Direkt zum Inhalt

Ökologie: Auf in die Ferne!

Zu Lande, zu Wasser oder über die Luft: Um Neuland zu besiedeln, nehmen Pollen und Samen bisweilen bizarre Reisewege in Anspruch. Dabei verblüffen sie auch die Wissenschaft.
Mariendistel
Mehr als dreißig Kilometer trennt die kleine Vulkaninsel Surtsey vom isländischen Festland, knapp fünf Kilometer ist die nächstgelegene Insel entfernt. Keine allzu günstige Lage zur Ansiedlung von Pflanzen. Und doch finden sich auf dem einstigen Ödland Salzmiere und Strandroggen – Strandpflanzen und Gräser, angespült von der täglichen Brandung.

Wind und Wasser gelten gemeinhin als die erfolgreichsten Distributoren von Pflanzensamen und Pollen. Doch üblicherweise ist die Reichweite einer solchen Mitfahrgelegenheit äußerst begrenzt. Etwa fünfzig Meter beträgt die durchschnittliche Verteilungsreichweite einer Pflanze, schreibt der Ökologe Ran Nathan von der Hebrew University of Jerusalem. Die Wahrscheinlichkeit, dass Pollen oder Pflanzensamen eine Distanz von mehreren hundert Metern oder mehr zurücklegen, ist sehr begrenzt.

Schlappe 1013 Jahre bräuchte Mutter Natur nach Berechnungen von Ausbreitungsökologen statistisch gesehen, um eine Pflanze 415 Kilometer von ihrem Ursprungsort anzusiedeln – so gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass Luft, Wasser oder Vogel die Pollen und Samen in einem entsprechend weiten Radius verteilen. Doch das reale Leben macht der Statistik einen Strich durch die Rechung. Denn allen Widrigkeiten zum Trotz schafft alle zehn Jahre irgendwo auf dieser Welt eine Pflanze einen solchen Sprung. Entfernungen wie die vom isländischen Festland zur Vulkaninsel Surtsey werden sogar einmal jährlich überwunden – dank Mitfahrgelegenheiten unterschiedlichster Art.

Flughund | Flughunde und Fledermäuse gelten als klassische Distributoren von Pflanzensamen und ermöglichen den Gewächsen durch ihr Zutun eine Neuansiedlung in weit entfernten Regionen.
Einen wichtigen Stellenwert im Langstrecken- Pflanzentransport haben hierbei die Tiere. Früchte futternde Fledermäuse und Vögel, aber auch Pflanzen fressende Säugetiere der größeren Art transportieren das Saatgut durch die Lüfte und über die Lande. Doch auch indirekt tragen Tiere zuweilen dazu bei, dass sich Gewächse ungewöhnlich weit verbreiten: Nach Surtsey beispielsweise reisten die Samen von fünf unterschiedlichen Pflanzen als blinde Passagiere ein – festgeklebt an die Eier von Glattrochen, die von einer Küste zur anderen getrieben waren.

Wirbelsturm Larry | Ob auch Wirbelstürme bei der Ausbreitung von invasiven Pflanzen eine Rolle spielen, ist noch nicht eindeutig geklärt. Eine große Reichweite hätten sie allemal.
Möglicherweise mögen es manche Pflanzen gar noch ein wenig stürmischer: Tropische Hurrikane, glauben Experten, könnten ebenfalls für den Langstreckenflug in die neue Heimat eingesetzt werden. Wissenschaftlich nachgewiesen ist diese Hypothese allerdings noch nicht. Denn die Zunft der Pfanzenmigrationsforscher steht insbesondere bei weiten Entfernungen vor Nachweis-Problemen: Zwar können Gentests bestimmen, von welcher ursprünglichen Pflanze die Weitergereisten abstammen. Doch welches Verkehrsmittel sie benutzten, darauf verweisen zumeist allein einige Indizien.

Die Rekonstruktionen der Forscher werden zudem noch durch einen weiteren Faktor zunehmend schwierig – den Menschen. Denn dessen Reiselust hat im Zuge der Globalisierung solche Ausmaße angenommen, dass er inzwischen als der wichtigste Migrationshelfer der Pflanzenwelt gilt. Ob zum Nutzen oder zum Schaden der betroffenen Gewächse und Habitate, muss sich noch zeigen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.