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Artenschutz: Flüsse in Gefahr

Die Rückkehr des Bibers in unsere Flüsse lehrt uns viel über die Widerstandskraft der Natur. Doch sie darf nicht über den schlechten Zustand vieler Fließgewässer hinwegtäuschen.
Eurasischer Biber frisst und knabbert Holz im Fluss

Der Dieb kommt im Schutz der Dunkelheit. Zielstrebig bahnt sich der junge Biber seinen Weg die Uferböschung hinauf, bis ins angrenzende Weizenfeld. Mit seinen kräftigen Nagezähnen kappt er mehrere Halme und schleppt sie als Bündel zurück zum Gewässerrand, wo er die reifen Ähren genüsslich verspeist.

Biber sind Pflanzenfresser. Im Frühjahr und Sommer ernähren sie sich hauptsächlich von Blättern, jungen Trieben und Wasserpflanzen. Nur in der kalten Jahreszeit verlegen sie sich auf die Rinde von Bäumen, am liebsten von weichen Hölzern wie Weiden und Pappeln, die sie im Herbst fällen, um einen Vorrat für den Winter zu haben. Und Biber sind flexibel. Fehlt die natürliche Ufervegetation, bedienen sie sich schon mal in den Getreide- und Maisfeldern der Bauern.

Nahrungskonkurrenz war allerdings nicht der Grund, warum der Mensch Castor fiber, wie der Europäische Biber mit wissenschaftlichem Namen heißt, fast ausgerottet hätte. Gejagt wurden Biber vielmehr wegen ihres extrem dichten Fells, ihrem Duftsekrets, des Bibergeils, und wegen ihres Fleisches. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten in ganz Eurasien lediglich 1200 Tiere in wenigen Restpopulationen den Jagdeifer der Menschen überlebt. Wenig besser erging es den nordamerikanischen Bibern (Castor canadensis), die im 19. Jahrhundert millionenfach gefangen und zu Pelzmützen verarbeitet wurden. So heißt es etwa in einer 1952 erschienenen Volksausgabe von »Brehms Tierleben«: »Kaum ein anderes Tier hat sich so rasch vermindert als der Biber«, und weiter: »Gegenwärtig findet man ihn in Deutschland nur sehr einzeln, […] mit Sicherheit bloß noch an der mittleren Elbe und in dem Gebiet der Mulde bei Dessau.«

Durch strengen Schutz und die Auswilderung nachgezüchteter Biber haben sich die Biberpopulationen in den vergangenen 50 Jahren erstaunlich schnell erholt. Heute bevölkern wieder über 30 000 der bis zu 30 Kilogramm schweren Nager weite Teile Deutschlands.

Trotzdem sollte die Erfolgsgeschichte von der Rückkehr des Bibers nicht zu dem Schluss verleiten, dass unsere Bäche und Flüsse nun wieder intakt wären. Die chemische Wasserqualität hat sich zwar massiv verbessert, doch noch immer gibt es Probleme mit eingeschwemmten Düngemitteln, Pestiziden, Quecksilber oder Mikroplastik. Die Bestandsrückgänge bei etlichen Artengruppen sind so drastisch, dass viele Forscher Alarm schlagen. Das betrifft etwa Krebse, Amphibien, Muscheln und auch im Wasser lebende Insekten.

Insektensterben unter Wasser

Wenn von Insekten die Rede ist, denken wohl die wenigsten an aquatische Tiere. Aber die Insekten bilden auch im Süßwasser die Basis der Nahrungskette: Die Larvenstadien von Eintagsfliegen, Steinfliegen, Köcherfliegen, Zuckmücken und Libellen leben allesamt unter Wasser und werden von Fischen, Amphibien, Vögeln und Säugetieren gefressen. Umso besorgniserregender sind die Ergebnisse einer im Fachjournal »Conservation Biology« veröffentlichten Langzeitstudie zur Insektenfauna im Breitenbach bei Fulda. Dort haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Limnologie in Plön 42 Jahre lang (von 1969 bis 2010) jede Woche die Wassertemperatur gemessen, Wasserinsekten gezählt und viele weitere Parameter aufgenommen. Die Auswertung des Datensatzes ergab einen Rückgang der Individuenzahl aquatischer Insekten um über 80 Prozent – und das, obwohl der Breitenbach in einem waldreichen Naturschutzgebiet liegt.

Viktor Baranov ist Ökologe, Spezialist für Zuckmücken und Erstautor der Studie. Gemeinsam mit seinen Kollegen macht er den Klimawandel für das Insektensterben unter Wasser verantwortlich: »Die Wassertemperatur hat sich seit 1969 um fast zwei Grad Celsius erhöht ,und wir können in dem untersuchten Bachabschnitt andere anthropogene Einflüsse weitgehend ausschließen«, sagt Baranov.

»Die Wassertemperatur hat sich seit 1969 um fast zwei Grad Celsius erhöht«Viktor Baranov, Ökologe

Im Gegensatz zur Anzahl an Insekten, die drastisch zurückgegangen ist, ist die Vielfalt an Insektenarten im Untersuchungszeitraum sogar leicht gestiegen. Das klingt erst einmal widersprüchlich, lässt sich aber dadurch erklären, dass zu Beginn der Messungen nur relativ wenige spezialisierte Arten an das kalte nährstoffarme Wasser im Bach angepasst waren, diese aber zahlreich vorkamen. Durch die Erwärmung des Baches kamen neue Arten hinzu, während die Individuenzahl der Kaltwasserspezialisten stark zurückging.

Später, zwischen 1990 und 2010, nahm die Artenvielfalt dann jedoch ebenfalls wieder ab. Hier spielte laut Analyse der Forscher die zunehmende Trockenheit eine Rolle sowie Hochwasser, die zu ungewohnter Jahreszeit auftraten. Dadurch fanden weniger Arten geeignete Lebensbedingungen vor.

Auch große Tiere verschwinden

Als anpassungsfähiger Vegetarier ist der Biber nicht direkt auf das Wohlergehen und die Vielfalt der Insekten angewiesen – sicher ein Grund für die Renaissance des Nagers. Andere größere Tierarten haben allerdings deutlich schlechtere Karten, wie eine Metastudie ergab, die Forscher um Fengzhi He vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin (IGB) 2019 veröffentlichten. Die Wissenschaftler untersuchten dafür insgesamt 200 an Süßwasser gebundene Großtierarten wie Störe, Biber, Flussdelfine und Otter. Dabei entdeckten sie, dass die Bestände der großen Flussbewohner zwischen 1970 und 2012 um 88 Prozent zurückgegangen sind.

Die paläarktische Region mit Europa, Nordafrika und Teilen Asiens gehörte mit einem 97-prozentigen Verlust zu den am stärksten betroffenen Regionen. Riesen der Flüsse wie der früher bis in die obere Donau vorkommende Europäische Hausen (Huso huso), ein naher Verwandter des Störs, der bis über vier Meter lang und eine Tonne schwer wurde, sind akut vom Aussterben bedroht. Ähnlich schlecht steht es um andere wandernde Fischarten wie Lachs, Meerforelle und Stör, die man mit großem Aufwand wieder anzusiedeln versucht. Die Ergebnisse sind allerdings bislang deutlich weniger beeindruckend als im Fall des Bibers. Neben der Überfischung ist die Verbauung der Flüsse mit Dämmen und Wehren das größte Problem für diese Arten, denn sie können nicht wie der Biber einfach um Hindernisse herumlaufen.

Eine weitere groß angelegte Datenanalyse unter Beteiligung der Umweltwissenschaftlerin Christiane Zarfl von der Universität Tübingen verdeutlicht, wie stark der Mensch derzeit in Flussläufe eingreift. Die Forschenden nahmen alle größeren Flüsse der Welt unter die Lupe und werteten Daten zu 10 000 Fischarten und 40 000 Staudämmen aus. Dämme und andere Flussbauwerke zerstückeln die Flüsse in viele kleine Abschnitte. Durchgängigkeit und natürliche Flussdynamik gehen so verloren.

Die Fragmentierung ist laut der Studie in den USA, Europa, Südafrika, Indien und China am weitesten vorangeschritten. Weitere 3700 große und zahllose kleinere Dämme befinden sich zudem derzeit noch in Planung, wobei die Studienautoren in tropischen Gegenden wie am Amazonas, Niger, Kongo oder Mekong besonders gravierende Auswirkungen erwarten. Konzentriert man den Blick auf Europa, sticht der Balkan heraus. Dort gibt es noch besonders viele bislang unverbaute Flüsse. Das könnte sich jedoch bald ändern, denn laut der von verschiedenen Umweltverbänden getragenen Kampagne »Rettet das blaue Herz Europas« sind allein auf dem Balkan rund 3000 kleinere und größere Staudammprojekte geplant.

Der Biber macht Hoffnung

Andererseits verbreitet sich allmählich die Erkenntnis, dass intakte Flüsse und Feuchtgebiete von großer Bedeutung sind, und die Biber zeigen uns, wie schnell sich die Natur wieder erholen kann. Mit ihren eigenen Dämmen können sie den Lauf von Fließgewässern bremsen und so lokal kleine Seen und Überschwemmungsflächen entstehen lassen. Biber sind damit ein wichtiger Faktor in der natürlichen Dynamik von Flüssen und Bächen.

Im Rahmen der Initiative »Blaues Band Deutschland« hat die Bundesregierung ein Programm zur Auenrenaturierung ins Leben gerufen, von dem unter anderem auch die Region Mittelelbe profitieren soll, jene letzte Zufluchtsstätte des Bibers in Deutschland. »Wo der Biber ist, können dynamische und vielfältige Kleinlebensräume entstehen, von denen Insekten, Fische und Amphibien profitieren«, sagt Gregor Kalinkat vom Leibniz-Institut IGB in Berlin. Durch die Aktivitäten des Bibers böten sich neue Verstecke für Insekten und Jungfische, was wiederum mehr Nahrung für Fischfresser wie Reiher oder Fischotter bedeutet. Anders als ihre Pendants aus Beton lassen die lückigen Biberdämme stets Rinnen und Wege für wandernde Fische offen oder können bei einem Hochwasser weggespült werden.

Biber sind ein wichtiger Faktor in der natürlichen Dynamik von Flüssen und Bächen

Doch auch die Biberdämme bringen Nachteile mit sich. So gibt es etwa Meldungen aus Brandenburg, denen zufolge sie dort die letzten bislang unverbauten Bäche schädigen. Durch die langsamere Fließgeschwindigkeit der Bäche leiden Arten wie das Bachneunauge, das auf besonders sauerstoffreiches, schnell fließendes Wasser angewiesen ist. Dann stellt sich die Frage: Ist ein Biber mehr wert als ein Neunauge?

Dieses Dilemma des Artenschutzes lässt sich kaum auflösen, denn in Ökosystemen gibt es immer eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Arten, egal ob es sich um ein »natürliches« oder um ein vom Menschen stark beeinflusstes Ökosystem handelt. Viele Naturschützer und Wissenschaftler glauben deshalb, dass Naturschutz künftig verstärkt auf der Ebene von Landschaften und Ökosystemen ansetzen sollte und weniger auf der Ebene einzelner Arten.

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