Immunologie: Antigen-Gerüste und Vielseitigkeit gegen HIV
Anstatt das Rad zum zweiten Mal zu erfinden, würden Mediziner im Kampf gegen das HI-Virus lieber jene Waffen schärfen, die unser Körpers ohnehin schon einzusetzen versteht. Zum Beispiel möchten sie von Antikörpern lernen, die besonders HIV-resistente Menschen schützen. Die Besonderheiten dieser wirksamsten antiviralen Werkzeuge sind allerdings gar nicht so leicht zu verstehen – und noch weniger einfach zu kopieren, wie zwei Forschergruppen nun zusammenfassen.
Beide Teams berichten von den Schwierigkeiten, die auftauchen, wenn man den Körper durch Impfstoffe auf wirksame Angriff gegen Oberflächenproteine der Virushülle einschwören möchte. Ein Attackenziel könnte zum Beispiel das Glykoprotein gp41 des sonst so unangreifbaren Virus sein – immer drei dieser Protein bilden, mitsamt dreier gp120-Proteine, die dornförmigen Auswüchse oder Spikes auf der Virusoberfläche. Der Erreger benötigt sie, um Zellen zu infizieren; sie binden an bestimmte Strukturen in der Membran der Wirtszelle und sorgen dafür, dass das Viruserbgut dort eindringen kann. Könnte man die Spikes blockieren, dann würde das die Infektion vielleicht verhindern.
Leider aber funktioniert die Angel aus nachgebauten Spikes in der Praxis weniger selektiv als gedacht – ein mysteriöses Problem, das Peter Kwong von den National Institutes of Health in Bethesda nun näher beleuchtet hat [1]. Ursache, so ahnten die Forscher, ist unter anderem die wandelbare Struktur des gp41-Epitops. Denn im Normalfall bildet es eine gestreckte Helix aus – bindet aber ein Antikörper wie 2F5 an das Epitop, so knickt es ein, streckt sich und erscheint flugs ziemlich anders.
In dieser allein per Antikörper-Andocken erreichten, geknickt-verlängerten Form ist das Antigen nun aber wertvoller, so die Forscher weiter: Denn an gp41-Antigene, die durch 2F5-Antikörper umgeformt werden, binden wieder andere Anti-HIV-Antikörper jetzt viel besser – und so eignen sie sich demnach wohl auch weitaus besser als Angel, um neue Waffen gegen HIV aufzuspüren. Darüber hinaus sollten sie aber im Blut von Patienten auch als Impfstoffe wirksamer sein: Ein Kontakt des Immunsystems mit dem Antigen-Gerüst dürfte eine größere Bandbreite von potenten Antikörpern stimulieren.
Mit den unterschiedlichen Antikörpern, die das Immunsystem im Verlauf einer HI-Infektion gegen die gp41-Proteine des Virus auffährt, beschäftigten sich auch Michel Nussenzweig von der Rockefeller University in New York und seine Kollegen [2]. Und auch sie fanden heraus, dass im dynamischen Körpergeschehen manches anders funktioniert als auf dem Labor-Reißbrett vermutet.
Wie andere Forscher hatten sich auch Nussenzweig und Kollegen darüber gewundert, warum das HI-Virus nur erstaunlich wenige Spikes auf der Oberfläche zeigt – schließlich sollte eine größere Zahl die Effizienz der Infektion erhöhen. Offenbar aber unterläuft ein Virus mit dünn gestreuten Spikes die Gegenmaßnahmen unseres Immunsystems besser, vermuten die Wissenschaftler nun – und zwar weil ein einzelner Durchschnitts-Antikörper nur schlecht an ein vereinzelt stehendes Spike andocken kann.
Der Grund: Normale Y-förmige Antikörper sind "homotypisch bivalent", will heißen, sie binden mit beiden kurzen Y-Armen gemeinsam an gleiche Strukturen, also etwa ein gp41-Protein. Ein HIV-Spike ist aber klein und besitzt nur eine Andockstelle – weshalb sich die Antikörper hier nur mit einem Arm ineffektiv festhalten können, solange nicht zufällig ein zweiter Spike für den freien Arm ganz nahe liegt. HIV dünnt offenabr die Spikes aus, damit Antikörper nur einarmig zupacken können.
Auf diesen Trick des Virus, so fanden Nussenzweig und Kollegen nun heraus, reagiert unser Immunsystem aber im Lauf der Zeit: HIV-Infizierte bilden nach einiger Zeit immer mehr "polyreaktive" Antikörper aus, also solche, die mit dem einen Arm zum Beispiel gp41 packen und mit dem anderen ein nahe liegendes anderes Protein, etwa in der Virusmembran unter dem Spike. Solche Antikörper funktionieren auch dann noch gut, wenn die gp41-haltigen Spikes weit voneinander entfernt stehen – und genau deshalb sind etwa 75 Prozent aller neutralisierenden Antikörper, die aus seit langer Zeit überlebenden HIV-infizierten Patienten isoliert werden, polyreaktiv. Offenbar reagiert das Immunsystem also auf eine HIV-Infektion, indem es aus dem verfügbaren Antikörperangebot die seltenen polyreaktiven heraussucht und vermehrt.
Mit ihnen kann nachweislich ein Virus neutralisiert werden – leider aber reicht das nicht aus, um eine HIV-Infektion auf Dauer niederzukämpfen. Immerhin, die Erkenntnisse der beiden Wissenschaftlergruppen liefern zwei neue Anforderungen, die ein HIV-Impfstoff der Zukunft erfüllen sollte, um dem Körper eine wirksame Antikörperantwort zu entlocken: Mit den Antigen-Antikörper-Gerüsten von Kwong und Co kann ein Epitop in natürlicher Raumstruktur wirksamer präsentiert werden – diese Epitope sollten aber vielleicht nicht allzu dicht gepackt werden, damit der Körper dazu angeregt wird, die polyreaktiven Antikörper zu bilden, die gegen das Virus wirksamer einschreiten können. (jo)
Beide Teams berichten von den Schwierigkeiten, die auftauchen, wenn man den Körper durch Impfstoffe auf wirksame Angriff gegen Oberflächenproteine der Virushülle einschwören möchte. Ein Attackenziel könnte zum Beispiel das Glykoprotein gp41 des sonst so unangreifbaren Virus sein – immer drei dieser Protein bilden, mitsamt dreier gp120-Proteine, die dornförmigen Auswüchse oder Spikes auf der Virusoberfläche. Der Erreger benötigt sie, um Zellen zu infizieren; sie binden an bestimmte Strukturen in der Membran der Wirtszelle und sorgen dafür, dass das Viruserbgut dort eindringen kann. Könnte man die Spikes blockieren, dann würde das die Infektion vielleicht verhindern.
Medizinern gelang es auch vor einiger Zeit, die exponierten gp41-Partien der Spikes nachzubauen, um mit ihm als Angel jene Antikörper aus dem Blut von Patienten herauszufischen und zu untersuchen, die an die Spikes binden. Einige potenziell wirksame Immunwaffen konnten so tatsächlich schon isoliert werden – zum Beispiel der Breitband-Anti-HIV-Antikörper "2F5".
Leider aber funktioniert die Angel aus nachgebauten Spikes in der Praxis weniger selektiv als gedacht – ein mysteriöses Problem, das Peter Kwong von den National Institutes of Health in Bethesda nun näher beleuchtet hat [1]. Ursache, so ahnten die Forscher, ist unter anderem die wandelbare Struktur des gp41-Epitops. Denn im Normalfall bildet es eine gestreckte Helix aus – bindet aber ein Antikörper wie 2F5 an das Epitop, so knickt es ein, streckt sich und erscheint flugs ziemlich anders.
In dieser allein per Antikörper-Andocken erreichten, geknickt-verlängerten Form ist das Antigen nun aber wertvoller, so die Forscher weiter: Denn an gp41-Antigene, die durch 2F5-Antikörper umgeformt werden, binden wieder andere Anti-HIV-Antikörper jetzt viel besser – und so eignen sie sich demnach wohl auch weitaus besser als Angel, um neue Waffen gegen HIV aufzuspüren. Darüber hinaus sollten sie aber im Blut von Patienten auch als Impfstoffe wirksamer sein: Ein Kontakt des Immunsystems mit dem Antigen-Gerüst dürfte eine größere Bandbreite von potenten Antikörpern stimulieren.
Mit den unterschiedlichen Antikörpern, die das Immunsystem im Verlauf einer HI-Infektion gegen die gp41-Proteine des Virus auffährt, beschäftigten sich auch Michel Nussenzweig von der Rockefeller University in New York und seine Kollegen [2]. Und auch sie fanden heraus, dass im dynamischen Körpergeschehen manches anders funktioniert als auf dem Labor-Reißbrett vermutet.
Wie andere Forscher hatten sich auch Nussenzweig und Kollegen darüber gewundert, warum das HI-Virus nur erstaunlich wenige Spikes auf der Oberfläche zeigt – schließlich sollte eine größere Zahl die Effizienz der Infektion erhöhen. Offenbar aber unterläuft ein Virus mit dünn gestreuten Spikes die Gegenmaßnahmen unseres Immunsystems besser, vermuten die Wissenschaftler nun – und zwar weil ein einzelner Durchschnitts-Antikörper nur schlecht an ein vereinzelt stehendes Spike andocken kann.
Der Grund: Normale Y-förmige Antikörper sind "homotypisch bivalent", will heißen, sie binden mit beiden kurzen Y-Armen gemeinsam an gleiche Strukturen, also etwa ein gp41-Protein. Ein HIV-Spike ist aber klein und besitzt nur eine Andockstelle – weshalb sich die Antikörper hier nur mit einem Arm ineffektiv festhalten können, solange nicht zufällig ein zweiter Spike für den freien Arm ganz nahe liegt. HIV dünnt offenabr die Spikes aus, damit Antikörper nur einarmig zupacken können.
Auf diesen Trick des Virus, so fanden Nussenzweig und Kollegen nun heraus, reagiert unser Immunsystem aber im Lauf der Zeit: HIV-Infizierte bilden nach einiger Zeit immer mehr "polyreaktive" Antikörper aus, also solche, die mit dem einen Arm zum Beispiel gp41 packen und mit dem anderen ein nahe liegendes anderes Protein, etwa in der Virusmembran unter dem Spike. Solche Antikörper funktionieren auch dann noch gut, wenn die gp41-haltigen Spikes weit voneinander entfernt stehen – und genau deshalb sind etwa 75 Prozent aller neutralisierenden Antikörper, die aus seit langer Zeit überlebenden HIV-infizierten Patienten isoliert werden, polyreaktiv. Offenbar reagiert das Immunsystem also auf eine HIV-Infektion, indem es aus dem verfügbaren Antikörperangebot die seltenen polyreaktiven heraussucht und vermehrt.
Mit ihnen kann nachweislich ein Virus neutralisiert werden – leider aber reicht das nicht aus, um eine HIV-Infektion auf Dauer niederzukämpfen. Immerhin, die Erkenntnisse der beiden Wissenschaftlergruppen liefern zwei neue Anforderungen, die ein HIV-Impfstoff der Zukunft erfüllen sollte, um dem Körper eine wirksame Antikörperantwort zu entlocken: Mit den Antigen-Antikörper-Gerüsten von Kwong und Co kann ein Epitop in natürlicher Raumstruktur wirksamer präsentiert werden – diese Epitope sollten aber vielleicht nicht allzu dicht gepackt werden, damit der Körper dazu angeregt wird, die polyreaktiven Antikörper zu bilden, die gegen das Virus wirksamer einschreiten können. (jo)
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