Gewitter in der Polregion: Es blitzt und blitzt und blitzt in der Arktis
Blitze sollen in der Arktis um ein Vielfaches häufiger einschlagen als noch vor einem Jahrzehnt, die Rate könnte sich bald gar verdoppeln. Möglicherweise ist das eine Folge des Klimawandels auf der Erde; darauf deutet zumindest eine Studie hin. Allerdings sind nicht alle Wissenschaftlerinnen und Forscher der Meinung, dass der jüngst vorgestellte Trend real ist.
Robert Holzworth, Leiter der Studie, verteidigt die Resultate: »Wir sehen hier ein Symptom des globalen Klimawandels«, sagt der Atmosphärenphysiker. Holzworth ist Direktor des World Wide Lightning Location Network (WWLLN), der Sammlung von bodengestützten Sensoren, die die Daten gemessen haben. Von den Ergebnissen hat er am 8. Dezember 2020 auf einer virtuellen Tagung der American Geophysical Union berichtet und sie vor der Begutachtung als Preprint veröffentlicht.
Ob die Blitze in der Arktis zunehmen oder nicht, könnte erhebliche Auswirkungen auf die Region haben. In den vergangenen zwei Jahren haben dort Waldbrände so viel Landfläche wie nie zuvor zerstört – einige waren von Blitzen ausgelöst worden. Zudem gab es den größten Kohlendioxidausstoß in der Arktis seit Beginn der Aufzeichnungen. Mehr Blitze würden die Wahrscheinlichkeit für Waldbrände erhöhen, die wiederum noch mehr klimaschädliche Gase und Ruß in die Luft bringen könnten, so die Sorge.
Polare Blitze sind üblicherweise selten
Blitze entstehen, wenn Eiskristalle in konvektiven Gewitterwolken – Wolken, gefüllt mit aufgewühlten Strömen, die von warmer Luft gespeist werden – zusammenstoßen und elektrische Ladung übertragen. Eine Ladungstrennung baut sich auf, bis sie einen Schwellenwert erreicht, dann wird ein Blitzschlag ausgelöst. Einige Forscher haben vorausgesagt, dass die globale Erwärmung zu mehr konvektiven Stürmen und Blitzen weltweit führen wird, da die Luft- und Meerestemperaturen steigen. Einige Modellrechnungen legen jedoch das Gegenteil nahe.
Nichtsdestotrotz hat die Weltorganisation für Meteorologie in Genf im Jahr 2016 Blitze in die Liste der »wesentlichen Klimavariablen« aufgenommen. Demzufolge könnte die Beobachtung von Blitzen Forscherinnen und Forschern helfen, das sich verändernde globale Klima zu verfolgen.
Mehr Sensoren in der Arktis erschweren die Interpretation
Die Arktis erwärmt sich schneller als der Rest des Planeten, so dass Veränderungen der Blitze dort am deutlichsten sein könnten. Laut dem finnischen Unternehmen Vaisala, das ebenfalls ein Blitzortungsnetzwerk betreibt, gab es im August 2019 den nördlichsten jemals entdeckten Blitz – nur 52 Kilometer vom Nordpol entfernt. Und ein Sturm im Juli 2014 über der kanadischen Arktis verursachte mehr als 15 000 Blitzeinschläge nördlich des Polarkreises.
Blitze in der Arktis sind normalerweise selten; sie machen etwa 0,5 Prozent aller vom WWLLN detektierten Blitze weltweit aus. Holzworth und seine Kollegen wollen jedoch herausgefunden haben, dass die Zahl der jährlichen sommerlichen Blitzeinschläge oberhalb des Breitengrads von 65 Grad Nord von etwa 35 000 im Jahr 2010 auf fast 250 000 im Jahr 2020 gestiegen ist. Die Wissenschaftler untersuchten die Monate Juni, Juli und August, in denen fast alle arktischen Blitze auftreten. Dabei fanden sie eine steigende Anzahl von Blitzen in der gesamten Arktis, wobei die meiste Aktivität um Nordsibirien auftrat.
Ob es mittlerweile tatsächlich häufiger zu Blitzeinschlägen kommt als in der Vergangenheit, ist schwierig festzustellen, weil die Detektionsnetzwerke immer effizienter geworden sind. Mehr Sensoren können mehr messen – was nicht heißt, dass es zuvor nicht ebenso oft geblitzt hat. Holzworth und sein Team führten daher mehrere Analysen durch, um zu bestätigen, dass in der Arktis mehr Blitze auftreten und nicht nur mehr entdeckt werden. »Daran gibt es keinen Zweifel«, sagt er.
Das Netzwerk von Vaisala hat jedoch nicht den gleichen Trend aufgezeichnet. Seine Daten reichen allerdings nur bis ins Jahr 2012 zurück, nicht bis 2010. »Wir sehen keinen eindeutigen Trend zu mehr Blitzen in extremeren Breitengraden«, sagt Ryan Said, ein Meteorologe und Blitzanalyst im Vaisala-Büro in Louisville, Colorado.
An Orten wie der Arktis, an denen relativ wenig Blitze zu sehen sind, können schon ein paar intensive Gewitter einen verhältnismäßig großen Anstieg der Gesamtzahl der in einem bestimmten Jahr erfassten Blitze verursachen, stellt Said fest. Bei so viel Variabilität von Jahr zu Jahr kann es schwierig sein, langfristige Trends auszumachen.
Laut anderen Forschern wiederum ergeben die Ergebnisse von Holzworths Team durchaus Sinn. Die Arbeit »unterstützt die breitere Sicht auf eine blitzreichere Zukunft für die Arktis«, sagt Sander Veraverbeke, ein Erdsystemwissenschaftler an der Freien Universität Amsterdam. Im Jahr 2017 hatten Veraverbeke und seine Kollegen berichtet, dass Blitze in Teilen Alaskas und Kanadas weiter nördlich mehr Waldbrände entfachten als in der Vergangenheit.
»Eine interessante Korrelation«
Eine Möglichkeit, die aktuelle Studie zu verifizieren, wäre, indigene und andere Gemeinschaften zu befragen, die in hohen Breitengraden leben, sagt Jessica McCarty. Sie ist Geografin an der Miami University in Oxford, Ohio, und untersucht arktische Waldbrände. Eine andere Möglichkeit wäre, weitere Studien zur Blitzortung durchzuführen. Die Arbeit von Holzworths Team zeige »eine interessante Korrelation« mit Veränderungen der globalen Temperatur, sagt Antti Mäkelä, ein Blitzspezialist am Finnischen Meteorologischen Institut in Helsinki. In den kommenden Monaten wollen Mäkelä und seine Kollegen 20 Jahre Daten von einem Blitzortungssystem vorlegen, das sich über Norwegen, Schweden, Finnland und Estland erstreckt. Außerdem planen sie, den Datensatz zu analysieren, um zu sehen, ob es eine Zunahme der Blitze in Nordskandinavien gegeben hat.
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