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Astronomie: Gute Aussichten für Europas neues Riesenteleskop

Noch stehen Gelder aus, aber mit dem geplanten Beitritt Brasiliens zur ESO rückt der Bau des E-ELT in greifbare Nähe: Das Teleskop wird die Astronomie auf Jahrzehnte dominieren.
Das E-ELT im Größenvergleich mit dem Airbus A340
Für Astronomen schreit der Cerro Armazones geradezu nach einem Teleskop auf seinem Gipfel. Denn über dem Berg in der chilenischen Atacama-Wüste erstreckt sich fast das ganze Jahr eine staubtrockene, unbewegte Atmosphäre. Ihr verdankt schon das 20 Kilometer entfernte Very Large Telescope (VLT) auf dem Cerro Paranal seinen weltweit einzigartigen Sternenblick. Doch der Armazones überragt mit seinen 3064 Metern Höhe den Paranal um weitere 400 Meter: der ideale Platz für ein außergewöhnliches Teleskop.

Das Warten könnte schon bald ein Ende haben. Am 29. Dezember 2010 verkündete Brasilien offiziell seine Absicht, der Europäischen Südsternwarte (ESO) beizutreten. Es wäre das erste nichteuropäische Mitgliedsland der ESO, die neben anderen Anlagen in Chile auch das VLT betreibt. Noch steht die Ratifizierung durch das Parlament aus. Aber mit Brasilien an der Seite der übrigen 14 ESO-Staaten steigen die Chancen erheblich, dass schon im nächsten Jahr auf dem Armazones mit dem Bau des European Extremely Large Telescope (E-ELT) begonnen werden kann.

Der Cerro Armazones bei Sonnenuntergang | Eine Teststation ist bereits installiert auf dem knapp 3000 Meter hohen Gipfel in der Atacama-Wüste. Seine Lage ist ideal für astronomische Beobachtungen: Es ist dort staubtrocken und fast immer wolkenfrei.
Das "extrem große Teleskop" hat wahrhaft gigantische Ausmaße: Derzeit wäre es das größte der Welt, und viele Astronomen sehen in ihm das wichtigste astronomische Beobachtungsinstrument des Jahrhunderts. "Wir haben bereits den Standort und das Design. Der Beitritt Brasiliens stellt jetzt die Finanzierung auf deutlich solidere Füße", sagt ESO-Generaldirektor Tim de Zeeuw in der Garchinger Zentrale des Forschungskonsortiums.

Das Abkommen sieht vor, dem südamerikanischen Staat Zugang zu den ESO-Einrichtungen zu gewähren und eröffnet seiner aufstrebenden Hightech-Industrie die Möglichkeit, an Ausschreibungen zum lukrativen Bau von E-ELT-Komponenten teilzunehmen. Im Gegenzug steuert das Land über einen Zeitraum von zehn Jahren rund 300 Millionen Euro bei, inklusive einer einmaligen Aufnahmegebühr von 130 Millionen Euro. Das könnte nicht nur den Ausschlag geben, um den Bau des E-ELT anzustoßen, sondern dürfte auch gleichzeitig die Rolle der ESO als weltweit führende astronomische Forschungseinrichtung zementieren.

Riesige Spiegel blicken an den Anfang des Universums

Die Pläne für das E-ELT liegen bereits in der Schublade. Als Teleskop der nächsten Generation wird es über einen gewaltigen Hauptspiegel von 42 Metern Durchmesser verfügen, was sein Lichtsammelvermögen gegenüber den größten existierenden Observatorien verfünfzehnfacht. Doch bislang herrschte Unklarheit, ob die Organisation die nötige Summe von geschätzt einer Milliarde Euro aufbringen kann.

Das Beitrittsgesuch aus Brasilien verheißt jedoch nichts Gutes für zwei US-geführte Unternehmungen von vergleichbarem Ausmaß: das Thirty Meter Telescope (TMT), für das der Armazones ebenfalls als Standort in Betracht gezogen worden war, das nun aber auf dem Mauna Kea im US-Bundesstaat Hawaii entstehen soll; sowie das Giant Magellan Telescope (GMT), dessen 24,5-Meter-Spiegel auf dem chilenischen Cerro Las Campanas installiert würde. Hinter beiden Projekten steht eine umfangreiche Kooperation amerikanischer Universitäten mit internationalen Partnern, die auf eine Inbetriebnahme im Jahr 2019 hoffen – etwa zur gleichen Zeit, zu der auch das E-ELT sein "First Light" feiern will.

Aber nicht nur durch das neue ESO-Mitglied in spe wächst der Druck auf die beiden Teleskope: Einmal alle zehn Jahre veröffentlicht die amerikanische Astronomengemeinde einen Rückblick auf die letzte Dekade. Der letzte Bericht, der Astro2010, empfahl zwar der National Science Foundation (NSF) ein Viertel der Kosten eines Riesenteleskops zu tragen. In Zeiten knapper Kassen müsse sich die US-Forschungsgesellschaft aber auf eines der beiden Projekte beschränken.

Das geplante E-ELT im Vergleich mit dem Brandenburger Tor | Das E-ELT wird seinen Vorgänger, das Very Large Telescope, erheblich überragen. Das Brandenburger Tor nimmt sich sogar noch bescheidener aus. Pläne für ein noch größeres "Overwhelmingly Large Telescope" liegen vorerst auf Eis.
Sowohl das E-ELT als auch das TMT entsprechen in ihrem Aufbau den beiden 10-Meter-Keck-Teleskopen auf Hawaii, wenn auch in größerem Maßstab. Ihre Hauptspiegel werden aus Hunderten sechseckiger 1,45-Meter-Spiegel zusammengesetzt, die einzeln verstellt werden können, um eine optimale Bildqualität zu gewährleisten. Im Gegensatz dazu besteht das GMT plangemäß aus sechs 8,4-Meter-Spiegeln, die sich um einen gleich großen siebten im Zentrum arrangieren.

"Außerordentliche" Millionenbeträge

Aus wissenschaftlicher Sicht hätten Instrumente dieser Ausmaße erhebliche Bedeutung, erläutert Ray Carlberg, Astrophysiker von der University of Toronto und zugleich kanadischer Projektleiter des TMT. Man könne bis zum Rand des sichtbaren Universums blicken, um den ersten Sternen, Galaxien und Schwarzen Löchern sozusagen bei der Entstehung zuzuschauen. Auch die Planeten naher Sonnen ließen sich abbilden und anhand des Lichts auf die Zusammensetzung ihrer Atmosphäre untersuchen. Womöglich würde man sogar chemische Bestandteile entdecken, die auf biologische Prozesse hindeuten. Jedes Land, dem der Zugriff auf ein solches Observatorium verwehrt sei, so Carlberg, bleibe zwangsläufig im Wettbewerb mit der restlichen Astronomen-Community zurück.

Aufwand und Kosten verbieten es, dass einzelne Länder derartige Projekte alleine stemmen. Im Fall der ESO steht dem brasilianischen Anteil von 300 Millionen Euro ein ebenso großer Betrag gegenüber, den die übrigen 14 Mitglieder gemeinsam aufbrachten. Darüber hinaus hat die ESO ihre Mitgliedsstaaten um einen weiteren "außerordentlichen Beitrag" von 400 Millionen Euro gebeten, um auch die restlichen Baukosten des E-ELT abdecken zu können, so ESO-Direktor de Zeeuw. Trotz Sparmaßnahmen allerorten hofft er, dass die Europäer die zusätzlichen Fördergelder bis zur Mitte des Jahres auftreiben können.

Auch Roger Davies, ein Astrophysiker der University of Oxford und Vorsitzender des ständigen Kontrollgremiums des E-ELT, sieht mit der Entscheidung Brasiliens die Chance steigen, dass die noch fehlenden Gelder bald eintreffen werden. Dann könnte der Rat der ESO das E-ELT noch im September absegnen und der Bau im Frühjahr 2012 beginnen.

Die beiden US-amerikanischen Projekte sind dagegen ins Stocken geraten. Je länger sich die Entscheidung, welches der beiden Observatorien die Unterstützung des NSF erhält, noch herauszögert, desto größer ist die Gefahr, dass wichtige Projektpartner abspringen, fürchten Wissenschaftler. Allerdings ist die Wahl nicht leicht: "Es geht darum, in die Zukunft zu blicken", sagt der Leiter der Abteilung für astronomische Wissenschaft der NSF, James Ulvestad. "Man muss voraussehen, wo die Wissenschaft stehen wird – nicht heute, nicht im nächsten Monat, sondern in zehn Jahren." Zur Mitte dieses Jahres wird sich die Forschungsgemeinschaft mit konkreten Vorschlägen beschäftigen, die eigentliche Entscheidung soll dann im Dezember fallen.

Umsetzung mit eigenen Mitteln

Eine zusätzliche Schwierigkeit ist, dass der Astro2010-Bericht einem dritten Projekt, dem Large Synoptic Sky Telescope (LSST), eine höhere Priorität einräumt als dem GMT und dem TMT. Dessen 8,4-Meter-Instrument soll weiträumige Himmelsdurchmusterungen vornehmen. Sollte sich die NSF an die Empfehlung halten, dürfte sie keine Fördergelder für die beiden Observatorien bereitstellen, solange das LSST nicht fertiggestellt ist – was laut Plan frühestens Ende dieser Dekade der Fall wäre. Im Klartext hieße dies, dass die GMT- und TMT-Teams weit hinter ihren Zeitplan zurückfallen würden.

Das E-ELT ohne seinen Schutzbau | In dieser computergenerierten Ansicht ist der Aufbau des E-ELT klar zu erkennen. Statt den Spiegel aus einem Stück herzustellen, konstruiert ihn die ESO aus vielen hunderten Einzelspiegel, die individuell verstellt werden können.
Beide Gruppen schmieden bereits Notfallpläne, um das Wegbrechen der staatlichen Förderung abzufangen. Die wäre zwar "gewiss eine große Hilfe", meint GMT-Direktor Patrick McCarthy, aber das GMT könne auch ohne Unterstützung der NSF gebaut werden. Die internationalen Partner Australien und Südkorea hätten ihre finanziellen Leistungen bereits zugesagt.

Ähnlich sieht es Edward Stone, Vize-Vorsitzender des TMT-Verwaltungsrats. Das Teleskop werde wie geplant gebaut, "ob die NSF nun einsteigt oder nicht." Doch erstes Unheil zeichnet sich bereits ab: Der Entwurf eines Planungsdokuments, das von der kanadischen Astronomenvereinigung in diesem Monat in Umlauf gebracht wurde, rät der kanadischen Regierung sich aus der Unterstützung von TMT zurückzuziehen und sich stattdessen um eine ESO-Mitgliedschaft zu bemühen, falls das Observatorium bis 2014 erheblich hinter das E-ELT zurückfällt.

Das Gutachten erinnert daran, wie hoch die Einsätze sind, mit denen derzeit in der Astronomie gespielt wird – ein Folge des Wandels, den die Disziplin durchmacht: Es sind nicht mehr ein Dutzend große Observatorien, die zur Spitzenforschung taugen, sondern nur mehr zwei oder drei. "Die Leute merken auf einmal, dass es katastrophale Folgen hätte, wenn sie dort vor verschlossenen Toren stehen", sagt Carlsberg.

Mit dem Beitritt zur ESO hat sich Brasilien, das auch über GMT und TMT nachdachte, entschieden, diese Türen zu öffnen. Das kommende Jahr wird zeigen, wer noch beim nächsten großen Schritt in der Weltraumforschung dabei sein wird – und wer leider draußen bleiben muss.

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