit verlassen, tot und minus 179 Grad Celsius kalt auf dem Boden einer feindlichen Welt, rund acht Mal weiter von der Erde entfernt wie diese von der Sonne. Ganz sicher aber war sein Ende nicht umsonst, beweist nun die zu Hause gebliebene Armada der Verantwortlichen des Himmelfahrtskommandos.
Allerdings nicht alle – und ein paar Ungereimtheiten fallen im Licht der neuen Erkenntnisse sogar noch dringlicher ins Auge. Dazu zählt vor allem das "Methan-Nachschub-Rätsel", mit dem sich fast alle der beteiligten Wissenschaftler mehr oder weniger intensiv beschäftigten: Große Mengen von Methan und kleinere von komplexeren Kohlenwasserstoffen schwängern die Atmosphäre des Titan regelrecht und findet sich fast überall – in ihnen ist der Kohlenstoff gebunden, der auf Erde und Venus als Kohlendioxid durch die Atmosphären weht.
Atmosphäre in der Kühlschrankzone
CO2 aber braucht neben einem "C" auch zwei "O" – und eben an Sauerstoff mangelt es auf Titan, wie unter anderem Tobias Owen von der Universität von Hawaii zusammenfasst [1]. Der Hauptgrund ist die ungeheure Entfernung des Saturns zur Sonne: Wäre Titan ein sonnennaher innerer Miniplanet geworden, alles wäre wegen der größeren Wärmezufuhr anders gelaufen. So aber fror Wasser auf Titan gänzlich ein, Wasserdampf fehlte der Atmosphäre – und reaktiver Sauerstoff, der aus Wasserdampf gelegentlich frei wird, konnte Kohlenwasserstoffe demnach auch nie zu Kohlenoxiden oxidieren.
Was größere Niederschläge schufen, gehört zu den ansehnlichsten Ergebnissen des Huygens-Trips: Bilder der mitgeführten DISR-Kamera zeigen mäandernde, an ausgetrocknete Flusssysteme erinnernde Strukturen. Sie wurden wohl durch Kohlenwasserstoffströme ausgewaschen, die zeitweilig aus bergigen Regionen herab in flache Plateaus fließen. Eine Rolle bei der Landschaftsformung dürften dabei auch Kryovulkane spielen, die in regelmäßigen Abständen durch den Boden brechen und Kohlenwasserstoffe in die Umgebung spucken, berichten Marty Tomasko und Kollegen von der Universität von Arizona in Tucson [3].
Dort wo Huygens nach zwei Stunden und 28 Minuten Fallschirmspringerei mit knapp 18 Kilometern pro Stunde Geschwindigkeit aufprallte, war jedenfalls nichts von flüssigen Kohlenwasserstoffen zu sehen: Die Umgebung zeigte sich übersäht mit schmutzigen Wassereisbrocken von wenigen Zentimetern Durchmesser, der Boden offenbarte die Konsistenz von einer Art feuchtem Sand. Er setzt sich wohl aus einer Mischung von Eisbröckchen, abgeregneten Aerosolen und geringfügigen Flüssigkeitsmengen, deuten John Zarnecki und seine Kollegen von der Open-Universität die Ergebnisse des Science-Surface-Packs-Experiments von Huygens [4].
Das Methan-Rätsel ist noch nicht völlig gelöst
Wie überall natürlich auch vorhanden: Methan, das den Boden durchfeuchtet – und von der relativen heißen Sonde prompt lokal verdampft wurde, wie ein Anstieg des Messwertes nach dem Bodenkontakt nahe legt. Methan spielt auf Titan eben die Rolle von Wasser auf der Erde und wechselt zwischen gasförmigen und flüssigen Aggregatszuständen ebenso stetig wie zwischen Atmosphäre und Boden. Allerdings sollte Methan aus den höheren Gashüllenregionen eigentlich in recht kurzer Zeit ins Weltall entweichen – spätestens nach zehn bis zwanzig Millionen Jahren dürfte nichts von dem leichten Kohlenwasserstoff mehr nachzuweisen sein. Dass der viel ältere Titan sich immer noch in Methanschwaden hüllt, kann nur eines bedeuten: Irgendwo sorgt ein Kohlenwasserstoff-Reservoir unter der Oberfläche für Nachschub in der Titanluft, fassen Hasso Niemann und Kollegen vom Goddard Space Flight Center der Nasa zusammen [5].
Die Lagerstätten der Tiefe schafft geologische Aktivität nur ab und an zur Oberfläche und öffnet ihnen den Weg in die niedrigen Atmosphärenschichten. Dort einmal angekommen, wird es allerdings ziemlich heftig für die Methanmoleküle, wie die Windgeschwindigkeitsmessungen von Huygens bei seinem Absturz zeigen [6]. Michael Bird von der Universität Bonn und seine Mitstreiter fanden in den Daten bestätigt, dass die Winde um Titan in Rotationsrichtung des Mondes heulen und dabei in 120 Kilometern Höhe Spitzengeschwindigkeiten von 430 Kilometern pro Stunde erreichen. In Bodennähe herrscht dagegen mit rund dreieinhalb Kilometern pro Stunde gerade einmal die irdische Windstärke 1.
Für die merkwürdigsten Winddaten allerdings fehlt noch eine endgültige Begründung: In 60 bis 100 Kilometern Höhe, also etwas unterhalb der stürmischen Schichten, sanken die gemessenen Windstärken stellenweise auf nahezu ebenso niedrige Werte wie am Boden. Überhaupt lassen sich nicht nur sturmdurchtoste und flautelastige Atmosphärenschichten voneinander abgrenzen, ergänzen Francesca Ferri von der Universität von Padua und ihre Kollegen [7].
Das Team berichtet zudem über die Temperaturen und den Druck der Atmosphäre in verschiedenen Schichten, der gerade in höheren Schichten höher als erwartet war, über eine niedrige Ionosphäre zwischen 40 und 140 Kilometern über Titan-Normalnull – und sie maßen den bereits erwähnten frostigen Oberflächen-Temperaturwert, den die ausgediente Huygens-Sonde mittlerweile längst von der Umgebung übernommen hat. Zudem sind die Wissenschaftler ziemlich sicher, Spuren von Blitzen in den Titanwolken gemessen zu haben. Ein solches Bündel von elektrophysikalischen, oberflächen- und atmosphärenstrukturellen Eigenschaften wie bei Titan findet sich nirgendwo sonst im Sonnensystem, schließen Ferri und Co – außer auf der Erde selbst. Wäre Titan näher an der Sonne geboren – wer weiß, in welche Richtung sich der Chemiebaukasten dann entwickelt hätte.
Denn vor ihrem vorgezeichneten Verstummen hatte die per Fallschirm auf dem Saturnmond Titan gelandete Sonde Huygens eine Menge von atmosphärischen Ansichtskarten und elektronischen Schilderungen der fernen Welt gesendet – mehr Material, als Wissenschaftler in Jahren auswerten können. Nun präsentieren verschiedene Forschergruppen gleich acht Zusammenfassungen von dem, was Huygens auf dem fernen Mond im Saturnsystem angetroffen und mit seinen sechs Instrumentensinnen vermessen hat. Titan – der wolkenumhüllte Mond, der Anfang der 1980er Jahren den Augen der neugierigen irdischen Voyager-Späher mehr verborgen als enthüllt hat – muss dabei einige Geheimnisse preisgeben.
Allerdings nicht alle – und ein paar Ungereimtheiten fallen im Licht der neuen Erkenntnisse sogar noch dringlicher ins Auge. Dazu zählt vor allem das "Methan-Nachschub-Rätsel", mit dem sich fast alle der beteiligten Wissenschaftler mehr oder weniger intensiv beschäftigten: Große Mengen von Methan und kleinere von komplexeren Kohlenwasserstoffen schwängern die Atmosphäre des Titan regelrecht und findet sich fast überall – in ihnen ist der Kohlenstoff gebunden, der auf Erde und Venus als Kohlendioxid durch die Atmosphären weht.
Atmosphäre in der Kühlschrankzone
CO2 aber braucht neben einem "C" auch zwei "O" – und eben an Sauerstoff mangelt es auf Titan, wie unter anderem Tobias Owen von der Universität von Hawaii zusammenfasst [1]. Der Hauptgrund ist die ungeheure Entfernung des Saturns zur Sonne: Wäre Titan ein sonnennaher innerer Miniplanet geworden, alles wäre wegen der größeren Wärmezufuhr anders gelaufen. So aber fror Wasser auf Titan gänzlich ein, Wasserdampf fehlte der Atmosphäre – und reaktiver Sauerstoff, der aus Wasserdampf gelegentlich frei wird, konnte Kohlenwasserstoffe demnach auch nie zu Kohlenoxiden oxidieren.
Allein das Licht der fernen Sonne zündet in der seit Äonen tiefgekühlten Kohlenwasserstoff- Gashülle um Titan gelegentlich fotochemische Reaktionen und sorgte schließlich für den sauerstofffreien organisch-chemischen Smog, durch den Huygens vor einem knappen Jahr mit dem Fallschirm pendelte. Was im Chemiebauskasten der Titanwolken enthalten ist, analysierte dabei der ACP (Aerosol Collector and Pyrolyse) mit seinem angeschlossenen Gaschromatografen. Die Atmosphäre von Titan enthält demnach neben dem Kohlenwasserstoff-Löwenanteil allerhand stickstoffhaltiges wie Nitrile, Amine und Imine. Der organo-chemische Cocktail regnet aus den Titanwolken stetig auf den Boden und bedeckt ihn – vielleicht kilometerdick, spekulieren Guy Israel und seine Kollegen von der französischen CNRS [2].
Was größere Niederschläge schufen, gehört zu den ansehnlichsten Ergebnissen des Huygens-Trips: Bilder der mitgeführten DISR-Kamera zeigen mäandernde, an ausgetrocknete Flusssysteme erinnernde Strukturen. Sie wurden wohl durch Kohlenwasserstoffströme ausgewaschen, die zeitweilig aus bergigen Regionen herab in flache Plateaus fließen. Eine Rolle bei der Landschaftsformung dürften dabei auch Kryovulkane spielen, die in regelmäßigen Abständen durch den Boden brechen und Kohlenwasserstoffe in die Umgebung spucken, berichten Marty Tomasko und Kollegen von der Universität von Arizona in Tucson [3].
Dort wo Huygens nach zwei Stunden und 28 Minuten Fallschirmspringerei mit knapp 18 Kilometern pro Stunde Geschwindigkeit aufprallte, war jedenfalls nichts von flüssigen Kohlenwasserstoffen zu sehen: Die Umgebung zeigte sich übersäht mit schmutzigen Wassereisbrocken von wenigen Zentimetern Durchmesser, der Boden offenbarte die Konsistenz von einer Art feuchtem Sand. Er setzt sich wohl aus einer Mischung von Eisbröckchen, abgeregneten Aerosolen und geringfügigen Flüssigkeitsmengen, deuten John Zarnecki und seine Kollegen von der Open-Universität die Ergebnisse des Science-Surface-Packs-Experiments von Huygens [4].
Das Methan-Rätsel ist noch nicht völlig gelöst
Wie überall natürlich auch vorhanden: Methan, das den Boden durchfeuchtet – und von der relativen heißen Sonde prompt lokal verdampft wurde, wie ein Anstieg des Messwertes nach dem Bodenkontakt nahe legt. Methan spielt auf Titan eben die Rolle von Wasser auf der Erde und wechselt zwischen gasförmigen und flüssigen Aggregatszuständen ebenso stetig wie zwischen Atmosphäre und Boden. Allerdings sollte Methan aus den höheren Gashüllenregionen eigentlich in recht kurzer Zeit ins Weltall entweichen – spätestens nach zehn bis zwanzig Millionen Jahren dürfte nichts von dem leichten Kohlenwasserstoff mehr nachzuweisen sein. Dass der viel ältere Titan sich immer noch in Methanschwaden hüllt, kann nur eines bedeuten: Irgendwo sorgt ein Kohlenwasserstoff-Reservoir unter der Oberfläche für Nachschub in der Titanluft, fassen Hasso Niemann und Kollegen vom Goddard Space Flight Center der Nasa zusammen [5].
Antworten auf die Preisfrage des Methan-Nachschub- Rätsels, welcher Art ein solches Reservoir sein könnte, sind derzeit noch Spekulation – sicher wird das Methan zumindest nicht durch irgendwelche methanogenen Lebensformen produziert. Ein weiteres Ergebnis der Huygens-Datenanalyse – der Nachweis eines schweren Argon-Isotops – scheint aber zumindestens den Verdacht zu erhärten, dass CH4 aus unterirdischen Lagerstätten frei wird. Die gefundene Argon-Variante entsteht nur durch den radioaktiven Zerfall von Kalium und kann damit eigentlich nur aus Gesteinsschichten unterhalb der Eisdecke von Titan stammen. Irgendwo dort sind wohl auch große Mengen von Kohlenwasserstoffen gebunden – vielleicht schlicht in mächtigen, einstmals abgeregneten Schichten, die längst von Eis bedeckt sind, vielleicht spektakulär am Grunde von ewig gefrorenen Ozeanen unter der Deckschicht. Dort könnten die Methane in Wasserkristallkäfigen gefangen als so genannte Clathrat-Hydrate vorliegen.
Die Lagerstätten der Tiefe schafft geologische Aktivität nur ab und an zur Oberfläche und öffnet ihnen den Weg in die niedrigen Atmosphärenschichten. Dort einmal angekommen, wird es allerdings ziemlich heftig für die Methanmoleküle, wie die Windgeschwindigkeitsmessungen von Huygens bei seinem Absturz zeigen [6]. Michael Bird von der Universität Bonn und seine Mitstreiter fanden in den Daten bestätigt, dass die Winde um Titan in Rotationsrichtung des Mondes heulen und dabei in 120 Kilometern Höhe Spitzengeschwindigkeiten von 430 Kilometern pro Stunde erreichen. In Bodennähe herrscht dagegen mit rund dreieinhalb Kilometern pro Stunde gerade einmal die irdische Windstärke 1.
Für die merkwürdigsten Winddaten allerdings fehlt noch eine endgültige Begründung: In 60 bis 100 Kilometern Höhe, also etwas unterhalb der stürmischen Schichten, sanken die gemessenen Windstärken stellenweise auf nahezu ebenso niedrige Werte wie am Boden. Überhaupt lassen sich nicht nur sturmdurchtoste und flautelastige Atmosphärenschichten voneinander abgrenzen, ergänzen Francesca Ferri von der Universität von Padua und ihre Kollegen [7].
Das Team berichtet zudem über die Temperaturen und den Druck der Atmosphäre in verschiedenen Schichten, der gerade in höheren Schichten höher als erwartet war, über eine niedrige Ionosphäre zwischen 40 und 140 Kilometern über Titan-Normalnull – und sie maßen den bereits erwähnten frostigen Oberflächen-Temperaturwert, den die ausgediente Huygens-Sonde mittlerweile längst von der Umgebung übernommen hat. Zudem sind die Wissenschaftler ziemlich sicher, Spuren von Blitzen in den Titanwolken gemessen zu haben. Ein solches Bündel von elektrophysikalischen, oberflächen- und atmosphärenstrukturellen Eigenschaften wie bei Titan findet sich nirgendwo sonst im Sonnensystem, schließen Ferri und Co – außer auf der Erde selbst. Wäre Titan näher an der Sonne geboren – wer weiß, in welche Richtung sich der Chemiebaukasten dann entwickelt hätte.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.