Limnologie: Aquatische Osteoporose
Vom Sauren Regen spricht heute fast niemand mehr: Emissionsschutzauflagen haben den Ausstoß von Schwefeloxiden als Hauptverursacher drastisch gesenkt. Doch waren diese nicht die einzigen, und außerdem quälen sich Pflanzen, Böden und Gewässer noch immer mit Langzeitfolgen der einstigen ätzenden Niederschläge. Dazu zählt auch ein massiver Mangel an dem Nährstoff Kalzium.
Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre beherrschten düstere Prognosen und erschreckende Bilder die Medien: Der "Saure Regen", so fürchtete man, würde binnen kürzester Zeit die mitteleuropäischen Wälder dahinraffen. Ganz neu waren die Probleme nicht, denn aus Skandinavien hatten Forscher längst von drastisch sinkenden pH-Werten in Böden und Gewässern ihrer Heimat berichtet – einschließlich der zerstörerischen Folgen auf die Lebewelt. Doch Nordeuropa war weit weg und die natürlichen Bedingungen dort ungünstiger als hierzulande, deshalb schien es zunächst unwahrscheinlich, dass auch Mitteleuropa darunter leiden könnte.
Bis es die Bilder von Baumgerippen im Erzgebirge gab. Sie lösten zweierlei aus: eine Verschärfung der Emissionsrichtlinien, die tatsächlich erreichte, den Ausstoß von Schwefeloxiden zu senken – immerhin zählen sie zu den Hauptverursachern des Sauren Regens. Und sie regten intensive Forschungsarbeiten über Ursachen und Auswirkungen der zerstörerischen Niederschläge an. Schnell wurde klar, dass das Schadbild der Bäume auch ein Zeichen ist für weit früher einsetzende, tief greifende Veränderungen in den Böden.
Denn Böden verarmen zwar auch auf ganz natürliche Weise an Nährstoffen, weil Niederschläge sie auswaschen, doch greift hier der Saure Regen ein: Er beschleunigt den Austrag und damit den Nachschubmangel ebenso wie verringerte Kalziumeinträge über die Luft und forstwirtschaftliche Maßnahmen, die zum einen den im Holz gebundenen Nährstoff dem System entziehen, während zum anderen nachgepflanzter Jungwuchs die mageren Reste des Bodens aufbrauchen.
Dabei verläuft diese "aquatische Osteoporose", wie die Forscher den Kalziummangel tauften, tatsächlich weit gehend parallel mit dem Einsetzen des Sauren Regens: Als sie anhand der Daphnien-Überreste erfassten, wie umfangreich die Besiedlung in früheren Jahrzehnten war, stellten sie insbesondere seit den 1970er Jahren eine Abnahme in den Populationen fest.
Da sich die von Smol und seinen Kollegen berichteten Ergebnisse mit Erfahrungen auch in anderen Gebieten Nordamerikas und Europas decken, ist das Fazit klar: Die schleichende Gefahr zu saurer Umweltbedingungen bleibt ein Thema, trotz nicht erfüllter Katastrophenszenarien und auch ohne große Schlagzeilen.
Bis es die Bilder von Baumgerippen im Erzgebirge gab. Sie lösten zweierlei aus: eine Verschärfung der Emissionsrichtlinien, die tatsächlich erreichte, den Ausstoß von Schwefeloxiden zu senken – immerhin zählen sie zu den Hauptverursachern des Sauren Regens. Und sie regten intensive Forschungsarbeiten über Ursachen und Auswirkungen der zerstörerischen Niederschläge an. Schnell wurde klar, dass das Schadbild der Bäume auch ein Zeichen ist für weit früher einsetzende, tief greifende Veränderungen in den Böden.
Denn Böden verarmen zwar auch auf ganz natürliche Weise an Nährstoffen, weil Niederschläge sie auswaschen, doch greift hier der Saure Regen ein: Er beschleunigt den Austrag und damit den Nachschubmangel ebenso wie verringerte Kalziumeinträge über die Luft und forstwirtschaftliche Maßnahmen, die zum einen den im Holz gebundenen Nährstoff dem System entziehen, während zum anderen nachgepflanzter Jungwuchs die mageren Reste des Bodens aufbrauchen.
Die Folgen dieser Radikalentsalzung, die auch toxische Stoffe wie Aluminium in Bewegung setzte, zeigten sich wie in Skandinavien auch hier in Bächen, Flüssen und Seen, und gerade in den Oberläufen fehlten plötzlich ganze Lebensgemeinschaften im Wasserbewohnerinventar. Insbesondere in kalkarmen Regionen, deren Untergrund von Natur aus bereits "versauerungsanfällig" ist, weil hier wichtige Puffersysteme fehlen, rutschten die pH-Werte ins Bodenlose. Und inzwischen beobachten Wissenschaftler in vielen Seen der borealen Gebiete einen anhaltenden Rückgang an Kalzium im Seewasser, weil aus den Einzugsgebieten schlicht nichts mehr nachgeliefert werden kann – die Reserven sind aufgebraucht, und sie werden zu langsam aufgefüllt, um die Lücken zu schließen.
Doch welche Folgen hat das für die Lebensgemeinschaften? Dramatische, warnen John Smol von der Queen's University im kanadischen Kingston und seine Kollegen. Die Wissenschaftler untersuchten den Effekt an einem beliebten Modellorganismus: dem Wasserfloh der Gattung Daphnia. Von D. pulex ist bekannt, dass Konzentrationen von weniger als 1,5 Milligramm Kalzium pro Liter die Fruchtbarkeit, Fortpflanzung und sogar sein Überleben beeinträchtigen. Ein Wert, den mehr als ein Drittel der von den Wissenschaftlern untersuchten 770 kanadischen Seen unterschreiten, weitere 62 Prozent liegen bereits unter 2 Milligramm Kalzium pro Liter. Und der Trend zeigt nach unten.
Dabei verläuft diese "aquatische Osteoporose", wie die Forscher den Kalziummangel tauften, tatsächlich weit gehend parallel mit dem Einsetzen des Sauren Regens: Als sie anhand der Daphnien-Überreste erfassten, wie umfangreich die Besiedlung in früheren Jahrzehnten war, stellten sie insbesondere seit den 1970er Jahren eine Abnahme in den Populationen fest.
Trotz der Gegenmaßnahmen hält also auch in den Seen der negative Effekt der sauren Niederschläge noch immer an – und die Folgen sind kaum abzusehen: Wasserflöhe werden von vielen anderen Organismen gefressen, ihr Rückgang wirkt sich daher auf das gesamte Nahrungsnetz des Ökosystems aus. Andererseits dürfte ein Kalziummangel nicht nur Daphnien schädigen, sondern auch weitere Wasserbewohner.
Da sich die von Smol und seinen Kollegen berichteten Ergebnisse mit Erfahrungen auch in anderen Gebieten Nordamerikas und Europas decken, ist das Fazit klar: Die schleichende Gefahr zu saurer Umweltbedingungen bleibt ein Thema, trotz nicht erfüllter Katastrophenszenarien und auch ohne große Schlagzeilen.
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