News: Auf dem Weg zu Höhertemperatur-Supraleitern
Die komplexe Chemie und Physik von Hochtemperatur-Supraleitern hat die Entwicklung technischer Anwendungen bislang erschwert. Trotzdem zeichnen sich vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten ab – von Radiofrequenzfiltern bis zu magnetischen Sensoren für elektrische Motoren. Was bislang fehlt, ist das theoretische Verständnis des Ursprungs der Hochtemperatur-Supraleitung in Kupferoxiden. Die Theorie für Niedrigtemperatur-Supraleitfähigkeit in gewöhnlichen Metallen wurde 1956 entwickelt und ist mittlerweile allgemein akzeptiert. Elektronen, die sich einzeln durch ein Material bewegen und Energie bei dem Zusammenstoß mit Verunreinigungen im Material verlieren, schließen sich zu Paaren zu einem supraleitenden Zustand zusammen.
Elektronen besitzen ein winziges magnetisches Moment – den sogenannten Spin. Dadurch, daß sich die Spins eines Elektronenpaares antiparallel orientieren und sich damit gegenseitig aufheben, sind die Paare nichtmagnetisch und können sich ohne Energieverluste (Dissipation) durch die Materialien bewegen. Diese Paare existieren auch in Hochtemperatur-Supraleitern. Welcher "Klebstoff" die Elektronenpaare zusammenhält, ist jedoch immer noch rätselhaft. Die meisten Theoretiker stimmen darin überein, daß der Mechanismus, der in gewöhnlichen Supraleitern zur Paarbildung führt – nämlich Schwingungen des atomaren Kerns – nicht verantwortlich für Supraleitfähigkeit bei hohen Temperaturen sein kann.
Das Experiment, über das nun in Nature berichtet wird, liefert wichtige Hinweise, was die Rolle der atomaren Schwingungen bei der Bildung der Elektronenpaare einnimmt. Die Wissenschaftler verwendeten dafür Neutronen, die in französischen Reaktoren in Saclay und Grenoble bei Kernreaktionen entstehen. Fluktuationen der Elektronenspins können in einem speziellen Hochtemperatur-Supraleiter (Bi2Sr2CaCu2O8) durch die Neutronen angeregt und nachgewiesen werden. Da Neutronen ebenfalls ein magnetisches Moment besitzen und tief in die meisten Materialien eindringen können, ist Neutronenstreuung eine geeignete Sonde für die Untersuchung des Magnetismus in Festkörpern. Das Experiment brachte eine "kollektive" Spinanregung zum Vorschein, das heißt im Zustand der Supraleitfähigkeit begannen sich die Elektronen im Gleichtakt zu bewegen. Solche kollektiven Spinanregungen werden normalerweise in magnetisch geordneten Materialien wie Eisen gefunden. Die Tatsache, daß ähnliche Anregungen auch in Hochtemperatur-Supraleitern existieren, weist auf einen magnetischen Paarbildungsvorgang hin. Versuche einer theoretischen Beschreibung sind zwar immer noch kontrovers, die Neutronenexperimente bedeuten aber auf jeden Fall einen wichtigen Schritt vorwärts. Und so besteht immer noch die Hoffnung, daß eine umfassende Theorie der Hochtemperatur-Supraleitung zu neuen Materialien führen könnte, die bei noch höheren Temperaturen supraleiten, vielleicht sogar bei Zimmertemperatur.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 18.11.1998
"Ungewöhnliche Gesellen"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 4.5.1998
"Verluste bei 'verlustfreier' Leitung"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 20.4.1998
"Auf den Spuren der Hochtemperatur-Supraleitung" - Spektrum der Wissenschaft 5/97, Seite 84
"Heike Kamerlingh-Onnes und die Supraleitung"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 4/93, Seite 46
"Magnetisches Verhalten von Hochtemperatur-Supraleitern"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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