Klimawandel: Die Arktis brennt wie nie zuvor
Im Sommer 2020 sind entlang des Polarkreises Brände ausgebrochen, die die Tundra einäscherten und sibirische Städte mit Rauch überzogen. Zum Ende der arktischen Brandsaison im August hatten die Feuer eine Rekordmenge von 244 Megatonnen Kohlendioxid verursacht – das sind 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Eine Ursache für die großen Mengen, sagen Wissenschaftler, könnten Torfgebiete sein.
Moore sind kohlenstoffreiche Böden, die durch den langsamen Zerfall wassergesättigter Pflanzen entstehen, manchmal über Tausende von Jahren hinweg. Sie sind die kohlenstoffdichtesten Ökosysteme der Erde; ein typisches nördliches Torfgebiet enthält etwa zehnmal so viel Kohlenstoff wie ein Wald in einer kaltgemäßigten Klimazone. Wenn Torf brennt, gibt er seinen uralten Kohlenstoff ab. Damit gelangen noch mehr Wärme speichernde Gase, die den Klimawandel beeinflussen, in die Atmosphäre.
Fast die Hälfte des weltweit im Torf gespeicherten Kohlenstoffs liegt zwischen 60 und 70 Grad nördlich, entlang des Polarkreises. Das Problem ist, dass die gefrorenen, kohlenstoffreichen Böden mit der Erwärmung des Planeten voraussichtlich auftauen werden, was sie noch anfälliger für Brände macht und mit größerer Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass große Mengen Kohlenstoff in die Luft gelangen. Es handelt sich um eine Rückkopplungsschleife: Setzen Torfgebiete mehr Kohlenstoff frei, nimmt die globale Erwärmung zu, wodurch mehr Torf auftaut und mehr Brände entstehen (siehe »Brennende Torfgebiete«). Eine im August 2020 veröffentlichte Studie zeigt, dass sich die nördlichen Torfgebiete auf diese Weise von einer Netto-Senke für Kohlenstoff zu einer Netto-Quelle entwickeln könnten, was den Klimawandel weiter beschleunigen würde.
»Alarmierend ist der richtige Begriff«
Thomas Smith, Umweltgeograf
Die beispiellosen Brände in der Arktis der Jahre 2019 und 2020 zeigten, dass die Veränderungen bereits im Gange sind, sagt Thomas Smith, Umweltgeograf an der London School of Economics and Political Science: »Alarmierend ist der richtige Begriff.«
Zombie-Brände schwelen im Winter
Die Brandsaison in der Arktis begann 2020 ungewöhnlich früh: Bereits im Mai gab es nördlich der Baumgrenze in Sibirien Brände; normalerweise treten sie erst um den Juli herum auf. Ein Grund dafür ist, dass die Temperaturen im Winter und Frühling wärmer als üblich waren und die Landschaft zum Brennen brachten. Möglicherweise schwelten Torfbrände den Winter über unter dem Eis und Schnee und tauchten im Frühling, als der Schnee schmolz, dann zombieartig auf. Wissenschaftler haben gezeigt, dass diese Art der flammenlosen Verbrennung bei niedriger Temperatur monate- oder sogar jahrelang in Torf und anderen organischen Stoffen stattfinden kann, beispielsweise in Kohle.
Wegen des frühen Beginns brennen einzelne arktische Gebiete länger als üblich, und »die Brände beginnen viel weiter nördlich als früher – in Landschaften, die wir eher für feuerbeständig als feuergefährdet hielten«, sagt Jessica McCarty, Geografin an der Miami University in Oxford, Ohio.
Forscher wollen nun herausfinden, wie schlimm diese arktische Feuersaison tatsächlich war. Das russische Fernüberwachungssystem für Waldbrände hat 18 591 einzelne Ereignisse in den beiden östlichsten Bezirken Russlands katalogisiert: Insgesamt sind fast 14 Millionen Hektar verbrannt, sagt Evgeny Shvetsov, ein Brandspezialist am Sukachev-Institut für Forstwirtschaft, das zur Russischen Akademie der Wissenschaften in Krasnojarsk gehört. Die meisten Brände ereigneten sich in Permafrostgebieten, wo der Boden normalerweise das gesamte Jahr über gefroren ist.
Um die rekordverdächtigen Kohlendioxidemissionen möglichst genau zu beziffern, setzten Wissenschaftler des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus Satelliten ein. Damit untersuchten sie Ort und Intensität der Brände. Anschließend berechneten sie, wie viel Material jedes einzelne Feuer vermutlich verbrannt hatte. Die Werte seien wahrscheinlich eine Unterschätzung, sagt Mark Parrington, ein Atmosphärenwissenschaftler am Europäischen Zentrum für Wettervorhersagen in Reading, Großbritannien, der an der Analyse beteiligt war. Brände in Torfgebieten können von zu geringer Intensität sein, als dass Satellitensensoren in der Lage sind, sie zu erfassen.
Zahlreiche Torfgebiete sind anfällig, da gefroren und flach
Wie stark die diesjährigen Brände in der Arktis das globale Klima langfristig beeinflussen werden, hängt davon ab, was sie verbrannt haben. Smith hat errechnet, dass etwa die Hälfte der arktischen Brände im Mai und Juni Torfgebiete betrafen und die Brände in vielen Fällen tagelang anhielten. Das deutet darauf hin, dass sie durch dicke Schichten von Torf oder anderen Böden, die reich an organischer Substanz sind, angefacht wurden.
»Was man für später erwartet hatte, geschieht bereits«
Amber Soja, Umweltwissenschaftlerin
Und die August-Studie ergab, dass es in den nördlichen Breiten fast vier Millionen Quadratkilometer Torfgebiete gibt. Davon ist mehr als bisher angenommen gefroren und flach – und daher anfällig dafür, aufzutauen oder auszutrocknen, sagt Gustaf Hugelius, ein Permafrostwissenschaftler der Universität Stockholm, der die Untersuchung geleitet hat. Hugelius und sein Team fanden auch heraus, dass Torfgebiete zwar seit Tausenden von Jahren zur Abkühlung des Klimas beitragen, sie aber künftig wahrscheinlich zu einer Quelle großer Mengen Kohlenstoff werden, die in die Atmosphäre gelangen. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte das geschehen.
Es gibt Szenarien, denen zufolge die Brandgefahr in Sibirien mit der Erwärmung des Klimas zunehmen wird. Doch die Zukunft sei schon jetzt zu beobachten, sagt Amber Soja, eine Umweltwissenschaftlerin, die am US National Institute of Aerospace in Hampton, Virginia, arktische Brände untersucht. »Was man für später erwartet hatte, geschieht bereits«, sagt sie. »Und in einigen Fällen schneller als gedacht.«
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