Angewandte Neutrinophysik: Antineutrinos helfen bei der Abrüstungskontrolle
Nachdem sich zuletzt Russland und die USA darauf einigten, je 34 Tonnen ihres Waffenplutoniums unschädlich zu machen, stellt sich mehr denn je die Frage, wie sich das gefährliche Material entsorgen lässt. Bei einer Halbwertszeit von 24 110 Jahren für waffenfähiges Plutonium-239 kommt eine Endlagerung nur bedingt in Frage. Möglich ist es hingegen, das Plutonium so genannten Mischoxid-Brennelementen (MOX) beizugeben. Auf diese Weise würde es in Kernkraftwerken als Brennstoff dienen. Dies müsste allerdings von Beobachtern kontrolliert werden, damit eine Atommacht ihre Plutoniumarsenale nicht heimlich doch behält. Anna Hayes und ihre Kollegen am Los Alamos National Laboratory in New Mexico forschen an einer Methode, welche die Inspektoren bei ihrer Arbeit unterstützen könnte [1].
Das neue Verfahren besteht darin, die Antineutrinos in der Umgebung eines MOX-Reaktors zu messen. Schon jetzt gewähren viele Staaten Kontrolleuren der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA Zugang zu ihren Reaktoren, wo die Zusammensetzung der Brennstäbe stichprobenartig überprüft werden. Diese Begehungen könnten durch die Antineutrinomessungen ergänzt oder gar überflüssig gemacht werden. Die Idee wird schon länger diskutiert [2, 3], nun haben Hayes und Kollegen berechnet, wie stark sich die Antineutrinosignaturen unterschiedlicher Mischoxide unterscheiden. Zwar haben sie in ihren Simulationen nur vier verschiedene Mischverhältnisse der Brennelemente betrachtet. Sie kommen jedoch zu dem Schluss, dass sich die jeweiligen Zusammensetzungen durch die Antineutrinoanzahl sowie deren zeitlichen Verlauf gut unterscheiden lassen. Dabei ist eine Abgrenzung umso besser möglich, je größer der Plutoniumanteil in den Brennstäben ist.
Antineutrinos entstehen im Reaktor beim Beta-Minus-Zerfall: Ein Neutron im Atomkern zerfällt spontan in ein Proton und ein Elektron. Wegen der Leptonenzahlerhaltung kann das Elektron als Lepton nicht aus dem Nichts hervortreten, weshalb zum Ausgleich auch ein Antiteilchen entstehen muss: das Antineutrino. Aus ähnlichen Überlegungen heraus wurde ein solches Teilchen erstmals im Jahr 1930 von Wolfgang Pauli postuliert. Bei jedem Kernspaltungsprozess werden fünf bis sieben Antineutrinos freigesetzt, wobei die Anzahl vom Ursprungsatom abhängt. Da Antineutrinos so gut wie nicht mit Materie interagieren, können sie auch nicht abgeschirmt werden und entweichen daher aus dem Reaktor, was wiederum eine Messung von außerhalb ermöglicht.
Simpel ist diese Methode dennoch nicht. Erstens muss die Leistung des Reaktors bekannt sein, um aus den detektierten Antineutrinos Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Brennelemente ziehen zu können. Zweitens gehen die Wissenschaftler um Hayes in ihren Simulationen von frischem Plutonium- und Uranoxid aus – durch Lagerung kommt es jedoch zu veränderten Anfangsbedingungen. Außerdem muss, um ein brauchbares Signal-zu-Rausch-Verhältnis zu erhalten, umso näher am Reaktor gemessen werden, je mehr weitere Antineutrinoquellen in der Umgebung sind. Beispielsweise machten Adam Bernstein und Mitarbeiter ihre Testmessungen in 25 Metern Entfernung zum Reaktorkern [2]. Andererseits sind die Detektoren selbst keine sehr mobilen Geräte: Wegen des geringen Wirkungsquerschnitts der Antineutrinos mit Materie müssen mehrere Kubikmeter an Detektormaterial eingesetzt werden, um ein aussagekräftiges Signal zu erhalten. Konstruktion, Transport, professionelle Handhabung und Wartung werden die Antineutrinomessung daher sicherlich nicht zu einer kostengünstigen Variante der Abrüstungskontrolle machen.
Daher ist die Inspektion mittels Antineutrinos bisher zwar in wissenschaftlichen Publikationen theoretisch betrachtet und diskutiert worden, abgesehen von Testläufen gab es jedoch noch keine praktischen Einsätze. Das hielt Thierry Lasserre und seine Kollegen nicht davon ab, voriges Jahr einen futuristischen Neutrinodetektor vorzuschlagen: Der "Secret Neutrino Interactions Finder", kurz SNIF, soll demnach 160 000 Kubikmeter Detektormaterial auf einem Riesentanker unterbringen und vor die Küste verdächtiger Länder verschiffen [3]. Es bleibt abzuwarten, ob diese oder eine ähnliche Idee tatsächlich eines Tages umgesetzt wird. Immerhin sprach sich der derzeitige IAEA-Generaldirektor Yukiya Amano Anfang 2010 für eine Abrüstungskontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation aus. (lh)
Das neue Verfahren besteht darin, die Antineutrinos in der Umgebung eines MOX-Reaktors zu messen. Schon jetzt gewähren viele Staaten Kontrolleuren der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA Zugang zu ihren Reaktoren, wo die Zusammensetzung der Brennstäbe stichprobenartig überprüft werden. Diese Begehungen könnten durch die Antineutrinomessungen ergänzt oder gar überflüssig gemacht werden. Die Idee wird schon länger diskutiert [2, 3], nun haben Hayes und Kollegen berechnet, wie stark sich die Antineutrinosignaturen unterschiedlicher Mischoxide unterscheiden. Zwar haben sie in ihren Simulationen nur vier verschiedene Mischverhältnisse der Brennelemente betrachtet. Sie kommen jedoch zu dem Schluss, dass sich die jeweiligen Zusammensetzungen durch die Antineutrinoanzahl sowie deren zeitlichen Verlauf gut unterscheiden lassen. Dabei ist eine Abgrenzung umso besser möglich, je größer der Plutoniumanteil in den Brennstäben ist.
Antineutrinos entstehen im Reaktor beim Beta-Minus-Zerfall: Ein Neutron im Atomkern zerfällt spontan in ein Proton und ein Elektron. Wegen der Leptonenzahlerhaltung kann das Elektron als Lepton nicht aus dem Nichts hervortreten, weshalb zum Ausgleich auch ein Antiteilchen entstehen muss: das Antineutrino. Aus ähnlichen Überlegungen heraus wurde ein solches Teilchen erstmals im Jahr 1930 von Wolfgang Pauli postuliert. Bei jedem Kernspaltungsprozess werden fünf bis sieben Antineutrinos freigesetzt, wobei die Anzahl vom Ursprungsatom abhängt. Da Antineutrinos so gut wie nicht mit Materie interagieren, können sie auch nicht abgeschirmt werden und entweichen daher aus dem Reaktor, was wiederum eine Messung von außerhalb ermöglicht.
Simpel ist diese Methode dennoch nicht. Erstens muss die Leistung des Reaktors bekannt sein, um aus den detektierten Antineutrinos Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Brennelemente ziehen zu können. Zweitens gehen die Wissenschaftler um Hayes in ihren Simulationen von frischem Plutonium- und Uranoxid aus – durch Lagerung kommt es jedoch zu veränderten Anfangsbedingungen. Außerdem muss, um ein brauchbares Signal-zu-Rausch-Verhältnis zu erhalten, umso näher am Reaktor gemessen werden, je mehr weitere Antineutrinoquellen in der Umgebung sind. Beispielsweise machten Adam Bernstein und Mitarbeiter ihre Testmessungen in 25 Metern Entfernung zum Reaktorkern [2]. Andererseits sind die Detektoren selbst keine sehr mobilen Geräte: Wegen des geringen Wirkungsquerschnitts der Antineutrinos mit Materie müssen mehrere Kubikmeter an Detektormaterial eingesetzt werden, um ein aussagekräftiges Signal zu erhalten. Konstruktion, Transport, professionelle Handhabung und Wartung werden die Antineutrinomessung daher sicherlich nicht zu einer kostengünstigen Variante der Abrüstungskontrolle machen.
Daher ist die Inspektion mittels Antineutrinos bisher zwar in wissenschaftlichen Publikationen theoretisch betrachtet und diskutiert worden, abgesehen von Testläufen gab es jedoch noch keine praktischen Einsätze. Das hielt Thierry Lasserre und seine Kollegen nicht davon ab, voriges Jahr einen futuristischen Neutrinodetektor vorzuschlagen: Der "Secret Neutrino Interactions Finder", kurz SNIF, soll demnach 160 000 Kubikmeter Detektormaterial auf einem Riesentanker unterbringen und vor die Küste verdächtiger Länder verschiffen [3]. Es bleibt abzuwarten, ob diese oder eine ähnliche Idee tatsächlich eines Tages umgesetzt wird. Immerhin sprach sich der derzeitige IAEA-Generaldirektor Yukiya Amano Anfang 2010 für eine Abrüstungskontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation aus. (lh)
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