Selektiver Killer: Antibiotikum verschont gezielt die Darmflora
Auch wenn immer mehr Mikroorganismen Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln, sind die Wirkstoffe immer noch die wichtigste Waffe gegen Infektionskrankheiten. Doch die Medikamente sind nicht selektiv genug: Sie töten nicht nur die gefährlichen Keime, sie schädigen zudem die natürlich im und am Menschen wohnenden Bakterien. Dadurch stören sie die Funktion zum Beispiel des Mikrobioms im Darm und entvölkern Nischen, die dann von schädlichen Keimen besiedelt werden können. Ein neues Antibiotikum, entwickelt von einem Team um Paul J. Hergenrother von der University of Illinois at Urbana-Champaign, verschont nun die Darmflora, während es effektiv eine große Zahl bekannter Krankheitserreger bekämpft. Wie das Team in der Fachzeitschrift »Nature« berichtet, wirkt der Stoff Lolamicin gegen ein molekulares Ziel, das bei harmlosen Mitbewohnern deutlich anders ausgeprägt ist als bei krank machenden Bakterien.
Lolamicin wirkt gegen den LolCDE-Komplex, eine Transportstruktur, die so genannte Lipoproteine zur äußeren Zellmembran liefert. Diese Moleküle sind notwendig, um die Bakterien wachsen zu lassen, außerdem spielen sie eine bedeutsame Rolle bei Antibiotikaresistenzen. Das Antibiotikum zielt also besonders auf solche schwer zu bekämpfenden Krankheitserreger ab. Wie die Arbeitsgruppe berichtet, wirkte es in den Versuchen gegen 130 bekannte resistente Keime. Insbesondere jedoch ist LolCDE wichtig bei gramnegativen Bakterien. Diese haben eine zweite, sehr robuste äußere Zellmembran, die ihre Bekämpfung erschwert. Für deren Bildung ist LolCDE besonders entscheidend.
Viele gefährliche Krankheitserreger wie Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter baumannii sind gramnegativ. Dagegen sind zahlreiche harmlose und wichtige Darmbakterien grampositiv und besitzen keinen LolCDE-Komplex. Deswegen entwickelten Mäuse im Tierversuch nach der Behandlung mit Lolamicin nicht die typische Störung des Darmmikrobioms, wie sie Breitbandantibiotika oft auslösen. Diese so genannte Dysbiose begünstigt ihrerseits schwere Infektionen, beispielsweise mit dem hartnäckigen Durchfallerreger Clostridium difficile. Zur besseren Verträglichkeit trage auch bei, dass die in der Darmflora auftretenden gramnegativen Bakterien meist einen deutlich anderen LolCDE-Komplex haben als ihre krank machenden Verwandten, schreibt die Arbeitsgruppe.
Ob und wann ein Medikament auf Basis von Lolamicin auch bei Menschen zum Einsatz kommt, ist aber völlig unklar. Der Wirkstoff bindet bisher noch nicht gut genug an die Zielsubstanz, und in den Experimenten traten zudem sehr schnell Resistenzen auf. Deswegen müssen die Fachleute das Molekül noch weiter verbessern, bevor Tests an Menschen beginnen können. Und selbst dann ist der Erfolg zweifelhaft: Die Mehrzahl der Wirkstoffe scheitert in den klinischen Studien, etwa, weil sie zu schwere Nebenwirkungen haben. Offen ist außerdem, wie die weitere Entwicklung finanziert wird. Das Wirkprinzip von Lolamicin zeigt jedoch, dass Antibiotika das Mikrobiom nicht zwangsläufig schädigen müssen. Das Team um Hergenrother hofft deswegen, dass der Stoff Vorbild für weitere Moleküle mit ähnlichen Eigenschaften wird.
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