Direkt zum Inhalt

Antikes Wissen: Neu entdecktes Wal-Verhalten steckt hinter Seeungeheuer

Seit 2014 beobachten Fachleute, dass Wale auf bisher unbekannte Art fressen. Nun zeigt sich: Das wusste man schon in der Antike - und es inspirierte Geschichten von Seeungeheuern.
Ein Buckelwal steht senkrecht im Wasser und öffnet sein Maul.

Eine neu identifizierte Fresstechnik von Buckelwalen wurde womöglich bereits vor 1800 Jahren beschrieben und inspirierte später nordische Mythen. Zu diesem Schluss kommen John McCarthy, Erin Sebo und Matthew Firth von der australischen Flinders University in Adelaide. Seit einigen Jahren gibt es Aufzeichnungen von Walen, die ihren Unterkiefer als Fischfalle benutzen. Das ähnele Beschreibungen des nordischen Seeungeheuers »Hafgufa«. Wie sie in der Fachzeitschrift »Marine Mammal Science« schreiben, lässt sich das seit 2014 bei Buckelwalen (Megaptera novaeangliae) und Brydewalen (Balaenoptera brydei) beobachtete, sehr ungewöhnliche Verhalten bis zu einem antiken Manuskript zurückverfolgen. Nun rätseln Fachleute, warum die Technik der modernen Walforschung bisher entging.

Normalerweise schwimmen diese Wale auf ihre Beute zu, reißen das Maul weit auf, schnappen zu und filtern die Beute mit ihren Barten aus dem Wasser. Die neue Technik dagegen funktioniert völlig anders. Dabei stehen die Wale senkrecht im Wasser und klappen ihr Maul in einem rechten Winkel auf, so dass ihr Unterkiefer knapp unter der Wasseroberfläche eine riesige Schüssel bildet, in die das Wasser samt Fischen hineinströmt. Die Fachleute, die das Verhalten 2017 im Detail beschrieben, vermuten außerdem, dass die Fische die Orientierung verlieren und den offenen Wal-Mund für rettende Deckung halten könnten.

Dem Meeresarchäologen John McCarthy fiel beim Lesen über nordische Seeungeheuer auf, dass die im 13. Jahrhundert beschriebene mythische Kreatur »Hafgufa« Walen mit der neu entdeckten Fresstechnik ähnelte. Bis zum 18. Jahrhundert tauchte dieses Wesen als Seeungeheuer in isländischen Mythen auf. Wie die Fachleute bei genauerer Analyse entdeckten, geht die Beschreibung aber wohl auf mittelalterliche Bestiarien zurück, eine populäre Literaturgattung über Tiere und Fabelwesen. Die älteste Beschreibung fanden sie im Manuskript »Physiologus«, das im 2. Jahrhundert in Alexandria in Ägypten entstand. Die ältesten Versionen der Beschreibungen bezögen sich dabei keineswegs auf mythische Meeresmonster, merkt McCarthy an, sondern auf reale Wale.

Rätselhaft ist, weshalb die Technik zuvor lange Zeit nicht auffiel, obwohl die Tiere intensiv erforscht werden. Womöglich, so die Vermutung des Naturfilmers Bertie Gregory, der das Verhalten filmte, handelt es sich um eine Reaktion auf neue Umweltbedingungen. Sauerstoffarme Zonen in der Tiefe drängen Fischschwärme nahe an die Oberfläche, so dass die Technik effektiver ist als die klassische Fresstechnik. Alternativ könnten neue Techniken wie Drohnen einfach ein relativ seltenes, aber normales Phänomen aufgedeckt haben. Die Beschreibungen der Technik in alten Manuskripten könnte helfen, diese Frage zu erhellen – sie deuten zumindest darauf hin, dass diese Art zu fressen keine evolutionäre Neuerung ist.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.