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News: Auf den Zahn gefühlt

Innerhalb der Primaten nimmt der moderne Mensch mit dem aufrechten Gang und dem relativ großen Gehirn eine Sonderstellung ein. Doch diese evolutionäre Entwicklung fordert ihren Preis: Etwa 20 Jahre ist der menschliche Nachwuchs auf die Fürsorge seiner Eltern angewiesen, während seine nahen Verwandten, die Menschenaffen, schon wesentlich früher flügge werden. Wie die Zähne unserer Vorfahren nun enthüllten, trat eine derartig lange Wachstumsdauer erstaunlich spät im menschlichen Stammbaum auf - bei den Neandertalern.
fossiler Zahnschmelz
Der aufrechte Gang ebnete dem Menschen in der Abstammungsgeschichte seinen eigenen Weg. Später stellte die Evolution die Weichen für ein vergrößertes Gehirn, das nach der Geburt wesentlich länger weiterwächst als bei allen anderen Primaten. Und in einem weiteren Punkt unterscheidet sich der moderne Mensch gravierend von seinen nahen Verwandten, den Menschenaffen: Während sich der Nachwuchs von Homo sapiens nahezu 20 Jahre in der Obhut seiner Eltern befindet, gehen junge Schimpansen und Gorillas bereits im Alter von elf oder zwölf Jahren eigene Wege.

Doch wann genau kristallisierte sich eine derartig ausgedehnte Entwicklungsperiode heraus? Um jenen Zeitpunkt im menschlichen Stammbaum näher bestimmen zu können, zogen Christopher Dean vom University College in London, Alan Walker von der Penn State University und ihre Kollegen nun Zähne 13 fossiler Hominiden und heute lebender Menschen sowie Menschenaffen zu Rate. Vergleichbar den Jahresringen von Bäumen wächst auch der Zahnschmelz schrittweise und weist demnach charakteristische Markierungen auf. Zahn um Zahn zählten die Forscher mit Hilfe dünner Querschnitte die Anzahl jener Streifen pro Millimeter unter dem Rasterelekronenmikroskop und ermittelten so, um wieviel der Zahnschmelz täglich bei den unterschiedlich alten Zeitgenossen wächst.

Und der Vergleich brachte Interessantes zu Tage: Weder die Zahnfragmente des frühen Hominiden Australopithecus anamensis, der vor etwa vier Millionen Jahren lebte, noch jene eines der ältesten Vertreter der Gattung Homo zeigten das langsame Wachstumsmuster des Zahnschmelzes, das für uns heutige Menschen charakteristisch ist. Fündig wurden die Forscher hingegen beim Gebissinventar des Neandertalers, der bereits ein großes Gehirn besaß: Er weist als Erster im menschlichen Stammbaum eine ähnlich verzögerte Ablagerung des Zahnschmelzes auf wie wir.

Demnach hat sich die lange Jugendphase des modernen Menschen erst relativ spät im Laufe der Evolution vor gut 120 000 Jahren herausgebildet. Diese Erkenntnis kam überraschend, denn die Forscher erwarteten den Ursprung der ausgedehnten Entwicklungsphase schon bei Homo erectus. Für diesen wesentlich früher lebenden menschlichen Vorfahren waren eine Reihe von Homo-sapiens-Eigenschaften wie Körpergewicht, -proportionen sowie kleine Zähne und Kiefer charakteristisch. Doch er besaß noch ein vergleichsweise kleines Gehirn. Die Gehirngröße und andere menschliche Körpermerkmale entstanden demnach keinesfalls im Einklang, sondern evolvierten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit – ein Phänomen, das man als Mosaikevolution bezeichnet. Vermutlich ging die verlängerte Wachstumsdauer mit der vergleichsweise jungen Entwicklung eines größeren Gehirns einher, spekuliert Walker.

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