Gesundheit: Antibiotikaresistenzen - vernachlässigte Gefahr der Dritten Welt
"Es wird keine zehn Jahre dauern, bis die Bakterienstämme gegen die meisten nützlichen Antibiotika vollständig resistent geworden sein werden." Celestino Obua klingt resigniert. Eben noch erzählte er aufgeregt, dass er erst vor ein paar Wochen eine schwere Bronchitis hatte, ein Arzt ihm Antibiotika verschrieb, es ihm nach ein paar Tagen besser ging. Sein Arzt habe richtig gehandelt, sagt der Ugander. Er selbst habe die Antibiotika wirklich gebraucht, da sei er sich sicher. Immerhin ist er selbst Pharmazieprofessor. Sein Büro befindet sich auf dem Gelände des Universitätskrankenhauses in Kampala.
Doch dann wird Obua nachdenklich, er redet nun langsamer: Immer mehr Menschen würden nicht mehr auf Antibiotika reagieren – das berichteten ihm seine Medizinerkollegen, und das belegten immer mehr Studien. "Eine Lungenentzündung zum Beispiel sollte vor allem mit dem Antibiotikum Cotrimoxaxol behandelt werden. Das hatte eine Leitlinie empfohlen. Aber mittlerweile zeigen uns Daten, dass mehr als 80, 90 Prozent unserer Patienten resistent gegen diesen Wirkstoff sind." Daraufhin wurde Amoxicillin als Alternative empfohlen, erzählt Obua. Aber es gebe eben schon Patienten, die auch gegen dieses Antibiotikum resistent sind. Wenn sich also der Trend so fortsetze wie bisher, dann sei das der "worst case", sagt Obua.
"Jeden Tag nehme ich 17 Tabletten: 14 am Morgen, drei am Abend. Dazu noch eine Spritze. Und zwei Pillen gegen HIV", erzählt ein paar Tage später in Kenia ein Mann, der sich Oteng'e nennt. Oteng'e hat eine multiresistente Tuberkulose: Kaum noch ein Antibiotikum kommt gegen die Mykobakterien in seiner Lunge an; der große Medikamentenmix soll es nun richten. Noch ist er hochinfektiös. Deswegen ist der Mann mit einer kleinen Maske über Mund und Nase unterwegs. Und deswegen erlaubt eine Ärztin das Interview mit ihm auch nur, wenn es unter freiem Himmel stattfindet. Also setzt sich Oteng'e auf einen weißen Plastikstuhl hinter dem Gebäude des Nationalen Tuberkulose-Referenzlabors in Nairobi. Die Ärztin teilt kleine, primitive Gesichtsmasken aus.
Erst danach darf sich der 48 Jahre alte Mann seine eigene Maske abnehmen, um besser erzählen zu können: Wie er sich wohl 1997 in einem Gefängnis das erste Mal mit dem Tuberkulosebakterium infiziert habe, wie erfolgreich die Behandlung gewesen sei, wie dann 2013 festgestellt wurde, dass er sich in der Zwischenzeit mit dem Aidserreger HIV angesteckt hatte und die Tuberkuloseinfektion wieder aktiv geworden ist. Nur: Diesmal half die Standardtherapie nicht mehr. Oteng'e fragt sich ständig: "Woher habe ich das? Von anderen Menschen? Oder ist das in mir entstanden? Warum habe ich diese Tuberkulose? Ich habe es nicht herausgefunden."
Antibiotika gegen jeden Husten, alle halbe Jahre
Der Mann mit dem blauen Hemd und braunen Sakko erzählt viel und gerne. Und so berichtet er auch: "Wann immer ich dann einen Husten hatte, bin ich nicht zum Tuberkulosetest gegangen. Ich habe einfach irgendwo ein paar Antibiotika gekauft und sie geschluckt." Die Vermutung liegt nahe, dass dies der Grund oder zumindest ein Grund ist, warum Oteng'e nun nicht mehr auf die Standardbehandlung gegen Tuberkulose anspricht. Celestino Obua, der Pharmazieprofessor aus Uganda, kennt solche Geschichten. So nachsichtig wie frustriert erzählt er: "Irgendwann kommen die Menschen dann in ein Krankenhaus, sind wirklich krank, können aber nicht sagen, was sie genommen haben und wie oft und wie lange." Dann müssten die Ärzte verschiedene Antibiotika durchprobieren – im Labor oder direkt am Patienten – und verlören nur Zeit, bis sie dem Kranken wirklich helfen könnten.
In Industrieländern wie Deutschland mögen multiresistente Krankenhauskeime und Antibiotika in der Tierhaltung Sorgen bereiten, aber in Entwicklungsländern wie Kenia und Uganda breiteten sich die Antibiotikaresistenzen aus anderen Gründen aus, sagt Obua – und beginnt aufzuzählen: "Der erste Grund ist, dass in Entwicklungsländern mehr Menschen Infektionskrankheiten haben und deswegen viele Antibiotika gebraucht werden. Zweitens fehlt das Wissen, was gut und was schlecht ist, wenn man Antibiotika verwendet. Und drittens sind der Zugang und die Verfügbarkeit von Antibiotika nicht reguliert; es kommen Antibiotika in unser Land und werden hier verkauft, obwohl sie nicht einmal registriert sind." Der Pharmakologe kritisiert außerdem, dass zu viele "Unprofessionelle" im Geschäft mit Medikamenten mitmischen – Menschen, die nicht dafür ausgebildet sind, Patienten zu behandeln oder Medikamente zu verteilen. "Wir haben sogar ein Gesetz in Uganda, dem zufolge Antibiotika und andere Medikamente nur auf Rezept erhältlich sind. Aber dieses Gesetz wird überhaupt nicht durchgesetzt."
Studien und Schätzungen im Nachbarland Kenia haben dazu passend ergeben: Bevor die Kranken zum Arzt kommen, war gut jeder zweite von ihnen schon einmal in einer Dorfapotheke. Und mehr als zwei Drittel aller Apotheken verkaufen Antibiotika ohne Rezept. Nicht nur in Kenia und Uganda ist das üblich, sondern auch in anderen Entwicklungsländern. Dort ist es auch normal, dass man nicht eine ganze Packung Antibiotika kauft, sondern nur ein, zwei, drei Tabletten – je nachdem, wie viel Geld man gerade übrig hat. Und dann kommt man wieder, wenn man die nächste Dosis bezahlen kann. Aber wenn man Antibiotika nicht konsequent zu Ende nimmt, überleben ein paar zähere Bakterien – so entstehen Resistenzen. Ganz zu schweigen davon, ob das eine oder andere Antibiotikum ohne Rezept überhaupt das richtige ist, ja, ob man die Medikamente überhaupt bräuchte.
"Post-Antibiotika-Ära" steht bevor
Noch im 21. Jahrhundert könnte der Zeitpunkt kommen, ab dem bakterielle Infektionen wieder so behandelt werden müssen wie im 19. Jahrhundert: ohne Antibiotika. Das befürchten Experten schon seit einer Weile, zum Beispiel das Netzwerk "ReAct – Action on Antibiotic Resistance". Auch die Weltgesundheitsorganisation ist mittlerweile ernsthaft besorgt. Im Frühjahr 2014 warnte sie so deutlich wie noch nie: Die Gefahr der Antibiotikaresistenzen ist keine Prophezeiung mehr, sondern sie entstehe genau jetzt, und zwar überall in der Welt. Der dazugehörige WHO-Bericht ist einzigartig: fast 300 Seiten lang und voller Zahlen und Beispiele aus der ganzen Welt – und das trotz zahlreicher Datenlücken, etwa weil Länder das Problem nicht im Detail oder nicht zentral erfassen.
Deswegen fordert die Weltgesundheitsorganisation nun ihre Mitgliedsländer zu zwei Dingen auf: Zum einen sollen sie ein besseres Überwachungssystem aufbauen; zum anderen sollen sie dafür sorgen, dass Antibiotika vernünftiger eingesetzt werden. Auf dass die Medikamente schließlich länger wirksam sein können.
Teil 1: Das rätselhafte Kopfnick-Syndrom
Teil 2: Epilepsie – zu viele Würmer, zu wenig Neurologen
Teil 3: Typhus – die vernachlässigte Slum-Krankheit
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