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News: Artbildung rückwärts

Arten grenzen sich voneinander ab und verhindern so eine Durchmischung. Doch mitunter lassen sich die Artbarrieren durchbrechen.
Backhefe
Der Grundbegriff der Systematik, die Art, gilt eigentlich als eindeutig definiert: Zu einer Art gehört demnach eine Gruppe von Pflanzen oder Tieren, deren Mitglieder sich untereinander kreuzen können und dabei lebensfähige, fruchtbare Nachkommen erzeugen. Daher sind nach dieser klassischen Definition Pferd und Esel unterschiedliche Arten, denn sie können sich zwar kreuzen, ihre Nachfahren, Maultier oder Maulesel, sind jedoch unfruchtbar.

Solche "Maultiere" kennen auch Mikrobiologen, und zwar bei Hefen: Unter dem Oberbegriff Saccharomyces sensu stricto fassen sie sechs Arten zusammen, zu denen neben der allseits bekannten Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae auch die Spezies S. paradoxus, S. bayanus, S. cariocanus, S. mikatae und S. kudriavzevii gehören. Sie alle können sich untereinander kreuzen; doch das Verschmelzungsprodukt, die Zygote, ist steril. Die Forscher sprechen von einer postzygotischen Barriere, welche die Arten voneinander abtrennt.

Doch worin besteht diese Barriere? Die Forscher vermuten, dass eine unterschiedliche Anordnung der Gene auf den verschiedenen Chromosomen der Hefen fruchtbare Nachkommen verhindert. Denn die Zygote, die ja von beiden Elternteilen Chromosomen erhalten hat – und damit diploid ist – durchläuft eine Reifeteilung, bei der vier Sporen mit einem haploiden, also einfachen Chromosomensatz entstehen. Bei unterschiedlich aufgebauten Chromosomen funktioniert diese Aufteilung nicht mehr richtig: Wenn ein bestimmtes Gen bei der einen Art beispielsweise auf Chromosom VI, bei der anderen auf Chromosom VII liegt, werden einige Sporen Chromosomen erhalten, denen dieses, vielleicht lebenswichtige Gen fehlt.

So eine Barriere könnte beispielsweise zwischen den Arten S. cerevisiae und S. mikatae bestehen: Beide haben ihr genetisches Material fast identisch angeordnet, nur einige Gene sind zwischen Chromosom VI und Chromosom VII vertauscht. Reicht das als Barriere?

Um diese Frage zu beantworten, hat Daniela Delneri von der University of Manchester versucht, diese Barriere beiseite zu räumen. Zusammen mit ihren Kollegen vertauschte sie bei einem S.-cerevisiae-Stamm die entsprechenden Gene zwischen Chromosom VI und Chromosom VII. Es entstand ein neuer Stamm, der genetisch der Art S. mikatae ähnelte.

Es folgte die Probe aufs Exempel: die Kreuzung. Und tatsächlich entstanden aus der Vereinigung zwischen S. mikatae und dem neuen Stamm fruchtbare Sporen – die Artbarriere war durchbrochen.

Damit scheint sich das Chromosomen-Modell als postzygotische Barriere zu bestätigen: Zwei Arten können sich durch unterschiedliches Arrangement ihrer Gene voneinander abgrenzen. Die Abgrenzung ist jedoch noch relativ leicht zu überwinden; die Hefen der Gruppe Saccharomyces sensu stricto sind in der Evolution vermutlich erst vor kurzer Zeit entstanden.

Nur ein Systematiker hätte noch ein Problem: Zu welcher Art gehört denn nun der neu kreierte Stamm? Schon zu S. mikatae, da die Kreuzung fruchtbare Nachkommen erzeugte? Oder doch noch zur Spezies S. cerevisiae, aus der er hervorging? Mitunter verweigert die Natur das Schubladendenken.

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