Anthropozän: Das Zeitalter des Menschen soll 1950 begonnen haben
Geologen schlagen als formellen Beginn des Zeitalters des Menschen ein Jahr um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts vor. Als Referenz für den Start des so genannten Anthropozäns soll eine Sedimentabfolge aus einem kleinen See in Kanada dienen, wie die dafür zuständige Expertengruppe, die Anthropocene Working Group (AWG), bekannt gab. Konkret favorisieren die Forscher eine Sedimentlage aus dem Jahr 1950.
Geologen teilen die Erdgeschichte in verschiedene Zeitalter ein. Demnach leben wir derzeit im Holozän, das vor knapp 12 000 Jahren begann. Da die Menschheit aber zuletzt die Erde – unter anderem durch den Ausstoß von Treibhausgasen und die Zerstörung von Ökosystemen – massiv verändert hat, sehen Experten verschiedener Fachrichtungen inzwischen das Zeitalter des Menschen angebrochen.
Bislang ist das Anthropozän noch nicht formal nach geologischen Maßstäben definiert. Dafür braucht es in der Regel eine konkrete Sedimentprobe als Standard. Darauf können sich dann weltweit Forscher beziehen, wenn sie eigene Untersuchungen bei sich vor Ort machen.
Ablagerungen von Kernwaffentests als Geomarker
Die Probe vom Grund des Lake Crawford im Südosten Kanadas ist ein Bohrkern, der durch saisonale Ablagerungen auf dem Seeboden sichtbare Jahreslinien hat. Dadurch können Forscher relativ einfach feststellen, welcher Abschnitt in welches Jahr fällt. Den Beginn des Menschenzeitalters machen die Experten an Geomarkern in der Probe fest, allen voran an radioaktiven Niederschlägen von Atomwaffentests nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Plutoniumisotope sind weltweit nachweisbar.
Die AWG schlägt die Zeit um 1950 auch deshalb als Beginn des Anthropozäns vor, weil die weit reichenden Veränderungen dieser Zeit rund um den Globus Spuren in allen Sedimenten hinterlassen haben. Der Beginn der Industrialisierung hingegen, auch ein denkbarer Start des Anthropozäns, ist in manchen Regionen kaum geologisch feststellbar, da sich diese Entwicklung zunächst auf bestimmte Teile der Welt wie die USA und Europa konzentrierte.
Die Idee, dass es so etwas wie ein eigenes Erdzeitalter des Menschen braucht, ist allerdings unter Forscherinnen und Forschern nicht unumstritten. So argumentieren manche Fachleute etwa, dass der Mensch bereits im Holozän damit begonnen habe, Ökosysteme tief greifend zu verändern. Sie warnen auch davor, die Erdzeitalter zu politisieren: Vielen Befürwortern des Anthropozäns könnte mehr daran gelegen sein, die menschengemachte Umweltzerstörung anzuprangern, als die geologische Zeitskala wissenschaftlich solide zu ergänzen.
Welche Seite sich am Ende durchsetzen wird, ist bislang offen: Um als allgemein gültiger Standard zu gelten, müssen drei übergeordnete Gremien ebenfalls über den AWG-Vorschlag abstimmen. Eine Entscheidung könnte bis August 2024 fallen. (dpa/dam)
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