Arianischer Streit: Als sich die Christen über den rechten Glauben zerfleischten
»Diese Stadt ist voll von Handwerkern und Sklaven, die alle tiefgründige Theologen sind und in den Läden und auf den Straßen predigen«, schrieb der Kirchenlehrer Gregor von Nyssa gegen Ende des 4. Jahrhunderts über Konstantinopel. Was Gregor damit meinte, führte er weiter aus: »Wenn du von einem Manne ein Geldstück gewechselt haben willst, wird er dich zunächst darüber belehren, worin der Unterschied zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn besteht; und wenn du nach dem Preis von einem Laib Brot fragst, wird man dir an Stelle einer Antwort erklären, dass der Sohn dem Vater untergeordnet ist; und wenn du wissen willst, ob dein Bad fertig ist, wird der Bademeister dir antworten, der Sohn sei aus dem Nichts geschaffen worden.«
Als der Bischof aus Nyssa, dem heutigen Nevşehir in der Türkei, diese Zeilen niederschrieb, tobte der Arianische Streit um die wahre Natur Christi bereits seit Jahrzehnten. Und längst hatte diese Fehde den Rahmen einer gediegenen Theologendebatte gesprengt – eine Debatte über ein zwar bedeutendes, aber reichlich abstraktes Detail des christlichen Glaubens: die Trinitätslehre, die bis heute für den überwiegenden Teil der westlichen und alle orthodoxen Kirchen gilt. Sie besagt, dass sich die Einheit Gottes im Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist widerspiegelt.
Jener Disput, der auch als Arianischer Streit in die Geschichte einging, drehte sich damals nicht zuletzt um Einfluss, Macht und Reichtum: »Den Vorwand bildete das Seelenheil, doch Herrschsucht war der Grund«, notierte selbst Gregor von Nazianz (um 329–390) missmutig, der entscheidend an der Ausarbeitung der Trinitätslehre mitwirkte, sich an den Auswüchsen des Streits jedoch nicht beteiligte: Der Disput war auf den Straßen der christlichen Metropolen eskaliert – bis hin zu einem Kampf auf Leben und Tod.
Straßenschlachten, Attentate, Lynchmorde
Exzesse gab es zuhauf. Die Anhänger der jeweiligen Lehrmeinungen standen einander unversöhnlich gegenüber: In Alexandria, Antiochia, Konstantinopel oder Rom, den politischen und kulturellen Zentren des Imperiums, die auch jene der Alten Kirche waren, kam es zu Tumulten und Straßenschlachten, zu Attentaten und Lynchmorden – wegen der Frage nach dem Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur Christi zueinander. »Nie ist ein Gedanke unter so schmerzhaften Geburtswehen ans Licht getreten wie der Gedanke der Trinität«, stellte der Kirchenhistoriker Hans Kühner (1912–1986) fest. Vom 4. bis ins 7. Jahrhundert stritten sich einflussreiche Geistliche über die Trinität. Die Fehde um die wahre christliche Lehre geriet derart außer Kontrolle, dass Mord, Totschlag und staatlicher Terror grassierten.
Wer sich wegen der Botschaft umfassender und bedingungsloser Liebe zum Christentum bekehrt hatte, musste angesichts der vielen Gewalttaten verzweifeln, die im Namen Jesu verübt wurden. Verbittert konstatierte auch der radikale Asket und Kirchenvater Hieronymus (347–420) in einem Brief, er werde selbst in der Wüste stets aufs Neue von seinen Mitmönchen gedrängt, über seinen Glauben Rechenschaft abzulegen: »Ich bekenne, wie sie es wollen, und es genügt ihnen nicht. Ich unterschreibe, was sie mir vorlegen, und sie glauben es nicht. Es ist leichter, unter wilden Tieren zu leben als unter solchen Christen!«
»Aussagen, die die Unterordnung des Sohnes unter den Vater insinuierten, standen neben Aussagen, die die Einheit von Vater und Sohn betonten«Franz Dünzl, Theologe, 1960–2018
Streit hatte es in der Alten Kirche bereits vorher gegeben, schon als die Anhänger Christi noch eine jüdische Sekte neben anderen waren. Die Leiter der ersten christlichen Gemeinden verhielten sich nämlich zueinander längst nicht so vertraut und harmonisch, wie man meinen könnte. So zeigten sich die Urgemeinden von Antiochia und Jerusalem in zentralen Fragen uneins – etwa darüber, ob jüdische Gebote einzuhalten seien oder nicht. Zudem waren die frühesten Anhänger Jesu angesichts von Kreuzestod und Auferstehung davon ausgegangen, die verheißene Wiederkunft Christi stehe unmittelbar bevor und werde noch zu ihren Lebzeiten stattfinden. Als diese aber auch nach Jahrzehnten immer noch nicht erfolgt war, mussten sich neue Generationen von Christen darauf einstellen, dass die Ankunft ihres Herrn wohl noch eine ganze Weile auf sich warten lassen würde.
Als der erste Kanon heiliger Schriften entstand
Man musste sich also auf Erden einrichten. Der neue Glaube, der sich Anfang des 2. Jahrhunderts endgültig vom Judentum löste, brauchte allgemein gültige Regeln sowie Instanzen, die deren Einhaltung garantierten. Dabei existierte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ein verbindlicher Kanon heiliger Schriften für die neue Religion. Zwar kursierten bereits früh Abschriften der Paulusbriefe, der vier Evangelien oder der Offenbarung des Johannes unter den Gläubigen, doch erst im Jahr 367 erklärte Bischof Athanasius von Alexandria (um 300–373) die bis heute in allen Kirchen anerkannten 27 Schriften des Neuen Testaments als für alle Christen verbindlich.
Allerdings waren nicht alle Texte für die Gläubigen verständlich. Gelehrte machten sich deshalb daran, sie auszulegen. Denn was hatte es zu bedeuten, dass Jesus in den Schriften wiederholt als Sohn Gottes tituliert wurde? War er ein Halbgott wie die zahlreichen Kinder, die Göttervater Zeus mit Menschenfrauen gezeugt hatte? Ist der Heiland Gott untergeordnet, übergeordnet oder stehen Vater und Sohn auf einer Ebene? Welche Rolle spielt der Heilige Geist? Fragen wie diese waren heikel – und doch gab es viele und einander oft widersprechende Antworten. »Aussagen, die die Unterordnung des Sohnes unter den Vater insinuierten, standen neben Aussagen, die die Einheit von Vater und Sohn betonten«, schrieb der katholische Theologe Franz Dünzl (1960–2018) in seinem Buch »Kleine Geschichte des trinitarischen Dogmas in der Alten Kirche«. »Dieses unreflektierte Nebeneinander von Perspektiven konnte auf Dauer jedoch nicht genügen.« Die Christenheit wollte endlich die Grundlagen des Glaubens erörtern und festlegen. Dabei ging es durchaus robust zur Sache, widerstreitende Lehrmeinungen wurden als Abfall vom rechten Glauben diffamiert, ihre Anhänger zu »Feinden Gottes« erklärt.
Bereits Hippolyt von Rom (um 170–235), ein konservativer Scharfmacher des frühen Christentums, zählte in seiner Kampfschrift »Refutatio omnium haeresium«, auf Deutsch »Widerlegung aller Häresien«, 32 Lehren auf, die im Widerspruch zum rechtgläubigen Christentum stünden – wohlgemerkt zu einer Zeit, in der die Orthodoxie erst im Entstehen war und die Kirche noch keine zentrale Autorität kannte. »Schwindler, voller Narrheiten« seien die Ketzer, »kecke Nichtwisser«, die sich auf »Zauberei und Beschwörung, Liebestränke und Verführungsmittel« verstünden und einer »Schule voll Widersinn und hündischen Lebens« anhingen. Augustinus von Hippo (354–430) kam knapp zwei Jahrhunderte später auf 88 Häresien, sein Zeitgenosse Filastrius von Brescia listete gar 156 Irrlehren.
Wie das Christentum zum Machtfaktor wurde
Der ständige Streit unter den Christen war auch den altgläubigen Römern aufgefallen, obwohl diese von den Anhängern der neuen Glaubensgemeinschaft zunächst keine genaue Vorstellung hatten, wie Kirchenhistoriker Kühner in seinem Buch »Gezeiten der Kirche in zwei Jahrtausenden« darlegt: »Als sie [den Römern] als Gruppe deutlich werden, die einen einzigen Gott verehren, werden sie mit den Juden und ihrem Monotheismus identifiziert.« So erwähnt der römische Schreiber Sueton in seinen Kaiserbiografien »De vita Caesarum« aus dem Jahr 121 n. Chr., dass der zwischen 41 und 54 regierende Kaiser Claudius die Juden aus Rom vertrieben habe, welche »aufgehetzt von Chrestus, fortwährend Unruhen machten«. Drei Jahrhunderte nach Claudius versuchte sich Kaiser Julian bei dem letztlich vergeblichen Unterfangen, das Christentum zurückzudrängen und die alte Religion zu stärken, sogar der Streitlust christlicher Kirchenlehrer zu bedienen. Der Herrscher, der als Christ aufgewachsen war, jedoch mit der Religion gebrochen hatte, gestattete allen von seinen Vorgängern verbannten Bischöfen die Rückkehr zu ihren Amtssitzen. Da dort aber inzwischen jeweils Gegenbischöfe residierten, war Streit programmiert.
Selbst in den Jahren der schlimmsten Christenverfolgungen – etwa unter den Kaisern Decius, Valerian sowie Diokletian und Galerius im 3. und Anfang des 4. Jahrhunderts – ließen die Anhänger Jesu nicht von Zank und Hader ab. Zu den brisantesten Streitpunkten zählte damals, ob eine durch einen Häretiker vorgenommene Taufe gültig sei oder nicht. Als ausgesprochener Hardliner erwies sich hier Cyprian von Karthago (um 200–258), der meinte, mit Ketzern dürfe man »nicht einmal irdische Speise und weltlichen Trank teilen«, geschweige denn »das Heil bringende Wasser der Taufe«. Der Bischof, ein Märtyrer und Heiliger, meinte, außerhalb der katholischen Kirche gebe es kein Heil, sondern nur »Lügenpropheten«, »Erstgeborene des Satans« oder »Tiere in Menschengestalt«, die »die größte Gottlosigkeit« verbreiteten.
Trotz der gewaltigen Streitigkeiten sollte das 4. Jahrhundert für das Christentum zur entscheidenden Zeit werden. Am Anfang des Jahrhunderts waren die Anhänger Jesu noch der Verfolgung ausgesetzt gewesen, an seinem Ende erhob Kaiser Theodosius I. (347–395) ihren Glauben zur Staatsreligion. Dazwischen hatten es im Jahr 313 die beiden amtierenden Kaiser Konstantin I. und Licinius allen anderen Kulten im Römischen Reich gleichgestellt – eine Entscheidung, die als Konstantinische Wende in die Geschichte einging. Dadurch verzeichnete die neue Glaubensgemeinschaft einen enormen Zuwachs an Macht und Einfluss im Römischen Reich. In den Jahrzehnten danach tobte der Arianische Streit, und das Volk der Christen, welches etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, war gespalten wie nie zuvor.
Streit um die Dreifaltigkeit
Ausgebrochen war die Debatte um Arius, einen führenden Geistlichen in der Kirche Alexandrias, um das Jahr 318. »Wir kennen einen Gott, der als Einziger ungezeugt ist, als Einziger ewig, als Einziger ohne Anfang, als Einziger wahrer Gott ist, unwandelbar und unveränderlich«, hatte Arius geschrieben. Dieser Gott habe »vor ewigen Zeiten den eingeborenen Sohn gezeugt« – und zwar aus dem Nichts und nicht aus dem eigenen göttlichen Wesen. Daher seien Vater und Sohn auch nicht wesensgleich. Es habe eine Zeit gegeben, in welcher der Sohn noch nicht existiert habe, der als ein Geschöpf des Vaters diesem untergeordnet sei.
Diese Überlegungen widersprachen offensichtlich dem Glauben an die Göttlichkeit Jesu. Bischof Alexander von Alexandria war empört: »O diese unselige Verblendung, dieser maßlose Wahnsinn, diese eitle Ruhmsucht und satanische Gesinnung, die in ihren unheiligen Seelen wie eine verhärtete Geschwulst sich festgesetzt hat!« 320 berief Alexander eine Synode ein, bei der rund 100 ägyptische und libysche Bischöfe Arius exkommunizierten und verbannten. Der Streit hatte aber erst begonnen und weitete sich schnell aus. »Krawall folgte auf Krawall, ganz Ägypten wurde davon erfasst und schließlich die gesamte Ostkirche entzweit«, schrieb der ausgesprochen kirchenkritische Autor Karlheinz Deschner (1924–2014) in seinem zehnbändigen Hauptwerk »Kriminalgeschichte des Christentums«.
Aufgewiegelt von hetzerischen Priestern und radikalen Mönchen fielen die Gläubigen übereinander her
Konstantin I., seit dem Sieg über Mitkaiser Licinius im Jahr 324 Alleinherrscher des Imperiums und dem Christentum zugeneigt, konnte Zwist in der Kirche nicht brauchen. »Die Uneinigkeit der Christen alarmierte Konstantin, denn sie tangierte die Grundlagen seiner Religiosität«, meint Theologe Franz Dünzl. »Wenn das Wohlwollen der Gottheit von der rechten Gottesverehrung abhängig war, dann konnte sich jede Uneinigkeit und Spaltung nur negativ auswirken.« Also schrieb der Kaiser an die beiden Proponenten Alexander und Arius, sie sollten ihre Meinungsverschiedenheiten um diese »Lappalie« begraben, ihre Streitlust vergessen und zur früheren Eintracht zurückkehren. Als der Brief seine Wirkung verfehlte, berief der Herrscher 325 das Erste Konzil von Nicäa ein. Auch dort wurde Arius' Lehre verworfen – der Streit war aber keinesfalls beigelegt.
In Alexandria herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände
Patriarch Athanasius, ab 328 Alexanders Nachfolger in Alexandria, einem der größten und mächtigsten Bischofssitze jener Zeit, setzte den Kampf gegen die arianische Lehre mit aller Entschiedenheit und Unnachgiebigkeit fort. Arius und seine Unterstützer seien gottlose Betrüger, »Toren und Christusfeinde«, die »unsinniges und törichtes Zeug« verbreiteten und mit ihrer Lehre, »die zum Erbrechen reizt«, nur zum Schein einen theologischen Disput ausfechten, »in der Tat aber gegen die Gottheit selbst den Kampf führen«.
Zwar hatte sich die überwältigende Mehrheit der auf dem Konzil von Nicäa versammelten Bischöfe zur Wesenseinheit des Vaters mit dem Sohn bekannt. Die arianischen Zweifel daran waren damit aber noch nicht ausgeräumt. In den folgenden Jahrzehnten bekämpften sich die beiden Richtungen bis aufs Blut, von hetzerischen Priestern und radikalen Mönche aufgewiegelte Gläubige fielen übereinander her. In Alexandria herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Bei einer Auseinandersetzung verloren gar 3150 Menschen ihr Leben.
Bischöfe wurden gewählt, Gegenbischöfe installiert, abgesetzt, vertrieben, wieder eingesetzt, manche von fanatischen Anhängern der Gegenseite ermordet. Je nachdem welcher Kaiser gerade in welcher Reichshälfte regierte, genossen mal die Katholiken oder Orthodoxen, mal die Arianer die Gunst des Herrschers. Von den drei Söhnen Konstantins des Großen hatte sich Constantius II. dem Arianismus verschrieben, Constans und Konstantin II. hingegen standen auf Seiten der Orthodoxie. Synoden und Konzile wurden abgehalten, deren Ergebnisse von der jeweils unterlegenen Seite nicht anerkannt wurden.
Im Sommer 381 beschlossen schließlich die auf dem von Kaiser Theodosius I. einberufenen Ersten Konzil von Konstantinopel versammelten Bischöfe, es gelte ab sofort »die alleinige Göttlichkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes unter Annahme gleicher Hoheit und liebevoller Dreieinigkeit. Alle, die diesem Glauben anhängen, sollen nach unserem Befehle den Namen katholische Christen tragen«. Alle anderen hingegen, »die wir für toll und wahnsinnig halten, haben den Schimpf ketzerischer Lehre zu tragen«. Damit war der Arianische Streit beendet, das Ringen um die Trinität aber noch lange nicht.
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