News: Anspruch und Wirklichkeit in der DDR
Bisher haben sich die Soziologen nur den 80er Jahren gewidmet. Die Informationen, die die DDR selbst über ihre Kader gesammelt hat, geben ein Bild davon ab, "wie die DDR wirklich funktioniert hat", meint Best. Auch in der DDR agierte nicht der sozialistische Mensch, sondern eine durchaus heterogene Elite, die zum Teil über Traditionen und Milieueinbindungen verfügte, die selbst durch den Sozialismus nicht gebrochen wurden.
Andere Selbstbilder müssen ebenfalls dank der hervorragenden Daten zurechtgerückt werden. "Der Anteil der Frauen nimmt über die Hierarchieebenen kontinuierlich ab", nennt Best ein Beispiel. "Strukturell unterscheidet sich das vom Westen kaum", ergänzt Hornbostel. Eine Ausnahme seien allerdings die die Räte der Bezirke gewesen. Dort, im politisch kontrollierten Sektor, existierte ein Quotenfrauen-Phänomen, das sich aber auf der zentralen Ebene, zum Beispiel in den Ministerien, nicht fortsetzte.
"Im Wirtschaftsbereich ist es die Fachqualifikation, die zählt", tritt Best einem weiteren Vorurteil entgegen. Die Führungsebene war zwar in erheblichem Maße überbesetzt, wodurch auch politische Kader in den Betrieben überleben konnten, aber auf der Arbeitsebene war es die fachliche Qualifikation, die jemanden zum Leiter machte und nach der Wende vielen Industriemanagern das Bleiben ermöglichte. Außerdem wurde eine SED-Mitgliedschaft für Hochschüler in den 80er Jahren immer normaler und war damit nicht notwendigerweise ein Garant für Linientreue. "Auch in der DDR wurde die Wertbindung immer geringer", nennt Best einen weiteren Grund für die Lösung aus der politischen Kontrolle.
Diese Entwicklungen "deuten darauf hin, daß keineswegs alles vollständig politisiert wurde", analysiert Hornbostel. Nicht alle Kaderpositionen in den Betrieben und einigen Kombinaten waren mit SED-Mitgliedern besetzt, auch weil es teilweise schwer war, geeignete parteitreue Funktionsträger zu finden. "Die unmittelbare politische Kontrolle ist zum Teil bewußt zurückgenommen worden", hat Hornbostel ermittelt. Andererseits sind die Betriebe aus der politischen Obhut auch deshalb entlassen worden, weil sie nicht so kontrollbedürftig waren, denn die Aufsicht erfolgte von Außen, durch Partei und Staat.
Es gab keine einheitliche Elite der DDR, sondern "ein Ensemble von Individuen", faßt Best zusammen. Dieses Ensemble entwickelte sich im Lauf der Jahre planwidrig durch Selbstrekrutierung weiter. Der Kaderdatenspeicher, der zunächst dazu diente, das eigene Humankapital zu erfassen, zu qualifizieren und zu kontrollieren, lieferte der Staatsführung eine gute und umfangreiche Datensammlung über die Führungsgruppen und deren Zusammensetzung – also über die Elite der DDR jenseits der Parteielite. "Das Wissen um den eigenen Zustand war vorhanden", ist sich Best sicher, "aber die Erkenntnisse sind nicht wahrgenommen worden" – nur so wurde auch die Wende möglich.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben