Gaia-Mission: Gaia vor Beginn der wissenschaftlichen Messungen
Seit Mitte Januar 2014 befindet sich der gestartete Astrometrie-Satellit Gaia der Europäischen Weltraumorganisation ESA in einer Umlaufbahn um den Lagrangepunkt L2 im Erde-Sonne-System und ist damit rund anderthalb Millionen Kilometer von uns entfernt. Nun soll in Bälde der Messbetrieb in vollem Umfang aufgenommen werden. Gaia soll für alle Sterne bis 20 mag – abgesehen den ganz hellen Sternen mit Helligkeiten von mehr als 6 mag – die Positionen, Bewegungen und Entfernungen mit extrem hoher Präzision ermitteln: Die genauesten Winkelmessungen sollen eine Genauigkeit von 10 bis 20 Mikrobogensekunden erreichen.
Der "First Look" prüft die Qualität der Daten
Jeden Tag werden die zur Erde gefunkten Daten einem "First Look" unterzogen, für den die Gaia-Gruppe am Astronomischen Rechen-Institut des Zentrums für Astronomie in Heidelberg federführend verantwortlich ist. Die Ergebnisse sind sensationell: Die Positionsgenauigkeit der einzelnen Messungen von Gaia, von denen es später für jeden Stern im Durchschnitt mehr als 700 geben wird, an 16 mag hellen Sternen ist bereits höher als die Genauigkeit der Positionen im Katalog von Gaias Vorgängersatelliten Hipparcos. Letzterer enthält nur Sterne heller als 12,4 mag. Diese Genauigkeitsaussage gilt noch nicht absolut, da bei der bisherigen Kalibration von Gaia der Nullpunkt des Koordinatensystems noch nicht bestimmt ist.
In den beigestellten Bildern ist zu erkennen, dass Gaia neben der Astrometrie auch erfolgreich fotometrische und spektroskopische Messungen durchführt. Somit werden auch Informationen ermittelt über die physikalischen Eigenschaften der Sterne und deren Bewegungen in radialer Richtung auf das Sonnensystem zu oder von ihm weg.
Die erkannten Probleme
Allerdings gibt es auch einige Probleme, die sich während der Erprobungsphase (englisch: Commissioning) herausstellten. Die Empfindlichkeit der beiden Gaia-Teleskope nimmt im Lauf der Zeit ab. Erklärt wird dies durch Wasser, das sich irgendwo im Raumschiff angesammelt hat und nicht durch ein routinemäßiges Aufheizen beseitigt werden konnte. Das verbliebene Wasser verdampft daher langsam und lagert sich in Form von Eis unter anderem an den –150 bis –100 Grad Celsius kalten Spiegeln der Teleskope ab. Setzte sich der bisherige Trend der Eisablagerungen fort, so würde die Empfindlichkeit der Gaia-Instrumente jedes Halbjahr um eine halbe Größenklasse sinken. Daher müssen Gaias Spiegel vermutlich im Abstand von einigen Monaten aufgeheizt werden, um die Kontamination mit Eis zu beseitigen. Anschließend dauert es allerdings einige Wochen, bis Gaia für den Messbetrieb wieder ausreichend thermisch stabil ist.
Auch fällt mehr Streulicht in Gaias Kamera, als von der Konstruktion her vorgesehen. Die Menge des unerwünschten Hintergrundlichts ändert sich periodisch mit Gaias Rotationsperiode von sechs Stunden. Eigentlich sollte der mehr als zehn Meter große Sonnenschirm dafür sorgen, dass die beiden Teleskopöffnungen und die zylinderförmige Schutzhülle für die Gaia-Instrumente vollständig im Schatten zur Sonne liegen.
Möglicherweise führen aber kleine millimetergroße Abweichungen von der perfekten Geometrie des Schirms dazu, dass doch eine größere Menge gebeugtes Sonnenlicht auf die Fokalebene von Gaia fällt. Im Detail gibt es allerdings noch keine vollständig schlüssige Erklärung für den genauen räumlichen und zeitlichen Verlauf des Streulichts. Seine Folgen für die Astrometrie sind für Sterne bis zu einer Helligkeit von 16 mag sehr gering. Stärker wirkt sich der erhöhte Lichthintergrund auf die Messung der schwächsten Sterne aus. Bei einer Helligkeit von 20 mag sinkt die berechnete Genauigkeit der Positionsmessung im endgültigen Gaia-Katalog dadurch von etwa 290 auf 430 Mikrobogensekunden (eine Mikrobogensekunde ist der millionste Teil einer Bogensekunde).
Ernster sind die Folgen für die Spektralanalyse schwächerer Sterne mit dem Radialgeschwindigkeits-Spektrografen. Dieses Instrument soll Sterne mit Helligkeiten bis hinab zu 17 mag beobachten. Durch den stärkeren Streulichteinfall wird die Grenzgröße vermutlich um eine Größenklasse verringert.
Für die genauen astrometrischen Messungen ist eine präzise Kenntnis des so genannten Basiswinkels von Gaia nötig. Dies ist der Winkel von etwa 106,5 Grad zwischen den Gesichtsfeldern der beiden Teleskope. Sowohl Messungen mit einem an Bord von Gaia befindlichen Interferometer als auch eine geschickte astrometrische Analyse durch den Heidelberger First Look zeigen aber, dass der Basiswinkel mit Gaias Rotationsperiode von sechs Stunden statt um maximal vier Mikrobogensekunden um mehr als 1000 Mikrobogensekunden variiert.
Ausblick
Am 30. Juni 2014 wurden Gaias Spiegel noch einmal aufgeheizt, um das angesammelte Wassereis zu beseitigen. Kurz danach werden die Gaia-Instrumente, vor allem die fotometrischen Instrumente, noch einmal mit Hilfe spezieller Messungen kalibriert. Anfang August kann dann die eigentliche wissenschaftliche Mission von mindestens fünf Jahren beginnen.
Eine genaue Aussage über die Auswirkungen der angesprochenen Probleme ist im Moment noch nicht möglich. Dazu werden noch viel mehr Messungen gebraucht. Sie werden dann nach rund einem Jahr regulärer Messungen mit Hilfe einer globalen astrometrischen Lösung auf das Genaueste untersucht. Die mathematischen Verfahren sind so flexibel, dass zu hoffen ist, dass sich die oben erwähnten unerwünschten Effekte zum größten Teil herausrechnen lassen. Eine in Dresden beheimatete Gaia-Gruppe untersucht zum Beispiel, in wie weit sich die eventuellen Variationen des Basiswinkels in der astrometrischen Lösung berücksichtigen lassen.
Die guten Ergebnisse des Gaia-First-Looks deuten jedenfalls an, dass die Gaia-Mission sehr erfolgreich sein wird. Die Datenauswertung und Analyse wird allerdings noch komplexer, als ohnehin vorgesehen. Daher ist der erste Zwischenkatalog von Gaia nicht mehr für einen Zeitpunkt 22 Monate nach dem Start geplant, sondern erst nach etwa 31 Monaten.
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