News: Aspekte einer dauerhaft umweltgerechten Wald- und Forstwirtschaft
Die jährlich in Europa praktizierten Waldschadens- oder Waldzustandsinventuren, die im Wesentlichen auf der Erfassung unspezifischer Nadel-/Blattverluste basieren, erlauben nach Ansicht des Umweltrates keine hinreichenden Aussagen über den tatsächlichen Gesundheits-(Vitalitäts-)Zustand der Bäume und ihrer Bestände. Neu oder neuartig sind vor allem Schadensphänomene, die auf Ernährungsstörungen beruhen. Der Umweltrat fordert, die bislang praktizierten Waldschadens- oder Waldzustandsinventuren zu Gunsten umfassender ökosystemar basierter Zustandsanalysen aufzugeben.
Da Degradationen von Waldökosystemen häufig auf mehrere Ursachen zurückzuführen sind, betont der Umweltrat mit Nachdruck, dass Sanierungsmaßnahmen in der Regel weit über Bodenmeliorations- und Düngungsmaßnahmen hinausgehen müssen. Derartige Eingriffe sind grundsätzlich in ein forstwirtschaftliches Gesamtkonzept einzubinden, in dem neben ernährungs- und bodenkundlichen sowie nutzungsgeschichtlichen Gesichtspunkten auch waldbauliche, ökologische und landschaftspflegerische Ziele zu berücksichtigen sind. Immer aber müssen diese Maßnahmen an die spezifischen Standortbedingungen angepasst werden und sind deshalb von Fall zu Fall neu zu bestimmen.
Der Umweltrat tritt nachdrücklich dafür ein, Wald- und Forstwirtschaft und Naturschutz nicht als Gegenpole zu sehen, sondern Wald- und Forstwirtschaft und Naturschutz so weit wie möglich zu integrieren.
Der Umweltrat plädiert für das Einrichten von geeigneten Waldflächen, auf denen verschiedene Funktionen integrativ gefördert werden und andere, denen eine Vorrangfunktion vor anderen Funktionen eingeräumt wird.
Aus naturschutzfachlichen Erwägungen ist das Einrichten von nutzungsfreien Waldschutzgebieten in einem deutschen bzw. europäischen Schutzgebietssystem unverzichtbar. Auf etwa 10 bis 15 Prozent der Landesfläche sollte der Naturschutz insgesamt absoluten Vorrang genießen. Für den forstlich genutzten Bereich sollten 5 Prozent Totalreservate, 10 Prozent naturnahe Naturschutz-Vorrangflächen und 2 bis 4 Prozent naturnahe Waldränder einem Waldbiotopverbundsystem vorbehalten bleiben.
Von allen Landnutzungsformen ist die Wald- bzw. Forstwirtschaft die am stärksten auf Langfristigkeit orientierte Bewirtschaftungsform. In diesem Zusammenhang betont der Umweltrat die Notwendigkeit standortgerechter, naturnaher Waldbaustrategien.
Der Umweltrat sieht die Notwendigkeit, den Begriff "ordnungsgemäße Forstwirtschaft" zu spezifizieren. Er lehnt dabei aber unterschiedliche Umweltpflichtigkeiten der verschiedenen Kategorien von Waldbesitzern ab. Naturschutz und Umweltschutz im Wald darf nicht auf Staats- und Kommunalwälder beschränkt werden, zumal sich Eigentumsverhältnisse ändern können.
Vor der Formulierung einzelner Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt im Wirtschaftswald steht eine eindeutige Bestimmung der Natur- und Umweltschutzziele. Aus naturschutzfachlicher Sicht ist dieses Ziel in der Regel eine möglichst große Naturnähe in Übereinstimmung mit den historischen Nutzungsformen, wobei sowohl strukturelle Merkmale des Naturwaldes als auch ein breites Spektrum von Lebensräumen des natürlichen Waldes realisiert bzw. erhalten werden sollten.
Fast die Hälfte der Wälder in Deutschland sind in Privatbesitz. Eine zunehmende Waldeigentümerzahl benutzt dabei ihren Wald zu Hobby- und Freizeitzwecken und pflegt ihn nach individuellen Zielen. Ungeachtet der vielfältigen Bemühungen in den letzten Jahrzehnten, durch forstliche Förderung die Besitz- und Betriebsstruktur im Kleinprivatwald zu verbessern, sind die forstlichen Probleme auf Grund der Besitzzersplitterung, der Auflösung der wirtschaftlichen Einheit von Land- und Forstwirtschaft und des nachlassenden Interesses an der Waldbewirtschaftung weitgehend ungelöst.
Um die Zielkonflikte und Überschneidungen zwischen Wald- und Forstwirtschaft und Naturschutz bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben zu lösen, schlägt der Umweltrat vor, hoheitliche Aufgabenstellungen und Nutzungsinteressen grundsätzlich zu trennen. Dies würde langfristig darauf hinauslaufen, eine Forstverwaltung aufzubauen, die lediglich hoheitliche Aufgaben wahrnimmt. Da sie von Zielkonflikten weitgehend entlastet ist, könnte sie mit gleicher Gewichtung auch Naturschutzinteressen vertreten.
Aus naturschutzfachlicher Sicht ist die traditionelle Trennung von mittelfristiger forstlicher Planung (Forsteinrichtung) und naturschutzfachlicher Planung (Landschaftsplanung) als problematisch anzusehen. Die darin angelegte Trennung von Wald und übriger Landschaft ist ökologisch nicht begründbar. Für die Verwirklichung einer dauerhaft umweltgerechten Waldnutzung und -entwicklung sollte deshalb die fachsektorale Trennung der einzelnen Planungs- und Beratungsformen überwunden werden. Nur bei differenzierter Kenntnis der in den Wäldern bereits bestehenden landschaftsökologischen Werte kann über die Notwendigkeit zu weiteren landschaftsgestalterischen Maßnahmen wie Erstaufforstungen in sachgerechter Abwägung mit anderen Zielen des Naturschutzes entschieden werden. Nur so können integrierte Waldbaukonzepte umgesetzt werden, die auch den Belangen des Naturschutzes Rechnung tragen.
Der Umweltrat vertritt grundsätzlich die Auffassung, dass der Umbau in naturnahe Wälder einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung von Naturschutzzielen auf der Gesamtfläche des Wirtschaftswaldes leisten kann. Eine wechselnde Baumartenzusammensetzung, unterschiedliche Behandlungsmodelle und die angestrebten abwechselnden Altersstrukturen können standortspezifisch wesentlich dazu beitragen, die biologische Vielfalt (Lebensraumvielfalt, Artenvielfalt und genetische Vielfalt) im Wald zu sichern und zu mehren. Aus der Sicht des Umweltrates ist vor allem die Dauerhaftigkeit und Umweltverträglichkeit von Umbaumaßnahmen zu gewährleisten und gleichzeitig ein übergreifendes Qualitätsziel unter Berücksichtigung der jeweiligen standörtlichen Bedingungen umzusetzen.
Die Auswirkungen eines ökologischen Waldumbaus auf Biodiversität, Waldnaturschutz, Forsttechnik und Sozioökonomie bedürfen einer fundierten wissenschaftlichen Analyse. Der Umweltrat fordert in diesem Zusammenhang, zum Waldumbau einerseits eine ökologische Begleitforschung zu initiieren bzw. auszubauen und andererseits wissensbasierte Prognosemodelle weiterzuentwickeln. Es sollte geprüft werden, wieweit der Umbau der oft labilen Nadelwälder in stabile und naturnahe Laub- und Laub-Nadelmischwälder im Rahmen öffentlicher (zeitlich befristeter) Förderprogramme auch für den privaten Waldbesitz attraktiver gestaltet werden kann.
Damit Naturverjüngung Erfolg haben kann, ist eine Regulierung des Schalenwildbestandes von herausragender Bedeutung, da durch Wildverbiss die Verjüngung der meisten Baumarten ohne aufwendige Schutzmaßnahmen derzeit nicht möglich ist. Überhöhte Wildbestände machen nicht nur eine Naturverjüngung der meisten Baumarten so gut wie unmöglich, sie verursachen erhebliche Mehrkosten in geschädigten Pflanzungen und gefährden seltene Äsungspflanzen des Waldunterwuchses in ihrem Bestand. Dementsprechend erachtet der Umweltrat die flächendeckende Regulierung der Wildbestände durch angepasste Bejagung als dringend geboten.
Die Forstwirtschaft erbringt zahlreiche Schutz- und Erholungsleistungen (unter anderem Boden- und Lawinenschutz, Grundwasserschutz, CO2-Festlegung, Arten- und Biotopschutz), die positive externe Effekte darstellen, aber am Markt nicht absetzbar sind. Da es in der Regel keinen wirksamen Mechanismus gibt, Nutzer auszuschließen, werden entsprechende Leistungen des Waldes unentgeltlich in Anspruch genommen. Die Waldbesitzer stellen Schutz- und Erholungsleistungen aus eigenem Interesse bereit. Es fehlen jedoch finanzielle Anreize, darüber hinaus weitere Umweltgüter und Erholungsleistungen entsprechend dem gesellschaftlichen Bedarf bereitzustellen. Daher empfiehlt der Umweltrat eine ergebnis- bzw. leistungsbezogene Honorierung von Umwelt- und Erholungsleistungen der Forstwirtschaft. Auf diese Weise können Ausmaß und Art der Leistungen stärker als bislang beeinflusst werden.
Die Grenzziehung zwischen zu bezahlenden und nicht zu bezahlenden Leistungen beruht auf einem Werturteil, für das es eines gesellschaftlichen Konsenses bedarf. Auf objektive naturwissenschaftliche und ökonomische Wertmaßstäbe kann dabei nicht zurückgegriffen werden. Es muss klar bestimmt werden, welche Leistungen vom Waldbesitzer im Rahmen der Sozialbindung seines Eigentums ohne öffentliche Honorierung zu erbringen sind und welche Leistungen darüber hinausgehen. Der Umweltrat empfiehlt, Positivlisten oder Kataloge zu entwickeln, in denen die angestrebten Umweltqualitätsziele festgeschrieben und entlohnungswürdige Leistungen benannt werden. Die honorierungsfähigen Leistungen sollten dabei überwiegend auf regionaler Ebene unter Berücksichtigung der jeweiligen naturräumlichen Potentiale bestimmt werden.
Um das Instrument der Honorierung ökologischer Leistungen der Forstwirtschaft in die Praxis umzusetzen, empfiehlt der Umweltrat:
- Eine Präzisierung der Begriffe "ordnungsgemäße Forstwirtschaft" und "gute fachliche Praxis".
- Die Erarbeitung eines Waldökopunktesystems.
- Die Entwicklung von Indikatoren zur Erfassung von Umweltqualität bzw. von Umweltleistungen ebenso wie von Verfahren zur Erfolgskontrolle.
- Die schrittweise Ablösung eines handlungsorientierten Leistungsentgeltes durch eine leistungsorientierte Honorierung.
- Die Umwidmung (zumindest eines Teils) der zur Subventionierung der Forstwirtschaft vorgesehenen Mittel in Entgelte für ökologische Leistungen der Forstwirtschaft.
Es fehlt ein gesellschaftlicher Konsens darüber, welcher Wald und welche biologische Vielfalt im Wald eigentlich zu erhaltende sind. Vor allem in Verdichtungsräumen kommt es zunehmend zu Nutzungskonflikten. Die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen und ihre jeweiligen Nutzungsansprüche an den Wald kollidieren auf engem Raum und müssen im Sinne einer nachhaltigen Waldnutzung gelöst werden. Belastungen aus der Freizeit- und Erholungsnutzung, insbesondere durch Sportler, Spaziergänger und Jäger, ergeben sich für Waldökosysteme in erster Linie aus flächenbeanspruchenden Infrastruktureinrichtungen, erhöhtem Verkehrs- und Abfallaufkommen, vermehrten Schadstoffemissionen, Tritt- und Erosionsschäden sowie der Störung wildlebender Tierarten.
Zur Minimierung von Konflikten zwischen verschiedenen Nutzergruppen und ihren Interessen müssen auch für Erholungswaldgebiete klar umrissene Lösungskonzepte erarbeitet werden. Dies kann beispielsweise durch eine Ausweisung separater Wege für Spaziergänger, Reiter und Mountainbiker geschehen. Grundsätzlich sollten derartige Prozesse durch eine Partizipation der betroffenen Interessengruppen begleitet werden.
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