Mythologie: Auf den Spuren eines Irrläufers
Sie ist eines der ältesten und bedeutendsten Werke der abendländischen Kultur: die Odyssee von Homer, dem großen griechischen Denker. Beruht das Epos nun aber auf wahren Begebenheiten oder entsprang es rein der Fantasie? Ein britischer Forscher nimmt einen neuen Anlauf zur Klärung dieser Frage.
Ithaka ist nicht Ithaka – zumindest, wenn es nach John Underhill von der Universität Edinburgh geht. Der Geologe leitet ein Team von Wissenschaftlern, das nach der wahren Heimat des Odysseus sucht – jenes sagenhaften Königs von Ithaka, dessen zehn Jahre währende Irrfahrt von Homer in der Odyssee geschildert wird. Mit dem Bohrer wollen Underhill und Kollegen nachweisen, dass nicht das heutige Ithaka die Heimat des listenreichen Herrschers gewesen sein kann, sondern das benachbarte Kephallonia.
War Odysseus' Ithaka Realität oder Märchen?
Tatsächlich scheiden sich seit der Antike die gelehrten Geister an der Frage, ob sich die Stationen jener Reise, die das Epos aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. besingt, in der realen Welt finden lassen. Zwei Positionen stehen sich dabei gegenüber: Für die eine – rein philologisch argumentierende – Partei markiert der erste Sturm, der Odysseus aus der Nähe der Heimat in fremde Gewässer verschlägt, den Übertritt in eine Märchenwelt, die der Held erst wieder verlässt, als ihn die gastlichen Phaiaken am Strand von Ithaka absetzen. Die Odyssee wird zum Seefahrermärchen aus einer Zeit, in der sich mit dem Beginn der Kolonisierung des Mittelmeeres der griechische Horizont beträchtlich erweiterte.
Die andere Schule versucht, Homers Reisebeschreibungen zumindest in Teilen wörtlich zu nehmen und den Stationen der Odyssee reale Orte zuzuordnen. Wobei es in aller Regel nicht darum geht, den sagenhaften Herrscher von Ithaka zur historischen Person zu machen, sondern um die Frage, inwieweit Homer – der rund 400 Jahre nach den in der Odyssee geschilderten Ereignissen gelebt haben dürfte – geografische Kenntnisse seiner Zeit in die Geschichte seines Helden einfließen ließ. Kenntnisse, die der Dichter der Odyssee entweder aus eigenen nautischen Erfahrungen schöpfte oder durch die Nutzung so genannter Periploi gewann. Solche Navigationshandbücher für Seereisen sind seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. belegt, dürften jedoch schon zu Zeiten der Abfassung der Odyssee in Gebrauch gewesen sein.
Neuer Anlauf zur Klärung
Auch John Underhill gehört zu denen, die Homer wörtlich nehmen wollen. Im vergangenen Jahr trat er als Co-Autor eines Buches in Erscheinung, in dem der Amateur-Archäologe Robert Bittlestone seine Thesen zum antiken Ithaka vorstellte. Demnach könne das zur Gruppe der Ionischen Inseln zählende heutige Ithaka nicht mit der antiken Insel identisch sein. Anders als das von Homer geschilderte Ithaka liege das heutige Eiland nämlich nicht am äußersten Rand der Inselgruppe, sondern zwischen Festland und der Insel Kephallonia. Zudem sei die Insel entgegen der Beschreibung in der Odyssee bergig.
Neu sind solche Zweifel nicht. Schon der bekannte Archäologe Wilhelm Dörpfeld – er gilt als Begründer des wissenschaftlichen Grabungswesens – hatte kurz nach dem Ende seiner Ausgrabungen an der Seite von Heinrich Schliemann in Troja im Frühjahr 1900 einige Zeit auf Ithaka verbracht und war zu der Überzeugung gekommen, dass die Insel nicht mit der von Homer geschilderten übereinstimmen könne. Doch während Dörpfeld das antike Ithaka im weiter nördlich gelegenen Lefkas entdeckt zu haben glaubte, wollen Underhill und Bittlestone auf Kephallonia fündig geworden sein. Ihre These: Palliki, heute als Halbinsel ein Teil von Kephallonia, war einst durch einen schmalen Meeresarm von der Hauptinsel getrennt. Relativ flach und am äußersten Rand der ionischen Inselgruppe in Richtung Meer gelegen, könnte Palliki nach Ansicht der Forscher die sagenhafte Insel des Odysseus gewesen sein.
"Wir können natürlich nicht prüfen, ob die Geschichte von Odysseus wahr ist", so Underhill im Gespräch mit der BBC. "Vielleicht können wir aber nachweisen, ob Homer mit seiner Geographie richtig lag." Der These nach hätte sich der Kanal nach und nach durch nachrutschendes Gestein von den umliegenden Hängen gefüllt – Folge natürlicher Erosion ebenso wie der in jener Region häufigen Erdbeben.
Nun soll also der Bohrer eine Wahrheit ans Licht bringen. Stoßen Underhill und seine Kollegen bei ihren Bohrungen auf der Landzunge zwischen Palliki und der Hauptinsel auf loses Gestein, wäre die These eines durch Geröll verschütteten Meeresarms zumindest nicht widerlegt. Trifft der Bohrkopf dagegen auf harten Fels, hätte sich eine weitere Irrfahrten-Theorie erledigt. Das moderne Ithaka behielte damit vorerst seinen berühmtesten Sohn – mindestens bis zur nächsten Theorie.
Nun trägt das Epos jenes Homer – um dessen Existenz und mögliche Biographie seit der Antike gestritten wird – an vielen Stellen so deutlich märchenhafte Züge, dass sich jeder Versuch, den Helden all dieser Unwahrscheinlichkeiten lokalisieren zu wollen, von selbst zu verbieten scheint. Immerhin begegnet Odysseus im Verlauf seiner langen Reise Göttern, Riesen und Zauberinnen, er besucht das Totenreich, erhält vom Windgott einen verschlossenen Schlauch mit allen widrigen Winden – den Odysseus' vorwitzige Gefährten prompt öffnen, was neue Irrfahrten zur Folge hat –, er kämpft mit Kannibalen und Seeungeheuern. Und so einem Fabelkönig will ein moderner Professor mit Bohrer, Hacke und Schaufel zu Leibe rücken? Wo doch schon der Gelehrte Eratosthenes von Kyrene vor über 2000 Jahren spottete: Wer die Stationen der Odyssee in der realen Welt finden wolle, müsse zunächst den Sattler finden, der den Schlauch des Windgottes herstellte.
War Odysseus' Ithaka Realität oder Märchen?
Tatsächlich scheiden sich seit der Antike die gelehrten Geister an der Frage, ob sich die Stationen jener Reise, die das Epos aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. besingt, in der realen Welt finden lassen. Zwei Positionen stehen sich dabei gegenüber: Für die eine – rein philologisch argumentierende – Partei markiert der erste Sturm, der Odysseus aus der Nähe der Heimat in fremde Gewässer verschlägt, den Übertritt in eine Märchenwelt, die der Held erst wieder verlässt, als ihn die gastlichen Phaiaken am Strand von Ithaka absetzen. Die Odyssee wird zum Seefahrermärchen aus einer Zeit, in der sich mit dem Beginn der Kolonisierung des Mittelmeeres der griechische Horizont beträchtlich erweiterte.
Die andere Schule versucht, Homers Reisebeschreibungen zumindest in Teilen wörtlich zu nehmen und den Stationen der Odyssee reale Orte zuzuordnen. Wobei es in aller Regel nicht darum geht, den sagenhaften Herrscher von Ithaka zur historischen Person zu machen, sondern um die Frage, inwieweit Homer – der rund 400 Jahre nach den in der Odyssee geschilderten Ereignissen gelebt haben dürfte – geografische Kenntnisse seiner Zeit in die Geschichte seines Helden einfließen ließ. Kenntnisse, die der Dichter der Odyssee entweder aus eigenen nautischen Erfahrungen schöpfte oder durch die Nutzung so genannter Periploi gewann. Solche Navigationshandbücher für Seereisen sind seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. belegt, dürften jedoch schon zu Zeiten der Abfassung der Odyssee in Gebrauch gewesen sein.
Bis heute gibt es mehr als achtzig Vorschläge, wo sich die Reise des antiken Seefahrers in der Realität verorten lassen könnte – und die Theorien lassen kaum eine Weltgegend unberücksichtigt. Antike Autoren wie Thukydides oder Strabon suchen Odysseus' Ziele eher im Mittelmeer, modernere Irrfahrtenforscher lassen den Herrscher von Ithaka auch schon mal um Britannien herumrudern (so der Berliner Richter Hans Steuerwald) oder schicken ihn gleich auf Weltumsegelung wie die Wiener Ethnologin Christine Pellech. Möglich werden solch abweichende Interpretationen, weil sich in der Odyssee Strecken mit exakten Fahrtzeiten und Richtungsangaben abwechseln mit solchen Wegabschnitten, über die wenige oder gar keine Angaben gemacht werden – und die sich entsprechend einem eigenen Modell beliebig deuten lassen. So werden etwa die Menschen fressenden Laistrygonen mal auf Sizilien gesucht, mal in Portugal, aber auch in Norwegen und an der Ostküste Südamerikas. Und wer dem schrecklichen Kyklopen Polyphem aus dem Weg gehen will, sollte Tunesien, Sizilien und die Küsten Südwestafrikas meiden – um nur einige Orte zu nennen.
Neuer Anlauf zur Klärung
Auch John Underhill gehört zu denen, die Homer wörtlich nehmen wollen. Im vergangenen Jahr trat er als Co-Autor eines Buches in Erscheinung, in dem der Amateur-Archäologe Robert Bittlestone seine Thesen zum antiken Ithaka vorstellte. Demnach könne das zur Gruppe der Ionischen Inseln zählende heutige Ithaka nicht mit der antiken Insel identisch sein. Anders als das von Homer geschilderte Ithaka liege das heutige Eiland nämlich nicht am äußersten Rand der Inselgruppe, sondern zwischen Festland und der Insel Kephallonia. Zudem sei die Insel entgegen der Beschreibung in der Odyssee bergig.
Neu sind solche Zweifel nicht. Schon der bekannte Archäologe Wilhelm Dörpfeld – er gilt als Begründer des wissenschaftlichen Grabungswesens – hatte kurz nach dem Ende seiner Ausgrabungen an der Seite von Heinrich Schliemann in Troja im Frühjahr 1900 einige Zeit auf Ithaka verbracht und war zu der Überzeugung gekommen, dass die Insel nicht mit der von Homer geschilderten übereinstimmen könne. Doch während Dörpfeld das antike Ithaka im weiter nördlich gelegenen Lefkas entdeckt zu haben glaubte, wollen Underhill und Bittlestone auf Kephallonia fündig geworden sein. Ihre These: Palliki, heute als Halbinsel ein Teil von Kephallonia, war einst durch einen schmalen Meeresarm von der Hauptinsel getrennt. Relativ flach und am äußersten Rand der ionischen Inselgruppe in Richtung Meer gelegen, könnte Palliki nach Ansicht der Forscher die sagenhafte Insel des Odysseus gewesen sein.
"Wir können natürlich nicht prüfen, ob die Geschichte von Odysseus wahr ist", so Underhill im Gespräch mit der BBC. "Vielleicht können wir aber nachweisen, ob Homer mit seiner Geographie richtig lag." Der These nach hätte sich der Kanal nach und nach durch nachrutschendes Gestein von den umliegenden Hängen gefüllt – Folge natürlicher Erosion ebenso wie der in jener Region häufigen Erdbeben.
Nun soll also der Bohrer eine Wahrheit ans Licht bringen. Stoßen Underhill und seine Kollegen bei ihren Bohrungen auf der Landzunge zwischen Palliki und der Hauptinsel auf loses Gestein, wäre die These eines durch Geröll verschütteten Meeresarms zumindest nicht widerlegt. Trifft der Bohrkopf dagegen auf harten Fels, hätte sich eine weitere Irrfahrten-Theorie erledigt. Das moderne Ithaka behielte damit vorerst seinen berühmtesten Sohn – mindestens bis zur nächsten Theorie.
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