Arbeitspsychologie: Mach mal Pause!
Die Wände sind grün gestrichen. Es gibt Pflanzen. Der ganze Raum wirkt wie eine Entspannungsoase. »Und kennen Sie diese Massagestühle? So einer würde da auch stehen«, sagt Johannes Wendsche, als er sich den perfekten Pausenraum ausmalt. Wendsche ist Arbeitspsychologe bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA), wo er beruflich Pausen erforscht. »Ich habe schon viele Aufenthaltsräume gesehen – aber meinen Traum-Pausenraum gab es bisher nirgends. Das liegt möglicherweise daran, dass die Pausenkultur in Deutschland noch stark verbesserungswürdig ist.«
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Arbeitnehmer hier zu Lande zu Pausen: Ab sechs Stunden muss eine Auszeit von 30 Minuten genommen werden, bei neun Stunden sind es 45 Minuten. Dennoch kommen Pausen im Arbeitsalltag häufig zu kurz. 26 Prozent aller etwa 17 000 Befragten gaben in einer Umfrage der BAUA an, die vorgeschriebenen Auszeiten ausfallen zu lassen. In einigen Branchen wie dem Gesundheitswesen sind es sogar noch mehr.
Bereits frühe Studien aus der inzwischen mehr als 100 Jahre alten Pausenforschung zeigen allerdings, dass Pausen sich lohnen: Die Produktivität steigt im Anschluss so stark an, dass die verlorene Zeit nicht nachgeholt werden muss. Die positive Wirkung von Pausen kann Wendsche bestätigen: 2016 hat er zusammen mit seinen Kollegen knapp 130 Studien aus 25 Jahren Pausenforschung ausgewertet. »Es gibt kaum Untersuchungen, in denen Pausen eine negative Wirkung haben. Manche Studien stellen keinen Effekt fest, doch die meisten belegen eine positive Wirkung.«
»Die Pausenkultur in Deutschland ist noch stark verbesserungswürdig«
Johannes Wendsche, Arbeitspsychologe
Auszeiten bei der Arbeit erfüllen fünf Funktionen
Dass Pausen sich lohnen, zeigt sich besonders in fünf Bereichen, erklärt Wendsche: Zuallererst haben Pausen eine Schutzfunktion, die durch das Arbeitsschutzgesetz geregelt ist. Inwieweit Körper und Psyche unter der Arbeit leiden, hängt davon ab, wie belastend die Tätigkeit ist. Vor allem bei körperlich anstrengender Arbeit kann es zu Muskel- und Skelettbeschwerden kommen. »Spätestens aber nach neun pausenlosen Stunden steigen alle Risiken für die Arbeitenden an – so wächst zum Beispiel auch die Gefahr von Arbeitsunfällen«, sagt Wendsche.
Um Arbeitsunfällen vorzubeugen, ist es wichtig, Müdigkeit abzubauen. Dies geschieht durch die Erholungsfunktion von Pausen. »Neuere Studien zeigen, dass die Müdigkeit ein Signal unseres Körpers ist, mit dem er uns sagen will: ›Es ist nicht mehr sinnvoll, diese Tätigkeit auszuführen. Hör auf damit!‹« Während die Erschöpfung über den Arbeitstag insgesamt exponentiell – also stetig stärker werdend – zunimmt, reduziert sie sich über die Pause auch in gleicher Weise: anfangs deutlich und dann immer weniger. Das heißt, dass auch kurze Pausen schon wirkungsvoll gegen Müdigkeit sein können.
Gleichzeitig können Auszeiten eine bedürfnisbefriedigende und eine soziale Funktion haben: Sind Beschäftigte während ihrer Tätigkeit zum Beispiel viel allein, können sie in der Pause Kontakte pflegen. »Die Arbeit kann nicht all unsere Bedürfnisse befriedigen«, sagt Wendsche. »Dafür ist dann die Pause da.«
Allerdings wirkt sich eine Auszeit nicht nur auf die Beschäftigten positiv aus, sondern ebenso auf die Arbeit. Pausen haben nämlich zugleich eine motivierende Funktion: »Studien aus den 1930er bis 1950er Jahren zeigen, dass man immer dann produktiver arbeitet, wenn man eine kürzere Arbeitsphase erwartet. Plant man also Pausen ein, ist man effektiver«, erklärt der Psychologe. Lässt man Pausen hingegen ausfallen – zum Beispiel mit dem Ziel, früher nach Hause zu kommen –, hat das langfristig negative Auswirkungen: »Wer auf Pausen verzichtet, neigt tatsächlich dazu, auch länger zu arbeiten. Gleichzeitig steigt die Beanspruchung, und der Kontakt zu Kollegen reduziert sich«, sagt Wendsche.
Abschalten fördert die Kreativität
Sich im Arbeitsalltag auch mal von der eigentlichen Tätigkeit zu lösen, ist also wichtig. Was genau im menschlichen Gehirn passiert, wenn man aufhört zu arbeiten, weiß Björn Schott. Er ist Psychiater und Neurowissenschaftler am Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) in Magdeburg. Schott tippt die Wörter »Sitten – Tennis – Tuch« in seinen Computer und sagt: »Wenn Sie angestrengt überlegen, was diese drei Wörter gemeinsam haben, sind die Aufmerksamkeitsnetzwerke in Ihrem Gehirn aktiv. Was Sie aber für die Lösung brauchen, ist das Default-Mode-Netzwerk.« Dieses Netzwerk ist vor allem aktiv, wenn wir scheinbar »nichts« tun. »Denn wenn wir unsere Gedanken schweifen lassen, rufen wir spontan Erinnerungen ab, denken über uns selbst oder über andere Menschen nach.« Und tatsächlich ist das Default-Mode-Netzwerk beim Abruf von semantischer oder autobiografischer Information aus dem Langzeitgedächtnis beteiligt sowie dann, wenn wir uns in andere hineinversetzen.
»Gerade durch seine Rolle beim semantischen Gedächtnis kann dieses Netzwerk uns auch helfen, Probleme kreativ zu lösen, indem wir auf Vorwissen zurückgreifen, das wir beim fokussierten Nachdenken vielleicht eher ausgeblendet haben«, führt Schott weiter aus. »Es kann also sein, dass Ihnen – während Sie gerade eine Pause einlegen – die Lösung plötzlich einfällt: Es ist das Wort ›Tisch‹, das die von mir getippten Wörter zu ›Tischsitten – Tischtennis – Tischtuch‹ ergänzen kann! Meine Kollegin Jasmin Kizilirmak konnte zeigen, dass das erfolgreiche Lösen solcher Probleme mit erhöhter Aktivität im Default-Mode-Netzwerk einhergeht.« Dafür könnten schon sehr kurze Pausen, deutlich unter zehn Minuten, ausreichen.
»Wer auf Pausen verzichtet, neigt tatsächlich dazu, auch länger zu arbeiten«
Johannes Wendsche
Eine Auszeit von fünf bis zehn Minuten gilt als Kurzpause. Sie bietet einem die Möglichkeit, den Arbeitsplatz für einen Moment zu verlassen. Arbeitspsychologe Wendsche hält es für sinnvoll, neben der gesetzlich vorgeschriebenen 30-Minuten-Pause mehrere Kurzpausen in den Tag einzubauen. Bei einfachen Tätigkeiten empfiehlt er fünf Minuten jede Stunde, bei komplexen Aufgaben zehn Minuten alle zwei Stunden. Der größere Abstand ist dabei sinnvoll, da häufige Unterbrechungen bei komplexen Denkaufgaben als Störung empfunden werden können.
Wer sich Pausen verkneift, macht sie oft unbewusst
»Die Kurzpausen sind zwar nicht im Gesetz verankert. Trotzdem sollten Betriebe ihre Beschäftigten dazu motivieren, sie zu nehmen«, sagt Wendsche. Er erzählt von Otto Graf, einem der ersten Pausenforscher. Graf hat bereits in den 1920er Jahren herausgefunden, dass Arbeitnehmer, die nicht genug Gelegenheiten zu einer Auszeit haben, ihre Arbeitszeit durch maskierte Pausen bewältigen: ein kurzes, gedankliches Abschweifen am Arbeitsplatz. Heute könnte das zum Beispiel ein schneller Blick aufs Handy sein. »Menschen machen das intuitiv, wenn sie eine Auszeit benötigen, und die betrieblichen Vorschriften lassen es zu«, sagt Wendsche. Dürfen sie nun aber Kurzpausen machen, gehen die maskierten Pausen zurück, fand Graf heraus. Daher ist es für Betriebe ratsam, Kurzpausen zuzulassen – zumal diese erwiesenermaßen zu einer Leistungssteigerung führen.
Entscheidend für die Wirksamkeit von Pausen ist allerdings nicht nur, wie oft sie stattfinden, sondern auch, wie die Zeit genutzt wird, erklärt Wendsche: »Die Grundempfehlung ist immer, das Gegenteil von dem zu machen, was ich bei der Arbeit getan habe: Saß ich viel, sollte ich mich bewegen. War ich allein, sollte ich mich mit anderen Menschen treffen. Die Mischung macht's!«
Wichtiger als die konkrete Tätigkeit ist noch, welche psychologische Wirkung sie hat. Er verweist dabei auf das »DRAMMA-Modell« aus der Erholungsforschung, nach dem eine »gute« Pause sechs Kriterien erfüllen sollte: Sie muss gewährleisten, dass Arbeitnehmer ihre Tätigkeit für einen Moment vergessen können. Zudem sollte die Pause Entspannung, den Erwerb neuer Kompetenzen und ein Verbundenheitsgefühl mit anderen Menschen zulassen. Die Auszeit muss als sinnhaft erlebt werden. Gleichzeitig sollten Arbeitnehmer selbst bestimmen können, wann und auf welche Weise sie ihre Pause verbringen. »Jeder muss für sich selbst herausfinden, welche Pausengestaltung die sechs Kriterien erfüllt«, schlussfolgert Wendsche.
Wendsche selbst macht drei Pausen am Tag: eine Mittagspause zum Essen und eine weitere Pause pro Schichthälfte. Da geht er dann spazieren oder trinkt einen Kaffee. Noch lieber würde er jedoch in dem Massagestuhl in seinem grün tapezierten Traum-Pausenraum sitzen. »Vielleicht gäbe es dort sogar Instruktionen zum Entspannen«, sagt er.
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