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Vereinigte Staaten: Kommt der Jaguar zurück?

Wie Phantome schlüpfen Jaguare durch die letzten Lücken der Grenzmauer zu Mexiko. Artenschützer wagen kaum davon zu träumen: Die Großkatze könnte in den USA wieder heimisch werden.
Ein Phantom kehrt zurück
Die meisten Jaguare, die sich in die USA vorwagen, kommen durch eine der letzten verbliebenen Lücken im Grenzzaun zu Mexiko. Zu Gesicht bekommt man sie kaum: Nur wo sie in Kamerafallen tappen, werden ihre Fährten sichtbar.

Statistisch gesehen alle 30 Sekunden löst irgendwo im Grenzland zwischen USA und Mexiko eine Kamerafalle der Sky Island Alliance aus. Insgesamt eine Million Bilder kommen so pro Jahr zusammen. Für ihren Job, einen Teil dieses digitalen Bilderwusts zu sichten, ist Meagan Bethel nicht zu beneiden. Zumal der Bewegungsmelder in aller Regel nicht angeschlagen hat, weil ein Ozelot vor die Linse gelaufen ist – Bethels Liebling in der örtlichen Fauna und zugleich eine große Rarität. Viel wahrscheinlicher hat wieder einmal ein Weißwedelhirsch die Kamera aktiviert oder Sciurus arizonensis, das Arizona-Grauhörnchen.

Bethels Revier sind die Whetstone Mountains, benannt nach dem Gestein, aus dem man einst Wetzsteine machte. Einzig da, wo der Höhenzug auf über 2000 Meter aufsteigt, rund um den Apache Peak, wird die Vegetation grüner und dichter. Der Rest der Landschaft scheint wie aus Schmirgelpapier gemacht. Eine harte, trockene Halbwüste, in der Wyatt Earp einst Arizonas berühmtesten Outlaw Curly Bill Brocius über den Haufen schoss. Viel zu hart eigentlich für die sanften Pfoten einer Großkatze, möchte man meinen.

Das Schwarz-Weiß-Foto vom 23. November 2023, das eines Tages auf Bethels Monitor erschien, versetzte ihr darum einen mittleren Schock. Die gefleckte Katze auf dem Bildschirm war sogar noch wesentlich größer als ein Ozelot. Es war ein Tier, das seit Generationen nicht mehr in den Whetstones zu sehen war.

Harte Grenze, hartes Land | Noch ist die Grenzmauer zwischen Mexiko und den USA nicht komplett, mancherorts versperrt sie nur Fahrzeugen den Weg. Hier quert sie das Gebiet der Huachuca-Berge und des Coronado National Memorial.

Versperrte Wanderrouten

Der Jaguar (Panthera onca) ist die größte Raubkatze Nord- und Südamerikas. Schätzungsweise mehr als 60 000 Exemplare gibt es zwischen dem nördlichen Argentinien und dem nördlichen Mexiko. Die große Mehrheit von ihnen, rund 55 000 Tiere, lebt im feuchten, dichtbewaldeten Amazonasbecken. Doch der Jaguar kommt auch mit trockenheißem Klima der mexikanischen Sonorawüste klar, mit Sümpfen, mit Feuchtgebieten und teils sogar mit dem Hochgebirge.

Womit er nicht klarkommt, ist der fortschreitende Verlust seines Lebensraums. Immer häufiger werden ihm die Wanderrouten zwischen seinen verbliebenen Habitaten versperrt, vor allem in Mittel- und Nordamerika. Die isolierten Populationen verarmen genetisch, werden anfälliger für Krankheiten und wenn der Klimawandel ihr Habitat verändert, können sie nicht mehr dorthin ausweichen, wo die Bedingungen besser sind.

Als potenziell gefährdet führt die Weltnaturschutzunion IUCN darum den Jaguar inzwischen. Einzelne Populationen wie in Guatemala sogar als bedroht. In den USA galt die Art seit den 1960er Jahren als ausgerottet.

In Tucson, im Büro der Naturschutzorganisation Sky Island Alliance, die die Wildtierkameras aufgestellt hat, machte Meagan Bethels Entdeckung schnell die Runde. Das Tier, das sie auf ihrem Monitor gesehen hatte, war zweifelsfrei ein Jaguar. In ihre Begeisterung habe sich schnell Besorgnis gemischt, erzählt Programmdirektorin Emily Burns: »Wir sorgen uns immer um die Sicherheit eines so seltenen und gefährdeten Tieres. Deswegen haben wir die Sichtung zunächst nicht bekannt gemacht.« Hinzu kam: Die Kamerafalle befand sich in einem Gebiet, in dem niemand mit Jaguaren gerechnet hatte. Ganz offensichtlich war hier ein junges Männchen unterwegs in neues Gebiet – und es war bereits viel weiter in den Norden gelangt als üblich. Wohin wollte es als Nächstes?

Im Folgemonat wurde die Fährte des Tieres deutlicher. Derselbe Jaguar, das verrieten seine individuellen Fleckenmuster, erschien auf dem Video einer weiteren Kamerafalle aus den etwa 50 Kilometer weiter südlich gelegenen Huachuca-Bergen. Deren Südteil gehört bereits zu Mexiko, von wo das Tier stammte. Ein solches Bewegungsmuster – weit nach Norden und zurück in den Süden: einmalig und in der Grenzregion nie zuvor aufgezeichnet.

Allerdings könnte das auch an der lückenhaften Überwachung liegen. »Die Wanderungen dieser Jaguare sind immer noch ein Mysterium«, sagt Burns, »es gibt in den USA keine Programme, um die Tiere mit GPS-Halsbändern zu verfolgen.« Fachleute müssen auf Zufallstreffer hoffen, auf die Schnappschüsse von Kamerafallen, die vor allem für Pumas, Bären oder Hirsche aufgestellt wurden.

In der Kamerafalle | Die Jaguarsichtung der Sky Island Alliance vom November 2023 in den Whetstone-Bergen sorgte für Aufregung.

Inseln im Wüstenmeer

Die Whetstone- und Huachuca-Berge gehören zu den so genannten Sky Islands, einer Gruppe von 55 Gipfeln im Südwesten der USA und im Norden Mexikos, die wie Inseln aus dem Wüstenmeer der Region herausragen. Ihre Isolation und das mildere Klima im Vergleich zur harschen Umgebung schaffen eine hohe Biodiversität. »Wenn Sie vom Fuß einer solchen Insel zum Gipfel fahren, ist das wie eine Reise von Mexiko nach Kanada. Erst bewundert man die Kakteen der Wüste und eine Dreiviertelstunde später Pinien im Schnee«, schwärmt Burns. Diese Himmelsinseln werden aber auch von einem Bauwerk durchschnitten, das weniger Enthusiasmus bei Artenschützern hervorruft: die besonders von der Trump-Regierung massiv ausgebaute Grenzmauer. »Zwei Drittel der Grenze zwischen Arizona und Mexiko sind bereits durch die Mauer abgeriegelt. Hier kommen die Jaguare schon gar nicht mehr durch«, sagt Burns.

Was verbleibt, ist eine etwa 50 Kilometer breite Lücke zwischen den Patagonia- und den Huachuca-Bergen. Hier gibt es nur Sperren gegen Fahrzeuge, für Tiere sind sie leicht zu überwinden. Diese Lücke hat sich zu einem Brennpunkt des Artenschutzes entwickelt.

Auffällig ist, dass Jaguare ein verstärktes Interesse an einer Rückkehr in die USA zu entwickeln scheinen – allein 2023 kam es zu fünf Sichtungen, wobei sich nicht klären ließ, ob es sich dabei mehrfach um denselben Grenzgänger handelte oder unterschiedliche Individuen abgebildet wurden. Dass es einen Trend gibt, hält Emily Burns jedenfalls für möglich: »Es stimmt uns optimistisch, dass wir im vergangenen Jahr mehr Sichtungen hatten als in den Vorjahren. Das deutet darauf hin, dass die Tiere in der Region nun bessere Lebensräume vorfinden.«

Jaguare wurden in den USA stark bejagt, besonders in den 1960er Jahren, häufig durch die Regierungsbehörden selbst. Das letzte Weibchen wurde 1963 erschossen, zwei Jahre später das letzte Männchen. Dass die Jagd im Jahr 1969 für illegal erklärt wurde, kam zu spät. Anschließend gab es immer wieder einmal vereinzelte Sichtungen oder zumindest Gerüchte, dass sich in den Bergen ein Jaguar herumtrieb. Eine eigenständige Population bildete sich aber nie wieder heraus.

Besucher aus dem Süden

Seit 1996 beobachten Fachleute jedoch, dass die Grenzübertritte aus Mexiko an Beständigkeit zunehmen. Als Megan Southern in jenem Jahr ihre Tätigkeit beim Center for Biological Diversity in Arizona begann, wurden gleich zwei Jaguare nördlich der Grenze fotografiert. Die Forscherin, die seitdem auch Koordinatorin des Northern Jaguar Projects war, zählt für den Zeitraum zwischen 1996 und der Sichtung im November 2023 mindestens acht eindeutig verschiedene und verbindlich dokumentierte Jaguare, die sich in den USA aufgehalten haben, alle davon Männchen. »Vier davon wurden zuerst von Pumajägern gesichtet, die tatsächlich lieber zur Kamera als zum Gewehr griffen«, sagt Southern.

Die erste Sichtung von 1996 blieb nicht ohne Folgen. Der Endangered Species Act, das US-Bundesgesetz zum Schutz bedrohter Arten, verlangt von den Behörden, für alle bedrohten und gefährdeten Arten zu prüfen, ob es ein eigenes Schutz- oder Rückkehrprogramm braucht. Mit den Sichtungen der Jaguare befand sich nun eindeutig eine weitere, ganz offensichtlich bedrohte Art auf dem Territorium der Vereinigten Staaten. Deshalb habe sich die Wildtierbehörde schon von Gesetzes wegen mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob Schutzgebiete für die Jaguare geschaffen werden müssten. Das erzählt Eric Sanderson, der seinerzeit als Mitarbeiter der Naturschutzstiftung Wildlife Conservation Society (WCS) dem eigens einberufenen Expertenteam angehörte: Wo könnte der Jaguar in den Vereinigten Staaten wieder heimisch werden? Das war die Frage, die es zu klären galt.

Die Antwort erschien 2018. In einem offiziellen Plan zum Arterhalt kam der US Fish & Wildlife Service zu dem Schluss, dass alle Bemühungen zum Schutz der Art lieber auf Mexiko konzentriert werden sollten. Die von der Behörde vorgeschlagene Schutzzone, die Northwestern Jaguar Recovery Unit, reicht 1500 Kilometer weit in den Süden Mexikos, aber nur knapp 100 Kilometer weit in die USA. In den Vereinigten Staaten, so befand der Abschlussbericht, gebe es gerade einmal genügend Lebensraum für sechs Jaguare. Ein krasses Fehlurteil, findet der Biologe: »Unsere Modelle belegten, dass es nördlich der Grenze sehr viel mehr geeigneten Lebensraum gibt, als in Betracht gezogen wurde.«

In Mexiko wächst die Population

Zugleich leuchtet die Idee, den Schutz zunächst auf Mexiko zu konzentrieren, vielen Artenschützerinnen und -schützern in den USA ein. Dort hat ein 2005 gegründetes staatliches Schutzprogramm erhebliche Erfolge gezeigt. Eine Zählung aus dem Jahre 2018 belegt einen 20-prozentigen Anstieg des Jaguarbestands über acht Jahre, auf geschätzte 4800 Tiere.

Eine wichtige Rolle in dieser Erfolgsgeschichte spielt die Northern Jaguar Reserve im mexikanischen Staat Sonora, nur knapp 200 Kilometer südlich der Grenze zu Arizona. Dort leben mittlerweile zwischen 80 und 120 Tiere, darunter ein wachsender Anteil von Muttertieren mit Jungen. »Mehr Nachwuchs in diesem Schutzgebiet wird dazu führen, dass sich immer mehr junge Männchen in Richtung Norden bewegen, um dort ihre eigenen Territorien zu behaupten«, sagt Emily Burns. Auch der Jaguar in den Whetstone-Bergen könnte in der Northern Jaguar Reserve geboren worden sein.

Das gut 200 Quadratkilometer große Areal sei »das Beste, was den Jaguaren in der Grenzregion passieren konnte«, findet gar Burns.

© Borderlands Ecology & Applied Research Bear Project
Valerio
Eigentlich sollten Schwarzbären auf den Aufzeichnungen der Kamerafallen des Borderlands Ecology & Applied Research Bear Project erscheinen. Doch im Januar 2021 spazierte ein junger männlicher Jaguar durchs Bild. Er bekam den Namen Valerio.

Das kann auch Ganesh Marin bestätigen. Der Doktorand von der University of Arizona beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie menschliche Infrastruktur und Wildtierwanderungen miteinander wechselwirken. Als er mit seinen Kollegen etwa 100 Videokamerafallen auf der mexikanischen Seite der Grenze installierte, erwarteten die Forscher vor allem Aufnahmen von Schwarzbären. »Deswegen war ich völlig schockiert, als wir 2021 plötzlich Filmaufnahmen von zwei jungen männlichen Jaguaren entdeckten – und das weniger als drei Kilometer von der Grenze entfernt.« Noch bedeutender war das Alter der Tiere: »Sie waren noch so jung, dass ich denke, es muss ein Muttertier in der Nähe gewesen sein«, sagt der mexikanische Ökologe.

Alle acht seit 1996 eindeutig in den USA identifizierten Jaguare waren männlich. Das ist für Forscher nicht verwunderlich, denn es sind immer die jungen Männchen, die sich von der Familie lösen, um ein eigenes Territorium und eine Partnerin zu finden. Von sich aus würde kein Jaguarweibchen eine 200-Kilometer-Wanderung auf sich nehmen. Ohne Weibchen jedoch kann sich in Arizona, so weit ab vom Schutzgebiet, keine überlebensfähige Population bilden. Die Männchen drehen einfach wieder um, wenn sie im Norden keine Partnerin finden.

Existiert im Grenzland eine Geisterpopulation?

Vielleicht aber sind sie auf ihren Wanderungen weniger einsam, als die Fachwelt derzeit noch annimmt. Die Tiere durchqueren weites Land, ein Areal so groß wie Baden-Württemberg, in dem kaum Menschen leben und das weitgehend unerforscht ist. Nicht auszuschließen, sagt Emily Burns, dass sich hier längst eine lebensfähige Population der Großkatzen etabliert hat, mitsamt Männchen, Weibchen und Jungtieren. Langsam, schrittweise und so unbemerkt wie ein Jaguar, der auf Lauer liegt.

Eines Tages könnten die äußersten Ränder dieser Population bis in die USA reichen. »Ich bin mir sicher, dass innerhalb des nächsten Jahrzehnts ein weiblicher Jaguar die amerikanische Grenze überschreiten wird – wenn nicht sogar früher«, sagt Marin. Die Sichtung der beiden Jungtiere bestätigte ihn in dieser Hoffnung.

Grünes Versteck | Mancherorts, so wie hier in den Chricahua-Bergen, kann es in Arizona sogar recht bewaldet sein. Auch Privatleuten schaffen es gelegentlich, mit Wildtierkameras einen Jaguar abzulichten, wie ein Video von Anfang 2024 zeigt. Doch in der tausende Quadratkilometer großen Wildnis beiderseits der Grenze sind die wenigen Tiere kaum aufzuspüren.

Alles könnte jedoch ganz anders kommen, wenn die Grenzmauer, wie von Amerikas Rechten gefordert, weiter ausgebaut wird. »Ohne die verbliebenen Wildkorridore wäre es nicht mehr möglich, dass Jaguare die USA auf natürlichem Wege wiederbesiedeln. Außerdem würde es auch die Lebensräume für viele andere Tierarten gefährlich fragmentieren«, sagt Marin.

Wie konkret diese Befürchtung ist, lässt sich daran ablesen, dass beim Bau der bereits existierenden Mauer sämtliche Umweltschutzstandards missachtet wurden. Eine Regelung aus der Amtszeit Präsident Donald Trumps erlaubt es dem Department of Homeland Security, die Grenzbefestigungen auszubauen, ohne Umweltverträglichkeitsstudien einzuholen oder den Artenschutz zu bedenken. »Es bedarf nur einer einfachen Verwaltungsentscheidung«, sagt Burns, dann könnte den Jaguaren der Weg verbaut werden.

Bei der US-Präsidentschaftswahl im November 2024 wird darum auch über die Zukunft der Jaguare in den USA entschieden. Sie sei das »mit Abstand kritischste Ereignis« in diesem Zusammenhang, sagt Burns: »Die Tiere brauchen einfach natürliche Korridore, um sich zwischen den USA und Mexiko bewegen zu können. Sie müssen in ihrer Populationszentren zurückkehren können, und sie müssen in der Lage sein, sich dem Klimawandel anzupassen«, ergänzt Burns. Dabei steht ihnen nicht allein die Grenzmauer im Weg, sondern auch Autobahnen, wie der mexikanische Highway Nr. 2 durch die Sonora-Wüste. Hier bräuchte es »grüne Brücken«, breite Überführungen, auf denen nicht nur Jaguare zu neuen Revieren wandern könnten. Wichtig sei auch, die Verschmutzung des Wassers durch den Tagebau zu unterbinden.

Ambitionierter Plan für eine Rückkehr

Eric Sanderson, das Mitglied der ehemaligen Jaguar-Taskforce, hält hingegen eine Rückkehr des Jaguars notfalls auch unter einer Trump-Regierung für möglich. Mit zwei wissenschaftlichen Studien von 2021 widersprachen er und seine Forscherkollegen der Sichtweise des US Fish & Wildlife Service, dass im Südwesten der USA nur Lebensraum für sechs Jaguare existiere.

»Absurd« sei allein schon die Entscheidung, dass sich die aktuelle Schutzzone auf den gerade einmal 70 Kilometer langen Abschnitt zwischen Staatsgrenze und Autobahn Interstate 10 beschränken müsse. Mit seinen Kollegen wirbt er für ein viel weiter nördlich gelegenes Areal, 200 Kilometer von der Grenze und damit schon 400 Kilometer vom mexikanischen Schutzgebiet entfernt. Diese Central Arizona – New Mexico Recovery Area (CANRA) liegt in den zentralen Bergketten von Arizona und New Mexico und umfasst etwa 8000 Quadratkilometer »mit wenig Menschen, vielen Beutetieren und ausreichend Bewuchs, der für Jaguare geeignet ist«, sagt Sanderson.

Das Gebiet sei zu 80 Prozent in Staatsbesitz und werde ohnehin schon für Wildtiere gemanagt, im Moment besonders für die Freizeitjagd auf Hirsche und Wapitis. Sanderson, der inzwischen als städtischer Naturschutzstratege für den New York Botanical Garden arbeitet, sieht für die Einrichtung dieses Schutzgebiets sowohl eine moralische als auch eine juristische Verpflichtung: »Unsere Regierung hat Arten ausgerottet, denen es hier jahrtausendelang gutging. Deswegen müssen wir den Jaguar zurückbringen. Das besagt auch der Endangered Species Act.«

Laut den beiden Studien könne die CANRA einmal zwischen 90 und 150 Jaguare beherbergen. Allerdings werden sich die Tiere das Areal absehbar nicht von allein erschließen, dafür ist es zu weit entfernt. Zunächst müssten 15 bis 20 Individuen dort angesiedelt werden, schätzt Sanderson.

Das aber wird erst einmal nicht geschehen. Der US Fish & Wildlife Service lehnte im Januar eine Petition für die Errichtung eines Jaguarreservats nach Maßgabe dieser beiden Studien ab. Nun erwägen amerikanische Umweltschutzorganisationen gegen diese Entscheidung vor Gericht zu ziehen.

Skepsis bei Artenschützern

Doch der Umsiedlungsplan stößt bei Artenschützern auf Skepsis. Eine neu geschaffene Population in den Bundesstaaten Arizona und New Mexico wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit isoliert und damit genetisch abgeschottet von ihren Artgenossen südlich der Grenze. Das bereitet vielen Expertinnen und Experten Bauchschmerzen. Wie sollen die Tiere vor Inzucht geschützt werden? Das sei schon richtig, sagt Sanderson: »Ich verstehe die Sorgen um die Wildkorridore und die Grenzmauer, denke aber das die CANRA genügend Verbindungen zu geeigneten Lebensräumen hat. Die in der CANRA eingeführten Jaguare müssten nicht zur mexikanischen Grenze und den Sky Islands gelangen können, um die Population am Leben zu erhalten.« Stattdessen könnte ihr Genpool mit ein bis zwei neuen Individuen pro Generation immer wieder künstlich aufgefrischt werden.

Die Bedenken von Emily Burns und Ganesh Marin kann er damit nicht ausräumen, sie sehen das Konzept der CANRA kritisch. »Ich denke nicht, dass es richtig wäre, Jaguare aus anderen Populationen zu entfernen, um sie in die USA zu bringen, solange wir ihnen hier keinen besseren und sichereren Lebensraum anbieten können«, sagt Burns. Marin verweist auf ethische Probleme: »Wenn die Tiere aus Mexiko kommen sollten, würden die kleineren Populationen dort ebenfalls durcheinandergebracht und möglicherweise genetisch geschwächt.« Außerdem würden etwaige Inzuchtprobleme in die amerikanische Kolonie exportiert. »Das hat man zum Beispiel auch bei der Wiederansiedlung der Florida-Panther in den USA gesehen, die wegen ihres kleinen Genpools Wachstumsschwächen haben«, erläutert Marin.

Im Mittelpunkt solle darum im Moment der Naturschutz im Grenzgebiet stehen. »Wir wollen Biodiversität als Ganzes schützen, nicht nur Jaguare. Wenn wir für sie die richtigen Bedingungen schaffen, profitieren davon auch alle anderen Arten – durch offene Korridore, sauberes Wasser, die Rückkehr einheimischer Pflanzen und stabile Populationen von Beutetieren«, sagt Emily Burns. So werde eine ökologisch gesunde Grenzregion erhalten. Selbst wenn das heißt, dass die dauerhafte Rückkehr des Jaguars in die USA noch auf sich warten lässt.

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