Atherosklerose: Gefäßschäden haben direkten Draht ins Hirn
Im Fall von Atherosklerose tauschen Blutgefäße und das Gehirn miteinander Nervensignale aus. Das hat ein internationales Team im Fachjournal »Nature« berichtet. Gewebeproben von Mäusen und Menschen zeigten demnach, dass sich bei der Erkrankung an der Außenwand der Blutgefäße lymphknotenartige Strukturen bilden, »Arterielle Tertiäre Lymph-Organe« (ATLO) genannt. Sie sitzen laut den Autorinnen und Autoren genau dort, wo sich im Inneren die für die Erkrankung typischen Plaques ablagern, und sind mit dem Nervensystem vernetzt. ATLOs übertragen Informationen an das Gehirn und empfangen Signale. Je größer die Verklumpungen in der Blutbahn, desto mehr Nervenfasern konnten die Wissenschaftler an der Außenwand nachweisen.
Rund jeder zweite Todesfall in westlichen Industriestaaten ist auf eine Atherosklerose zurückzuführen. Dabei verengen die entstehenden entzündlichen Plaques die Gefäße und führen so beispielsweise zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Bisher nahm man an, das Nervensystem sei nicht an der Entstehung von Atherosklerose beteiligt, weil die Wand der Blutgefäße die Plaques physisch von den Neuronen trennt. Die neue Studie widerspricht dem. »Das ist eine völlig neue Sichtweise, die den Weg zu bisher unbekannten Therapien ebnet«, sagt der an der Studie beteiligte Giuseppe Lembo von der Universität Rom in einer Pressemitteilung. Neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Italien haben auch Labore in England, China und Deutschland mitgearbeitet.
Um zu überprüfen, ob die Plaques tatsächlich durch die Gefäßwand wirken, kappte die italienische Gruppe bei Mäusen die Verbindungen vom Gehirn zur arteriellen Außenwand. Acht Monate später war die Atherosklerose bei diesen Nagern weniger ausgeprägt als bei den Kontrolltieren. Laut den Forschern verstärkt das Gehirn die Nervenbahnen zur Außenwand der Blutgefäße, wenn es Informationen über entzündete Engstellen erhält. So wird vermehrt der Botenstoff Noradrenalin ausgeschüttet, was das Wachstum der Plaques fördere.
»Atherosklerose ist eben mehr als nur eine Plaque; vielmehr geht es um die Entzündung der Arterie selbst, auch an deren Außenseite«, sagt der ebenfalls an der Studie beteiligte Molekularmediziner Sarajo Mohanta. Allerdings konnten die Wissenschaftler in der Publikation nicht abschließend klären, welcher Stoff genau die Informationen durch die Arterienwand transportiert. Die amerikanischen Biologinnen Courtney Clyburn und Susan Birren von den Universitäten Portland und Waltham schreiben in einem Kommentar zu der Studie, dass die gewonnene Fülle an Informationen es Wissenschaftlern in Zukunft ermöglichen werde, die Faktoren zu identifizieren.
Bisher gibt es kein Medikament, das die Ablagerungen abbaut. Die Entdeckung des »Arterien-Hirn-Schaltkreises« lässt auf eine mögliche Heilung der Gefäßerkrankung hoffen. Für Giuseppe Lembo sprechen die Forschungsergebnisse für die Entwicklung nicht pharmazeutischer Behandlungsmöglichkeiten: »Die Hypothese, an der jetzt gearbeitet werden sollte, ist die Möglichkeit, mit bioelektronischen Geräten auf die Nervenenden einzuwirken«, sagt er. Sein Kollege Mohanta bremst allerdings eine voreilige Euphorie: »Langfristig hoffen wir, dass Atherosklerose endlich kausal therapiert werden kann«, erklärt er, »doch das kann noch dauern.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.