Antike: Umweltsünder Rom
Plinius der Ältere klingt frustriert: »Wir vergiften die Flüsse und Elemente der Natur, selbst das, was uns leben lässt, die Luft, verderben wir.« Statt maßvoll mit der Umwelt umzugehen, klagte der römische Militär und Universalgelehrte im 1. Jahrhundert n. Chr., würden die Menschen in unersättlicher Gier die Ressourcen der Erde verbrauchen. Überhaupt fragten sie sich nicht, ob die Schäden die Zukunft ihrer Gesellschaft gefährden könnten.
Den beklagenswerten Umgang seiner Zeitgenossen mit der Natur schilderte der Römer in seinem Naturlexikon, dem Mammutwerk »Naturalis historia«. Denn offenkundig gefiel ihm nicht, was er sah. »Wir durchforsten alle Adern der Erde und leben auf ihr dort, wo sie ausgehöhlt ist, und wundern uns noch, dass sie zuweilen auseinanderbricht und zittert, als ob dies nicht in Wahrheit aus dem Unwillen der Mutter Erde gedeutet werden könnte.« Im Speziellen kommentierte Plinius damit den Bergbau auf der Iberischen Halbinsel: »Wir dringen in ihre [der Mutter Erde] Eingeweide ein und suchen am Sitz der Schatten nach Schätzen, so als ob sie dort, wo man auf ihr gehen kann, nicht genügend gütig und fruchtbar wäre.«
Wer fragt, wie sehr die Menschen der Antike ihre Umwelt verschmutzten, stößt häufig auf Plinius. Aber auch andere Autoren berichten von den damaligen Zuständen. Prominente Unterstützung bekommt Plinius der Ältere von Seneca (um 1–65 n. Chr.). Der Philosoph und Politiker kritisierte in seinen »Epistulae morales ad Lucilium« (Briefe über Ethik an Lucilius) die Gier und Luxussucht der Menschen: »Ich frage euch: Wie lange noch, bis es keinen See [mehr] geben wird, über den nicht die Giebel eurer Villen emporragen? Keinen Fluss, dessen Ufer nicht eure Bauwerke säumen?« Und weiter schrieb er: »Wo auch immer sich die Küste zu einer Bucht krümmt, werdet ihr unverzüglich Fundamente errichten, und – mit der Bodenfläche nur zufrieden, wenn ihr sie mit eigener Hand erschaffen habt – werdet ihr das Meer landeinwärts drängen.«
Der große Hunger des Imperiums
Verdreckte Flüsse, dicke Luft, extremer Raubbau – die schriftlichen Quellen zeichnen ein düsteres Bild von den Umweltbedingungen im Römischen Reich. Auf den ersten Blick überrascht dies nicht. Das Imperium markiert einen historischen Einschnitt: Vor rund 2000 Jahren hatte Rom weite Teile Europas, Nordafrikas und des Orients erobert. Die Expansion des Imperiums, der Bau von Gebäuden, Brücken, Straßen und der Betrieb von Werkstätten verschlangen Unmengen an Metall, Holz und Gestein – in einem Ausmaß, wie es Europa zuvor nicht erlebt hatte. Die Rohstoffe förderten die Römer aus den okkupierten Gebieten, dazu rodeten sie Bäume, schürften nach Erzen und brachen Stein.
Mensch und Natur – eine Geschichte voller Missgriffe
Zeit ihres Bestehens verändern Menschen die Umwelt. Schon Jahrhunderte vor der industriellen Revolution schürften sie nach Bodenschätzen, leiteten Abwasser in Flüsse, rodeten Wälder, um Äcker zu gewinnen, oder dezimierten die Tierwelt. Die Folgen spürten die einstigen Gesellschaften – insbesondere wenn ihre Umwelteingriffe Naturkatastrophen verschärften. Doch wie stark war der Einfluss des Menschen tatsächlich? Und hat sich die Natur nicht längst erholt?
Doch wie stark veränderten die Römer ihre Umwelt tatsächlich? Schadeten sich die damaligen Gesellschaften damit selbst und waren sie sich dessen bewusst? Und hat sich die Natur nicht längst erholt?
»Den Römern wurde oft unterstellt, dass sie jede Region mit Raubbau überzogen hätten, die ihnen in die Finger kam. Heute zeichnet die Wissenschaft davon ein weitaus differenzierteres Bild«, sagt Markus Scholz, Professor für Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen an der Universität Frankfurt, der die Umweltgeschichte Roms und seines Imperiums erforscht. Die Römer hätten zwar sehr wohl Raubbau betrieben, »aber das war nicht die Regel«, ist Scholz überzeugt. Will man den Einfluss der antiken Menschen auf ihre Umwelt bemessen, ließe sich weder reichsweit noch flächendeckend in den Provinzen eine eindeutige Antwort finden. »Man muss dafür vor allem regional in die einzelnen archäologischen Befunde sowie in die bio- und geoarchäologischen Archive blicken.«
Dendrochronologie, Archäobotanik, Umweltarchäologie, Geochemie – dank naturwissenschaftlicher Methoden lässt sich heute genauer untersuchen, wie die Römer die Landschaft veränderten und wie sie sich vielleicht inzwischen regeneriert hat.
Schiffe, Bauten, Öfen – der Bedarf an Holz war hoch
Über eine Ressource forschen Fachleute dabei besonders intensiv: Holz. Im Römischen Reich war es der Energieträger schlechthin. Es wurde nicht nur zum Bau von Gebäuden und Befestigungen verwendet, sondern auch zum Heizen von Wohnhäusern und Thermen. Ebenso schürte man damit Verhüttungs- und Töpferöfen. Die Industrien im Reich, beispielsweise die massenhafte Produktion von Keramik in Rheinzabern (heute in Rheinland-Pfalz), verschlangen enorme Mengen des nachwachsenden Rohstoffs. Wie groß Roms Hunger nach Holz war, verdeutlichen Modellrechnungen: Die Althistorikerin Ulrike Ehmig von der Universität Berlin berichtet, dass Schätzungen zufolge täglich etwa drei Tonnen Holz nötig waren, um die Trierer Konstantinsbasilika bei einer Außentemperatur von 4 Grad Celsius in einem Zeitraum von 48 Stunden aufzuheizen. Die Palastaula misst 67 Meter in der Länge, fast 28 Meter in der Breite und ist 33 Meter hoch. In den mindestens dreimal so großen Caracalla-Thermen, einem Badehaus in Rom, verfeuerte man vermutlich 40 bis 50 Tonnen Holz am Tag.
Dafür mussten viele Bäume gerodet werden, doch ohne ein gewisses Maß an Nachhaltigkeit, ist Markus Scholz überzeugt, hätten sich solche Anlagen langfristig gar nicht betreiben lassen. Welche Dimensionen hatten die Abholzungen demnach angenommen? »Es gibt die Vorstellung, die Römer hätten das ganze Mittelmeergebiet kahl geschlagen«, sagt Scholz. »Das ist ein Märchen. Aber das heißt nicht, dass so etwas nicht zeitweise und regional vorgekommen ist.« So fand der Archäologe Ronald M. Visser von der Saxion University of Applied Sciences in den Niederlanden heraus, dass die römische Armee auf Feldzügen bisweilen Waldflächen vollständig abholzte. Doch für andere Situationen ist diese Praxis kaum überliefert.
Was geschah in der Antike, was im Mittelalter und was in der Neuzeit?
Aus dem heutigen Zustand mancher Regionen Erkenntnisse für die Antike abzuleiten, führt jedoch auf den Holzweg. Wie der Althistoriker Holger Sonnabend von der Universität Stuttgart 2010 beschrieb, seien die waldarmen Gebirge vieler mediterraner Regionen »in erster Linie ein Produkt mittelalterlicher und mehr noch neuzeitlicher Eingriffe des Menschen in das Ökosystem«. Die meisten geologisch erkennbaren Veränderungen in der Antike hatten demnach wohl weniger anthropogene als vielmehr natürliche, sprich klimatische Ursachen.
Aktuelle, meist naturwissenschaftliche Untersuchungen haben diese Erkenntnis inzwischen präzisiert. So habe vielerorts im Mittelmeergebiet die Bodenerosion mit Beginn der Bronzezeit zugenommen. Doch ein Wandel der klimatischen Bedingungen allein hätte den Verlust nicht bewirken können. Ähnliches gelte für die Entwaldung, schreiben Erika Weiberg und Martin Finné von der schwedischen Universität Uppsala in einer Übersichtsarbeit von 2022. Allerdings verliefen die Entwicklungen nicht stringent: In manchen Regionen änderten sich die Waldflächen kaum, andernorts dehnten sie sich sogar aus, weil der Mensch eingriff. Und für die mittlere Bronzezeit stellten Fachleute beispielsweise fest, dass ein Klimaereignis stellenweise eine jahrelange Dürre auslöste. Das Fazit: Der menschliche Einfluss sei im Lauf der Jahrhunderte klar zu erkennen, sagen Weiberg und Finné, »aber die Treiber von Vegetationsveränderungen sind komplex, da klimatische und menschliche Einflüsse ineinandergreifen«.
»Bei Gold kannten die Römer keine Rücksicht«Markus Scholz, Archäologe und Historiker, Universität Frankfurt
Scholz stimmt dem zu. Den Forscherinnen und Forschern stelle sich zudem ein grundsätzliches Problem mit der Überlieferung – was hat die Jahrhunderte tatsächlich überdauert? »Römische Eingriffe sind oft vom Mittelalter und von der Frühneuzeit überprägt«, weiß der Althistoriker. Um die verschiedenen Epochen auseinanderzuhalten, seien umfangreiche Feldforschungen nötig. Denn ohne Fundstücke und Proben ließen sich meist keine exakten Datierungen vornehmen. Was solche Arbeiten beträfe – zumindest für Mitteleuropa –, »stehen wir aber noch am Anfang«, sagt Scholz.
Fachleute bewerten zudem ältere Untersuchungsergebnisse neu. So galt die Entdeckung, dass Brunnen im 3. Jahrhundert n. Chr. in Rom aus minderwertigerem Holz gebaut wurden als noch zu Kaiser Augustus' Zeiten (63 v. Chr.–14 n. Chr.), lange als Beleg dafür: Die Römer rodeten exzessiv Wälder, brachten die Ressource an die Grenzen der Wirtschaftlichkeit. Neuerdings erwägen Fachleute auch ein anderes Szenario. Die späteren Hölzer könnten aus der Waldwirtschaft stammen.
Jahrtausendelang schlugen Menschen bestimmte Laubbäume bis zum Wurzelstock ab, der dann wieder neue Triebe bildete. Nach mehreren Jahren ließ sich in solch einem Niederwald dann armdickes Stangenholz ernten. Wälder, die 100 Jahre ungestört wachsen, bilden sehr viel dickere und höhere Stämme aus. Das Holz aus einem Niederwald ist deshalb nur augenscheinlich von schlechterer Qualität, vielmehr ist es das Ergebnis eines gewollten Prozesses. Dass die Römer so wirtschafteten, bezeugen antike Autoren wie Plinius und Columella, aber auch dendrochronologische Untersuchungen.
Die Suche nach der besten Qualität
Um zu verstehen, wie die Menschen der römischen Antike ihre Umwelt beeinflussten, hilft ein Blick darauf, wie das Römische Reich funktionierte. Es existierte ein ausgereiftes Handels- und Verteilungssystem. Es wurde beschafft, was gebraucht wurde – auch über weite Strecken. Dabei rodeten die Römer nicht beliebig Wälder. Sie wählten die Bäume dem Zweck gemäß aus. »In Xanten ruht die Mauer der Marktbasilika auf Tannen aus dem Schwarzwald, die Stadtmauer vermutlich auf Eichen aus dem Maingebiet«, erklärt Scholz. Je nach Anforderung und Machbarkeit besorgte man Material. Die Stämme in Xanten hatten die Römer den Rhein abwärts geschifft. »Sicher gab es auch Bäume rechts des Rheins, aber sie brauchten eine ganz bestimmte Qualität «, erzählt der Archäologe.
Markus Scholz zufolge gab es bei den Römern durchaus ein Bewusstsein dafür, wie mit Rohstoffen umzugehen sei, die man langfristig nutzen wollte. Allein deshalb führten sich die Römer nicht auf wie die Axt im Walde; sonst hätten sie ihre vielen Bauprojekte auf lange Sicht wohl nicht umsetzen können.
Hadrians Waldschutzgebiet im Libanongebirge
Die Römer fällten Bäume, schufen aber auch Zonen, wo die Gewächse ungestört nachwachsen sollten. So erklärte Kaiser Hadrian (76–138 n. Chr.) im Libanongebirge einen großen Waldbereich zum kaiserlichen Besitz. Das belegen rund 200 Inschriften auf Felsen, auf denen es in verschiedenen Versionen heißt: »Imp[eratoris] Had[riani] Aug[usti] d[e]f[initio] s[ilvarum] a[rborum] g[enera] IV c[etera] p[rivata]«, was ungefähr übersetzt werden kann mit: »In den Wäldern von Kaiser Hadrian wurden vier Baumarten abgegrenzt; der Rest kann von Privatpersonen genutzt werden.« Archäologe Visser ist überzeugt davon, dass Hadrian Schutzmaßnahmen ergriffen hatte, damit die Libanon-Zeder und andere Baumspezies für Rom langfristig zur Verfügung standen. Bezeugt sind in diesem Zusammenhang auch Wächter, die kaiserliche Wälder und Landgüter bewahren sollten und womöglich als Förster fungierten.
Überliefert ist auch, dass die Römer Wälder in Weideflächen umwandelten, doch wenn nötig, den Prozess umkehrten. Der Hambacher Forst war zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n. Chr. eine weitgehend offene Agrarlandschaft. Rund 100 Jahre später, im 4. Jahrhundert n. Chr., standen dort nachweislich die Bäume wieder dicht. Der Grund: Man hatte im großen Stil Glashütten angesiedelt. Für deren Betrieb war Holz nötig.
Das Hauptanliegen solcher Maßnahmen war demnach, die Wirtschaftlichkeit einer Region und ihre Ressourcen zu erhalten. Doch entwickelten die Römer auch eine Art Umweltbewusstsein, wie es Plinius' Schriften nahelegen? Wohl erst, wenn die Dringlichkeit offensichtlich wurde. Scholz: »Ein Bewusstsein für die Umwelt ist meist bei Fehlschlägen präsent, also bei Missernten, Überschwemmungen oder anderen Naturkatastrophen« – oder bei dicker Luft.
Raus aus der Stadt!
Luftverschmutzung nahmen die Römer sehr wohl wahr. Und wenn sie ihnen zu sehr auf den Leib rückte, unternahmen sie auch etwas dagegen, wie aktuelle Erkenntnisse zeigen. Archäologen um Holger Schaaff und Angelika Hunold vom Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Mainz entdeckten in der Eifel auf einer Fläche von etwa vier Quadratkilometern ein römisches Werkstattrevier zur Herstellung von Keramik. Den Grabungen zufolge hatten römische Handwerker zwischen dem 2. und 5. Jahrhundert n. Chr. dort bis zu 240 Töpfereien betrieben. Nur: Weshalb haben sie ausgerechnet in der dünn besiedelten Eifel ihre Anlagen errichtet statt in der knapp 30 Kilometer entfernten Stadt und späteren Kaiserresidenz Augusta Treverorum, dem heutigen Trier?
Eine mögliche Antwort lieferte ein Forschungsprojekt der dortigen Universität: Vermutlich, so die These, hat die Luftverschmutzung die Standortwahl beeinflusst. Der Meteorologe Clemens Drüe analysierte zusammen mit dem LEIZA die Abgase römischer Brennöfen. Für eine Computersimulation stellten Drüe und sein Team Daten zu Holzmenge und Brenndauer zusammen, und sie bezogen Wetterdaten und ein digitales Geländemodell ein. Das Ergebnis: Die Brennöfen würden heute gültige Grenzwerte für Luftschadstoffe überschreiten, obwohl die römischen Öfen kleiner waren als moderne Industrieanlagen und vermutlich nur wenige Tage pro Monat befeuert wurden. Es gab aber keine Filteranlagen, keine Abgasreinigung.
In der Antike war sicher nicht bekannt, dass bei einem Brennvorgang Stickoxide und Kohlenmonoxid entstehen und dass diese Stoffe gesundheitsschädlich sind. Den Römern dürfte hingegen nicht entgangen sein, dass Ruß, Staub und Gestank aus den Töpfereien aufstiegen. Die Werkstätten sollten sich wohl deshalb möglichst abseits großer Siedlungen befinden, vermutlich aber auch, um die Brandgefahr in der Stadt zu verringern.
Das Wasser im Hafen stank zum Himmel
Die Nase rümpften die Menschen der Römerzeit auch über Flüsse und Häfen. Ein interdisziplinäres Team um Sabine Ladstätter vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) untersuchte Bohrkerne aus dem römischen Hafenbecken von Ephesos. Die Forschergruppe analysierte so die Sedimente, die sich dort einst abgesetzt hatten. Es zeigte sich, dass Fäkalien von Menschen und Tieren gemeinsam mit Schlachtabfällen in den Hafen gekippt wurden – in großem Umfang. Projektmitarbeiter und Archäobotaniker Andreas G. Heiss vom ÖAI kommentiert in einer Mitteilung der Gesellschaft der Freunde von Ephesos: »Wir dürfen also davon ausgehen, dass das Wasser im Hafenbecken ziemlich oft zum Himmel stank.«
Die Bohrkerne gaben noch mehr preis. Die Umweltarchäologen wiesen Marmorstaub und große Mengen von Korund nach, einem Bestandteil des natürlichen Schleifgesteins Schmirgel. Das deckt sich mit dem Inhalt einer Inschrift aus der antiken Mittelmeermetropole. Darin heißt es, der Prokonsul der Jahre 146 bis 147 n. Chr. habe ein Verbot ausgesprochen. Es sei gegen Strafe untersagt, im Hafen Hölzer zu stapeln oder Stein zu schneiden. Die schweren Lasten würden nicht nur den Kai beschädigen, sondern der Schmirgel »die Tiefe [des Hafenbeckens] vermindern und so den Zufluss hemmen«. Der Prokonsul wollte also verhindern, dass der Hafen verlandete und Ephesos vom Welthandel abgeschnitten wurde. Ein Verbot, Fäkalien ins Wasser zu leiten, ist hingegen nicht überliefert.
Schmutz und Gestank an Küsten und in Flüssen plagten auch andere Städte. Und Gesetze sollten helfen, dass kein Müll in den Gewässern landete. Allerdings standen sich die Menschen für eine Besserung offenbar selbst im Weg: Wie archäologische Befunde nahelegen, konnten die Stadtbehörden ihre Verbote wohl oft nicht durchsetzen.
Bleischwere Luft
Dank der Analyse von Bohrkernen decken Fachleute weitere Episoden der römischen Umweltgeschichte auf. Insbesondere mittels Bohrkernen, die aus jahrtausendealtem Eis gedrillt wurden. So fand eine Arbeitsgruppe um Susanne Preunkert von der Université Grenoble Alpes im Eis des Alpengletschers Col du Dôme Hinweise, dass die Römer sehr viel Silber schürften und dass beim Verhütten extrem viel Blei in die Umgebung gelangte – und sie dabei sich und ihre Umwelt enormen Belastungen aussetzten. Wie Preunkert und ihr Team 2019 im Fachmagazin »Geophysical Research Letters« schreiben, verzehnfachte sich die atmosphärische Bleikonzentration in Europa zwischen dem 3. Jahrhundert v. Chr. und dem 2. Jahrhundert n. Chr. gegenüber dem Ausgangswert zeitweilig – besonders dann, wenn Rom expandierte, wenn Silber gewonnen wurde, um Münzen zu prägen. Daneben fanden die Fachleute auch Spuren des giftigen Schwermetalls Antimon.
Ganz ähnlich lauteten die Ergebnisse einer Studie in »PNAS« aus dem Jahr 2018, für die eine Expertengruppe Bohrkerne aus grönländischem Eis untersuchte. Im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. waren demnach die Bleiemissionen auf einem Höchststand. Zu einer Zeit, als die römischen Kaiser unangefochten regierten und das Reich expandierte. Niedrigere Bleiwerte zeichneten sich hingegen in Epochen ab, in denen Bürgerkriege oder Seuchen das Imperium destabilisierten.
Schäden, die die Römer sich und ihrer Umwelt zufügten, nahmen sie offenbar nur dann wahr, wenn sie wirtschaftliche oder militärische Nachteile brachten – obgleich manch einer misstrauisch gewesen sein dürfte. So schrieb der Architekt Vitruv im 1. Jahrhundert v. Chr.: »Auch ist Wasser aus Tonröhren gesünder als das durch Bleiröhren geleitete, denn das Blei scheint deshalb gesundheitsschädlich zu sein, weil aus ihm Bleiweiß entsteht.«
Für Gold sprengten die Römer Berge
Bleibende Eingriffe in die Natur, wie sie Plinius der Ältere schilderte, lassen sich beim Bergbau erkennen. Brachial hatten die Römer Berge mit der Kraft von Wasser auseinandergesprengt, um Gold aus dem Inneren des Gesteins zu fördern. Eines der bekanntesten Beispiele ist Las Médulas in Spanien, heute UNESCO-Weltkulturerbe.
»Bei Gold kannten die Römer keine Rücksicht«, sagt Markus Scholz. Und mit ihren Bergbaumethoden hätten sie die Landschaft dauerhaft verändert. Beispiele finden sich nicht nur auf der Iberischen Halbinsel, sondern auch in den Westkarpaten, wo ganze Berge abgetragen wurden. »Es entstanden so gigantische Schutthalden, dass sie als neue Berge wahrgenommen wurden.« Nur: Minen dieser Art wurden nicht reichsweit in den Boden getieft. »Die Methoden waren ziemlich aufwändig und kompliziert. Man hat solche Arbeiten nur angestrengt, wenn man überzeugt war, damit einen ganz konkreten Erfolg zu haben.« Mit ihrer Einschätzung lagen sie mitunter falsch: Der Silberabbau in Bad Ems im heutigen Rheinland-Pfalz etwa scheiterte und brachte den Römern keine Ergebnisse. Er hat in der Landschaft allerdings bis heute Narben hinterlassen.
Die Römer verfügten nicht nur über das nötige Knowhow, um Berge auseinanderzureißen oder Güter in massenhaftem Maßstab zu produzieren, sie waren auch in der Lage, Gewässer zu lenken und künstliche Kanäle anzulegen. Einen solchen Römerkanal untersucht aktuell auch Markus Scholz. Der Landgraben, ein Fließgewässer zwischen Darmstadt und Trebur, könnte anders als bisher angenommen nicht erst im 16. Jahrhundert entstanden sein, sondern bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. gegraben worden sein. Wahrscheinlich beförderte man über den Kanal Material und Waren ins Römerkastell im heutigen Groß-Gerau. Sollte der Landgraben tatsächlich römischen Ursprungs sein, wäre er das erste nachgewiesene römische Bauwerk dieser Art in Deutschland. Und es wäre ein weiterer Beleg für einen nachhaltigen Eingriff in die Umwelt.
Kein explizites Umweltbewusstsein
Sicher ist: Der Umgang der Römer mit der Natur war ambivalent. Wie sehr, spiegelt sich ausgerechnet bei Plinius wider. Über das gescheiterte Projekt von Kaiser Claudius (10 v. Chr.–54 n. Chr.), den Fuciner See in den Apenninen trockenzulegen, schrieb er begeistert: »Für eine denkwürdige Tat des Claudius halte ich die Durchgrabung eines Berges zur Ableitung des Fuciner Sees (…) Sie erforderte in der Tat viele Jahre lang unbeschreibliche Ausgaben und eine Unmenge von Arbeitskräften, da das Zusammenleiten des Wassers auf die Höhe dort, wo der Berg aus Erde bestand, mit Maschinen bewerkstelligt oder hartes Gestein durchhauen und vieles unter Tage im Finstern geleistet werden musste.« Es seien Arbeiten gewesen, »die man weder begreifen kann, es sei denn, man hätte sie gesehen, noch in menschlicher Sprache wiedergeben kann«.
Rom bot einen Vorgeschmack darauf, wozu Menschen noch in späteren Epochen in der Lage waren – und sind. Das Ausmaß der Umwelteingriffe hing damals auch von den vorhandenen Mitteln ab, die hinter den Entwicklungen ab der industriellen Revolution zurückstanden. Ein explizites Umweltbewusstsein hatte sich im Römischen Reich wohl nicht entfaltet, recht sicher aber ein Bewusstsein dafür, Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften – aber oft erst, als sie verloren zu gehen drohten. Obwohl doch schon Seneca in seinen Briefen an Lucilius fragte: »Wie lange werdet ihr ebendieselben Fehler begehen?«
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