Physiologie : Atmen gegen den Sauerstoff
Normalerweise leidet eine Konstruktion eher an mangelhaftem Design seiner Einzelbestandteile. Für das Modell Insekt scheint das Gegenteil zuzutreffen: Es leidet, wenn sein Atemsystem zu gut funktioniert und nicht gedrosselt werden kann.
Atmen oder nicht Atmen, das ist für höhere Lebewesen eigentlich nicht die Frage. Denn ohne Atmen kein Sauerstoff – und ohne Sauerstoff ein eher ungemütliches Dasein auf niedrigem Niveau, bei dem man sich als im Unterhalt kostspieliges Wesen zur Energiegewinnung allein auf allerlei uneffiziente Gärungsprozesse in den Zellen verlassen muss.
Demzufolge also auch logisch: Je mehr und schneller man Sauerstoff in die Zellen bekommt, je besser organisiert also der Aufbau des körpereigenen Atmungsapparates, desto schneller und effektiver kann Energie gewonnen werden – und desto leistungsfähiger ein Organismus. Das Fliegen etwa, der ultimative Hochleistungstest für einen Organismus, wird (unter anderem) erst durch die brennmittelliefernde Turbolunge der Vögel möglich. Bei flugfähigen Insekten sorgt stattdessen ein clever durchdachtes System von Luftliefer-Röhren, den Tracheen, für den Transport der notwendigen Sauerstoffmengen direkt an den Ort des Energiebedarfs, etwa den Muskelzellen.
Überhaupt, die Tracheen: Sie werden als eigenständige Atemorgane der Kerbtierverwandtschaft oft unterschätzt. Tatsächlich erlauben sie es, den ärgerlichen Umweg des Lösens von Sauerstoff in einer Transportflüssigkeit, etwa dem Blut, völlig zu umgehen. Kostspielige Gastransportmoleküle wie das Hämoglobin kennen die meisten ausgewachsenen Insekten nicht – sie sind überflüssig. Und als alter Irrglaube ist auch falsch, dass in dem luftgefüllten Röhrensystem einzelne Sauerstoffmoleküle nur recht langsam vorankommen würden: In gasförmiger Umgebung bewegen sie sich schon passiv rund 200 000 mal schneller als in wässriger (wie etwa dem Blut). Reine Diffusion der Gasteilchen kann demnach rechnerisch schon ausreichen, um auch in großen Insekten alle Zellen mit Tracheenanschluss ausreichend zu versorgen – ohne dass viel Schnickschnack zur Verteilung und Durchmischung zusätzlich eingebaut werden müsste.
Mehrere Erklärungsvarianten für diese offenbar widersinnige Atemverhinderungsmöglichkeit kursieren derzeit unter Insektenforschern. Der Klassiker etwa ist die Vermutung, der Verschluss würde in trockenen Umgebungen helfen, gezielt Wasser zu sparen, weil er die Abgabe von dampfgesättigter Atemluft verhindern kann. Schöne Theorie – passt nur nicht zu der Tierwelt-Realität: Taufliegen etwa, die diskontinuierlich atmen, verlieren im Durchschnitt genauso viel Flüssigkeit, wie einige ihrer speziellen genetische Varianten, die auf den Einsatz der Atemregelung ganz verzichten. Generell ist nicht gesagt, dass Tiere in trockener Umgebung vermehrt auf verschließbare Tracheen setzten.
Stefan Hetz von der Berliner Humboldt-Universität und Timothy Bradley von der Universität von Kalifornien in Irvine liefern nun eine ganz andere Erklärung für die Funktion von verschließbaren Klappen und zyklischer Atemrhythmik. Sie konzentrierten sich dabei auf die eher schlechten Eigenschaften des zweischneidigen Schwertes Sauerstoffs: Zwar sorgt seine Atmungsverbrennung für viel Energie, gleichzeitig aber ist er giftig und zerfällt in reaktive Radikale die in höheren Konzentrationen Gewebe und Erbgut oxidieren und zerstören.
In großen Mengen sollte das Atemgas im Körper daher besser nicht vorkommen. So erreicht O2 in passiven Geweben von Wirbeltieren nur eine rund viermal niedrige Konzentration als in der Umgebungsluft – und noch zehnmal niedrigere Werte, wenn er schnell und intensiv veratmet wird, wie in Muskelgeweben. Und in Insekten?
Kommt drauf an, so die Forscher: In Insekten ohne Atemklappenregelung kann die Sauerstoffkonzentration wegen der exzellenten Körperlüftung auch an den feinsten Enden der Tracheen im Körper fast Konzentrationen wie in der Umgebungsluft erreichen – und somit eindeutig gefährliche Werte für oxidationsgefährdete Zellbausteine. Anders bei diskontinuierlich atmenden Tieren, wie Hetz und Bradley an Schmetterlingspuppen des Atlasspinners Attacus atlas nachmaßen: Egal wie hoch die Sauerstoffmenge in der Umgebung, in den Tracheen pendelte sich ein kommoder Wert ein, der zum Atmen ausreicht, ohne die Gewebe zu gefährden.
Der Grund dafür sind die Klappen, so die Wissenschaftler: Sie halten ein Zuviel von Sauerstoff draußen. Geöffnet werden die Ventilationsöffnungen dann auch nicht, weil im Inneren des verschlossenen Tracheensystems der Sauerstoff zum Veratmen ausgeht – sondern weil hier die Menge an Kohlendioxid ansteigt, welches beim Verarbeiten der Nahrung anfällt und ausgeatmet werden muss.
Ein neuer Blick also auf die Funktion der ventilationsverhindernden Ventile: Sie öffnen sich nicht etwa, sobald der Körper nach mehr Sauerstoff verlangt – sie öffnen sich, sobald mehr aufgenommener Sauerstoff dem Körper nicht mehr schaden kann.
Demzufolge also auch logisch: Je mehr und schneller man Sauerstoff in die Zellen bekommt, je besser organisiert also der Aufbau des körpereigenen Atmungsapparates, desto schneller und effektiver kann Energie gewonnen werden – und desto leistungsfähiger ein Organismus. Das Fliegen etwa, der ultimative Hochleistungstest für einen Organismus, wird (unter anderem) erst durch die brennmittelliefernde Turbolunge der Vögel möglich. Bei flugfähigen Insekten sorgt stattdessen ein clever durchdachtes System von Luftliefer-Röhren, den Tracheen, für den Transport der notwendigen Sauerstoffmengen direkt an den Ort des Energiebedarfs, etwa den Muskelzellen.
Überhaupt, die Tracheen: Sie werden als eigenständige Atemorgane der Kerbtierverwandtschaft oft unterschätzt. Tatsächlich erlauben sie es, den ärgerlichen Umweg des Lösens von Sauerstoff in einer Transportflüssigkeit, etwa dem Blut, völlig zu umgehen. Kostspielige Gastransportmoleküle wie das Hämoglobin kennen die meisten ausgewachsenen Insekten nicht – sie sind überflüssig. Und als alter Irrglaube ist auch falsch, dass in dem luftgefüllten Röhrensystem einzelne Sauerstoffmoleküle nur recht langsam vorankommen würden: In gasförmiger Umgebung bewegen sie sich schon passiv rund 200 000 mal schneller als in wässriger (wie etwa dem Blut). Reine Diffusion der Gasteilchen kann demnach rechnerisch schon ausreichen, um auch in großen Insekten alle Zellen mit Tracheenanschluss ausreichend zu versorgen – ohne dass viel Schnickschnack zur Verteilung und Durchmischung zusätzlich eingebaut werden müsste.
Komisch nur: Derartiger Schnickschnack ist eben im Tracheensystem mancher Insekten trotzdem nicht zu knapp montiert. Nicht ganz klar ist etwa die Rolle der aufwändigen Verschlusssyteme der seitlichen Atemöffnungen – sie sorgen dafür, dass einige Insekten sich völlig von der äußeren Luftzufuhr abschotten können. In einem sehr regelmäßigen Rhythmus öffnen und schließen sich diese Belüftungsklappen – die Sechsbeiner "atmen diskontinuierlich". Nur warum? Rein physikalisch sollte es eigentlich auch ohne eine derartig aufwändig zu steuernde und kostspielig zu produzierende Regelventilanlage funktionieren – und tut dies auch durchaus bei einigen nicht gerade leistungsgedrosselten Insektenspezies.
Mehrere Erklärungsvarianten für diese offenbar widersinnige Atemverhinderungsmöglichkeit kursieren derzeit unter Insektenforschern. Der Klassiker etwa ist die Vermutung, der Verschluss würde in trockenen Umgebungen helfen, gezielt Wasser zu sparen, weil er die Abgabe von dampfgesättigter Atemluft verhindern kann. Schöne Theorie – passt nur nicht zu der Tierwelt-Realität: Taufliegen etwa, die diskontinuierlich atmen, verlieren im Durchschnitt genauso viel Flüssigkeit, wie einige ihrer speziellen genetische Varianten, die auf den Einsatz der Atemregelung ganz verzichten. Generell ist nicht gesagt, dass Tiere in trockener Umgebung vermehrt auf verschließbare Tracheen setzten.
Stefan Hetz von der Berliner Humboldt-Universität und Timothy Bradley von der Universität von Kalifornien in Irvine liefern nun eine ganz andere Erklärung für die Funktion von verschließbaren Klappen und zyklischer Atemrhythmik. Sie konzentrierten sich dabei auf die eher schlechten Eigenschaften des zweischneidigen Schwertes Sauerstoffs: Zwar sorgt seine Atmungsverbrennung für viel Energie, gleichzeitig aber ist er giftig und zerfällt in reaktive Radikale die in höheren Konzentrationen Gewebe und Erbgut oxidieren und zerstören.
In großen Mengen sollte das Atemgas im Körper daher besser nicht vorkommen. So erreicht O2 in passiven Geweben von Wirbeltieren nur eine rund viermal niedrige Konzentration als in der Umgebungsluft – und noch zehnmal niedrigere Werte, wenn er schnell und intensiv veratmet wird, wie in Muskelgeweben. Und in Insekten?
Kommt drauf an, so die Forscher: In Insekten ohne Atemklappenregelung kann die Sauerstoffkonzentration wegen der exzellenten Körperlüftung auch an den feinsten Enden der Tracheen im Körper fast Konzentrationen wie in der Umgebungsluft erreichen – und somit eindeutig gefährliche Werte für oxidationsgefährdete Zellbausteine. Anders bei diskontinuierlich atmenden Tieren, wie Hetz und Bradley an Schmetterlingspuppen des Atlasspinners Attacus atlas nachmaßen: Egal wie hoch die Sauerstoffmenge in der Umgebung, in den Tracheen pendelte sich ein kommoder Wert ein, der zum Atmen ausreicht, ohne die Gewebe zu gefährden.
Der Grund dafür sind die Klappen, so die Wissenschaftler: Sie halten ein Zuviel von Sauerstoff draußen. Geöffnet werden die Ventilationsöffnungen dann auch nicht, weil im Inneren des verschlossenen Tracheensystems der Sauerstoff zum Veratmen ausgeht – sondern weil hier die Menge an Kohlendioxid ansteigt, welches beim Verarbeiten der Nahrung anfällt und ausgeatmet werden muss.
Warum aber nutzen dann nicht alle Insekten diese Form der Atmung? Weil es bei sehr aktiven Tieren unnötig ist, da diese die hohen Sauerstoffmengen in ihren Tracheen auch sehr schnell umsetzten. Tatsächlich atmen Insekten etwa im Flug nie diskontinuierlich, auch wenn sie das dafür nötige Rüstzeug eingebaut haben. Anders aber – etwa bei Schmetterlingspuppen – sobald die Stoffwechselraten sinken: Das Atemsystem ist nun eindeutig überdimensioniert leistungsfähig, und der gefährliche Sauerstoff wird nicht mehr schnell genug veratmet.
Ein neuer Blick also auf die Funktion der ventilationsverhindernden Ventile: Sie öffnen sich nicht etwa, sobald der Körper nach mehr Sauerstoff verlangt – sie öffnen sich, sobald mehr aufgenommener Sauerstoff dem Körper nicht mehr schaden kann.
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