Slowakei: Die Kopflosen von Vráble
In jeder Epoche entwickeln Menschen eigene Rituale zur Beisetzung ihrer Angehörigen. Während heutzutage Beerdigungen oder Feuerbestattungen üblich sind, liefen Beisetzungen vor gut 7000 Jahren mancherorts eher unkonventionell ab: Man trennte den Verstorbenen den Kopf – und oftmals auch Hände und Füße – ab und begrub sie rund um die eigene Siedlung. Diese Entdeckung haben Archäologinnen und Archäologen um Martin Furholt von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) im slowakischen Vráble gemacht, wie in einer Pressemitteilung der Universität berichtet wird.
Bei ihrer Ausgrabung im Sommer 2021 legten die Forschenden zusammen mit Kollegen aus dem slowakischen Nitra mehrere kopflose Skelette frei. Die menschlichen Überreste waren scheinbar achtlos in einem Graben deponiert worden, der um eine jungsteinzeitliche Siedlung verlief. Tatsächlich entdeckten die Ausgräber darin aber eine Art Muster: Die Skelette lagen häufig zu zweit an den Durchgängen des Grabensystems. Zudem waren die Körperteile erst nach dem Tod abgetrennt worden. Ob die Verstorbenen vor ihrer Enthauptung an einem anderen Ort aufgebahrt oder zu diesem Zweck wieder ausgegraben worden waren, konnten die Archäologen nicht abschließend klären. Auch, wohin die Schädel verschwunden sind, ist noch offen.
Schädelkult und Leichenzerstückelung in der Jungsteinzeit
Die kopflosen Skelette sind wohl weder Opfer von Gewaltausbrüchen geworden, noch waren sie kriminelle Außenseiter der Gemeinschaft. Viel eher zeugt die Grabstätte in Vráble von einem Ahnenkult. »Schädelkult und Leichenzerstückelung sind in der Jungsteinzeit weit verbreitet und mit magischen oder religiösen Vorstellungen verknüpft«, erläutert Prähistoriker Johannes Müller von der CAU. Aus den Schädeln ihrer verstorbenen Angehörigen hätten die Hinterbliebenen etwa Totenmasken gemacht oder sie in Schädelnestern arrangiert. Auf diese Weise wohnten die Toten dem Alltag ihrer Nachfahren bei. Das Bestattungsritual diente wahrscheinlich auch einem weiteren Zweck: »Das Deponieren der Körper in den Gräben kann als Ausdruck einer Botschaft an die Natur oder Gottheiten erachtet werden«, erklärt Teamleiter Furholt. »Mit ihren rituellen Akten haben sie versucht, ihrer Umwelt Struktur zu verleihen und diese zu beeinflussen.«
In der Kleinstadt Vráble im Westen der Slowakei wurden insgesamt drei nahe beieinanderliegende Siedlungen entdeckt, die mit geschätzten 590 Einwohnerinnen und Einwohnern verhältnismäßig groß waren. Die Ortschaften entstanden um 5000 v. Chr. als Teil der späten linearbandkeramischen Kultur. In diesem Zeitraum veränderte sich das soziale Gefüge der frühen Bauerngesellschaften: Es entstanden von lokalen Vorstellungen geprägte Sitten, die zuvor überregional gültige Traditionen ablösten.
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