Landwirtschaft: Auf dem Weg zur umweltfreundlichen Kuh
Die deutschen Milchviehhalter klagen momentan, weil sie Milch nicht mehr kostendeckend produzieren können – zumindest nicht, wenn es sich um eher kleinbäuerliche Betriebe handelt. Als Sofortmaßnahme sollen sie nun 100 Millionen Euro als Hilfe erhalten. Doch ob sich damit die Produktion nachhaltig erhalten lässt, bleibt offen. Der Preissturz ist nur eines der Anzeichen, dass sich die Nutztierhaltung weiter drastisch verändern wird. Zurzeit dürfen noch etwa ein Drittel der deutschen Mastrinder und gut 40 Prozent der Milchkühe zeitweise Gras unter den Hufen spüren. Doch im Nordwesten der Republik werden nach Schätzungen von Experten bis 2025 fast alle Milchkühe ihr Leben komplett im Stall verbringen: Der Trend weg von der Weidehaltung ist eindeutig und auch in vielen anderen europäischen Ländern zu sehen. Den Rindern geht es damit ähnlich wie vor ihnen schon den Schweinen und Hühnern. Landwirtschaftliche Betriebe sollen wachsen und in möglichst kurzer Zeit möglichst viel in gleich bleibender Qualität produzieren. Das führt zu einer Konzentration von Tieren und Futter. Die Tiere werden auf engem Raum gehalten; ihr Futter aus Soja, Mais, Raps oder Getreide ist proteinreich.
Dass der weit gehende Verzicht auf dieses so genannte Kraftfutter in der Tierhaltung viele globale Probleme mindern könnte, darauf deutet eine im Dezember 2015 in der Fachzeitschrift "Interface" veröffentlichte Studie hin, die das Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) im Auftrag der Welternährungsorganisation (FAO) durchgeführt hat. Florian Leiber ist Agrarwissenschaftler am FiBL und einer der Autoren der Studie: "Oftmals hört man, die Tierhaltung müsse immer weiter intensiviert werden, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Unsere Studie zeigt aber, dass wir sogar ganz ohne Kraftfutter genügend tierische Proteine und Kalorien produzieren könnten."
In diesem umweltverträglichen Szenario für 2050 müssten wir weniger Fleisch essen – als Richtwert nennen britische Forscher im Fachmagazin "Nature" 300 Gramm pro Kopf und Woche. Gegenwärtig jedoch verbraucht der durchschnittliche Deutsche 1,1 Kilogramm pro Woche. Die Zahl der Schweine und Hühner weltweit würde sich nach dieser Modellrechnung deutlich reduzieren, die Zahl der Wiederkäuer dagegen ansteigen. Sind mehr Rinder also gut für die Umwelt? Wie passt das zusammen, wo doch der Ruf von Rindern und Co in letzter Zeit arg gelitten hat? Rinder und andere Wiederkäuer gelten schließlich wegen ihres Methanausstoßes in ihrem Vormagen als nachteilig für das Klima. Rindfleisch wäre in diesem Zusammenhang das Fleisch mit dem größten ökologischen Fußabdruck.
Kühe auf die Weide
Die Klärung des vermeintlichen Widerspruchs liefert die so genannte "graslandbasierte Kuh": Global gesehen sind zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen Grasland, und ein großer Teil davon eignet sich mangels Nährstoffen oder auf Grund der Topografie nicht dazu, es in Ackerland umzuwandeln. Man kann es entweder gar nicht nutzen – oder Tiere darauf schicken, die mit den Gräsern und Kräutern etwas anfangen können: Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen, aber auch Büffel, Kamele, Lamas, Rentiere und Yaks. Dank der Mikroben in ihrem Vormagen, dem Pansen, können sie die faserreiche Grünlandkost in Energie verwandeln.
Der Mensch macht sich das seit jeher zu Nutze und "erntet" so Fleisch, Fell, Wolle und Milch von diesen sonst kaum verwertbaren Flächen. Je nach landwirtschaftlichem System kommen zum Ertrag noch Dünger und Energie in Form von Zugkraft, Brennstoff oder Biogas hinzu. Auch das sollte in die Klimabilanzen eingehen. Andreas Steinwidder, Leiter des Instituts für biologische Landwirtschaft und Biodiversität der Nutztiere im österreichischen Irdning, fallen noch weitere Argumente pro Beweidung ein: "Der Grünlandboden hat einen sehr hohen Humusgehalt, und durch das stetige Pflanzenwachstum wird ständig Kohlendioxid aus der Luft gebunden. Die Gärgase des Rinds sind daher nicht fossilen Ursprungs, sondern stammen Großteils aus dem natürlichen Kreislauf."
Das eigentliche Problem für Klima und Welternährung ist also nicht das Rind an sich, sondern sein Futter. Würden wir auf dem weltweiten Ackerland wieder mehr Nahrungs- statt Futtermittel anbauen, gäbe es theoretisch mehr zu essen und weniger Umweltprobleme wie Treibhausgase und Stickstoffüberschüsse, die aus der Entkopplung von Viehhaltung und Futtermittelanbau resultieren. Doch diese Strategie umzusetzen, ist schwierig, wie Agrarwissenschaftler Leiber erläutert: "In Deutschland ist eines der Hauptprobleme, dass die große Mehrheit der Milchviehbetriebe mit holstein-friesischen Kühen arbeitet, die auf maximale Milchleistung gezüchtet sind. Sie sind genetisch darauf ausgewählt, sehr viel Milch zu produzieren, und kommen mit nährstoffärmerem Futter nicht mehr gut klar. Sie entsprechen ansonsten Hochleistungssportlern, die man nicht richtig ernährt."
Es ist also nicht einfach so, dass alle Bauern von heute auf morgen anderes Futter verwenden könnten. Längerfristig und mit dem entsprechenden gesellschaftlichen Willen könnte man aber durchaus umsteuern, ist Leiber überzeugt: "Die Frage, die man sich stellen muss, ist die: Gibt es nicht Möglichkeiten, auf robustere, tolerantere Genotypen zurückzukommen, so genannte alte Rassen? Das wäre eine Rückkehr in die Vergangenheit, als nicht so viel nährstoffreiches Futter zur Verfügung stand. Natürlich geben diese Tiere weniger Milch, aber wenn ihr Futter nicht in Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau gewonnen wird, macht die Sache wieder Sinn."
Dazu müssten Verbraucher, Bauern, Molkereien, Einzelhandel und Politik allerdings an einem Strang ziehen. Keine Utopie, wie Leiber berichtet: "In der Schweiz ist die gesamte Lebensmittelbranche, von den Landwirten bis zum Einzelhandel, viel mutiger als in Deutschland. Tierwohl, Ökologie und Nachhaltigkeit sind Selbstverständlichkeiten. So dürfen für Milch mit dem Biosuisse-Label maximal zehn Prozent Kraftfutter verwendet werden, bei Biosiegeln der EU sind hingegen 40 Prozent erlaubt. Und die Schweizer Regierung hat gerade ein neues Subventionsprogramm für Bauern aufgelegt, die sich verpflichten, ihre Wiederkäuer mit mindestens 75 Prozent Gras zu füttern."
Besser auch für die Tiere?
Die Alpenländer Schweiz und Österreich haben traditionell einen höheren Anteil an Weidewirtschaft, aber auch in Deutschland finden weidebasierte Konzepte vermehrt Verbreitung. Verbraucher seien durchaus bereit, einen Aufpreis für besondere Milchqualität zu bezahlen, ergab eine Studie der Universität Göttingen (PDF). Dabei bevorzugten über vier Fünftel der Befragten Regio-, Weide- oder Biomilch gegenüber konventioneller Milch. Verbrauchern ist aber oft nicht klar, was die verschiedenen Milchprodukte unterscheidet, denn es gibt Milch vom Bergbauern, Milch ohne Gentechnik, Weidemilch, Heumilch, Biomilch und noch einiges mehr. Bauern und Molkereien sollten deshalb in die Offensive gehen, dem Verbraucher die Qualitätsunterschiede erklären und sie auch deutlich auf dem Produkt kenntlich machen, empfehlen die Experten. Der Marktanteil von Weidemilch in Deutschland liegt noch bei unter einem Prozent, in Dänemark macht sie bereits ein Fünftel der verkauften Frischmilch aus. Allerdings beschränken die klimatischen Bedingungen oder fehlende hofnahe Weideflächen die Möglichkeiten der Bauern, ihre Tiere ganzjährig draußen zu halten. Eine übliche Anforderung für Weidemilch ist daher, dass die Kühe mindestens an 120 Tagen im Jahr sechs Stunden oder mehr Weidegang haben.
Die Milch von mit Gras und Heu gefütterten Kühen gilt zudem nicht nur als schmackhafter, sondern auch als gesünder als die mit Kraftfutter oder Silage erzeugte Milch. Sie enthält zumindest laut Studien mehr Vitamine und wertvolle Fettsäuren. Und auch beim Thema Tierwohl spricht alles für die graslandbasierte Kuh, denn Gräser und Kräuter sind die natürliche Nahrungsgrundlage der Wiederkäuer. "Wenn wir unsere Kühe wie Schweine füttern, müssen wir uns nicht wundern, dass sie krank werden", sagt Weideexperte Steinwidder und fügt hinzu: "Auch ausreichend Platz, Auslauf und Weidegang kommen der Tiergesundheit zupass." Zuwider laufen all diese Argumente zumindest Teilen der Fleisch- und Milchindustrie, die eher auf lokale Konzentration und Quantität setzt und ihr Heil gegenwärtig im Ausbau des Exports sucht. Die deutsche Agrarwirtschaft verdient schließlich mittlerweile jeden vierten Euro mit dem Export von Milch, Schwein und Hähnchen.
Global betrachtet wäre es dagegen wohl sinnvoller, verstärkt lokale Ressourcen und angepasste Rassen zu nutzen, statt hoch subventionierte europäische Industrieprodukte zu exportieren. Ob im kenianischen Hochland, in der Mongolei oder in China – Florian Leiber ist überzeugt: "In Entwicklungs- und Schwellenländern gibt es ein erhebliches Potenzial, die Produktion zu erhöhen, ganz ohne Kraftfutter und ohne das Grasland zu zerstören. Dafür brauchen wir keine Hochtechnologie, keine genomische Selektion und keine Superhybridzüchtungen von Gräsern, sondern wir müssen mit den Hirten und Nomaden so zusammenarbeiten, dass sich die Produktivität verbessert und ihre Erzeugnisse einen Marktzugang finden."
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