Neutronensterne: Atmosphäre aus Kohlestaub
Cassiopeia A ist so etwas wie der Rosettastein für die Supernova- und Neutronensternforscher. Jetzt haben Astrophysiker anhand von Röntgenspektren das Rätsel um seine ungewöhnliche Leuchtkraft gelöst.
Eigentlich geht jedes Jahr irgendwo in der Milchstraße ein Stern in einer kapitalen Supernova-Explosion hoch. Meist findet dieses Schauspiel jedoch unbeobachtet hinter den gewaltigen Massen an Staub in der Scheibe unserer Heimatgalaxie statt. Ereignisse wie die im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, die von den Astronomen Brahe und Kepler dokumentiert wurden, sind die Ausnahme. So ging der berühmte "neue Stern" des Jahres 1680 dem königlichen Astronomen Englands, John Flamsteed, wohl nur zufällig ins Netz.
Erst mit der Erfindung der Radioteleskope wurde 1947 die Explosionswolke von damals wieder sichtbar – und schließlich als hellste Radioquelle am Himmel nach der Sonne erkannt: Cassiopeia A. Drei Jahre später konnte die zarte Gashülle auch mit optischen Instrumenten ausgemacht werden. Doch was ist mit dem kompakten Überrest im Zentrum der Detonation? Die Theoretiker erwarteten hier eigentlich ein sehr exotisches Objekt: einen Neutronenstern. Ein solcher sollte auf Grund des immensen Drucks entstehen, der während der Supernova-Explosion den Kern des ausgebrannten Riesensterns so sehr zusammenpresst, dass Protonen und Elektronen zu je einem Neutron verschmelzen, um weniger Platz zu brauchen. Dabei ist eine Masse vom Eineinhalbfachen der Sonne auf eine Kugel von nur rund 20 Kilometer Durchmesser zusammengequetscht. Die Neutronen sind dabei genauso dicht gepackt wie die Teilchen in einem Atomkern – ein Kubikzentimeter dieser Materie hätte die gleiche Masse wie ein Eiswürfel mit einem Kilometer Kantenlänge!
Frischgebackene Neutronensterne haben anfangs eine Temperatur von einer Million Grad oder mehr und geben deshalb Röntgenstrahlung ab. Doch auch als die ersten dieser Objekte mit Hilfe von Röntgensatelliten aufgespürt worden waren, entzog sich das mutmaßliche Exemplar von Cassiopeia A noch immer den Augen der Astronomen. Das änderte erst das amerikanischen Chandra-Observatorium in einer seiner ersten Beobachtungen kurz nach seinem Start 1999. Die Leuchtkraft dieses Neutronensterns, so die Erkenntnis, lag aber deutlich unter den Vergleichswerten, was zwar die Fehlversuche der früheren Satelliten erklärte, die Astrophysiker jedoch vor ein Rätsel stellte: Kann es sein, dass dieser Vertreter nur halb so groß ist wie die anderen?
Dann müsste etwas am Verständnis der Supernovae falsch sein, denn diese gehen von einem recht engen Massenbereich für die Entstehung von Neutronensternen aus. Ist der Vorläuferstern zu klein, findet überhaupt keine Explosion statt, und nach dem Verbrauchen allen Treibstoffs bleibt – wie bei unserer Sonne in fünf bis sechs Milliarden Jahren – ein Weißer Zwerg zurück. Ist der Stern jedoch zu riesig, ist der Druck auf den Kern so groß, dass er vollends kollabiert und ein Schwarzes Loch entsteht.
Auch die Möglichkeit, die Oberfläche des Neutronenstern-Abweichlers weise stark unterschiedliche Temperaturen auf und strahle deshalb nicht überall gleich hell, passte nicht so recht zu den Vorstellungen der Astrophysiker. Wynn Ho von der University of Southampton und Craig Heinke von der University of Alberta zeigen nun einen Ausweg aus dem Dilemma. Ihrem Modell zufolge lassen sich Spektrum und Leuchtkraft des Cassiopeia-Neutronensterns erklären, wenn seine Atmosphäre nicht wie sonst üblich aus Wasserstoff und Helium, sondern überwiegend aus Karbonstaub besteht. Dieser Kohlenstoff dürfte zum einen aus den Schalen des Vorgängersterns stammen, die sich auf dem kompakten Supernova-Rest angesammelt haben, zum anderen aus der Schicht direkt unter der Oberfläche des Neutronensterns, wo bei Temperaturen von anfangs mehr als 100 Millionen Grad noch Kernfusion stattfinden kann. Erst mit zunehmendem Alter, wenn kein Kohlenstoff mehr nachgeliefert wird, nimmt der Anteil der leichten Gase in der Atmosphäre zu, da diese nach und nach aus der Umgebung des Sterns aufgesammelt werden.
Cassiopeia A bietet mit seinem Alter von knapp 330 Jahren eine bisher einzigartige Möglichkeit, einen Neutronenstern kurz nach seiner Geburt untersuchen zu können. Alle anderen bekannten Vertreter haben ein Alter von einigen tausend bis zu etlichen hunderttausend Jahren. Sind die unterschiedlichen Atmosphären also eine reine Frage des Altersunterschieds? Zudem legt das Modell von Ho und Heinke bei diesem Exemplar ein vergleichsweise niedriges Magnetfeld nahe. Folgestudien müssten versuchen zu ermitteln, ob dieses durch Dynamoprozesse so weit aufgebaut wird, dass jener Mechanismus einsetzen kann, der das Objekt als Pulsar sichtbar werden lässt. Ist das nicht der Fall, könnte es neben diesen kosmischen Leuchttürmen eine Population an Neutronensternen wie dem von Cassiopeia A geben, die still und leise einfach immer kühler werden – bis zur endgültigen Unsichtbarkeit.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.