Direkt zum Inhalt

Polarforschung: Auf Stelzen am Südpol

Die deutschen Antarktisforscher brauchen ein neues Zuhause: Schneemassen zerdrücken ihre Forschungsstation. Ein neues oberirdisches Gebäude soll Abhilfe schaffen und gleichzeitig größer, moderner und ökologischer sein. In Bremerhaven wurde es zur Probe in Teilen aufgebaut.
Querschnitt der neuen Antarktisstation
Die kindsgroßen Papppinguine am Eingang des Werksgeländes waren in dem Gewühl aus Menschen am zweiten September-Wochenende kaum zu sehen. Hunderte von Besuchern drängten sich auf dem matschigen Außenbereich der Firmengemeinschaft J.H. Kramer zwischen Metallcontainern, Werkhalle und weißen Partyzelten. Sie alle lockte eine dreißig Meter hohe Stahlkonstruktion, die sich vor einer großen Wellblechhalle in den Himmel reckt. Es ist der untere Treppenaufgang der neuen deutschen Forschungsstation Neumayer III, die in wenigen Wochen in die Antarktis verschifft werden soll. Denn die deutschen Wissenschaftler am Südpol brauchen ein neues Zuhause. Ihr jetziges Domizil droht unter dem Druck einer etwa zwölf Meter dicken Schneedecke zerquetscht zu werden.

Vogelperspektive auf die zukünftige Forschungsstation | Eine Computeranimation zeigt, wie die Neumayer-Station III aussehen wird: Unter einer Rampe befindet sich die unterirdische Garage der Station, in der die Fahrzeuge neben den hydraulischen Stützen Platz finden. Der Rest des Gebäudes ist oberirdisch – im Gegensatz zur aktuellen Station, die von zwölf Metern Schnee bedeckt ist.
Die aktuelle Neumayer-Station war 1992 in der Atka-Bucht am nordöstlichen Weddell-Meer auf das Ekström-Schelfeis gebaut worden, um die nur zehn Kilometer entfernte erste Forschungsstation zu ersetzen, die ebenfalls von den Schneemassen verschüttet worden war. Mit ihr hatten die Deutschen 1981 ihre Forschungsarbeit im ewigen Eis begründet.

Die Last der Schneemassen

Doch die Konstruktion der beiden Forschungsstationen barg ihre Tücken: Zwei lange Stahlröhren hatten die Ingenieure jeweils im Schnee vergraben, etwa neunzig Meter lang und mit je acht Metern Durchmesser. In diese Röhren wurden dann Container montiert, die den Forschern als Labore, Schlafstätten und Aufenthaltsräume dienten. Hier messen die Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) seither ganzjährig Wetter- und Ozondaten, werten die Luftchemie und seismische Wellen aus und registrieren Änderungen des Erdmagnetfeldes. Mit diesen Langzeitstudien wollen die Wissenschaftler beispielsweise Klimaveränderungen auf die Spur kommen. Über die Jahre hat sich jedoch eine dicke Schneelast über die Röhren gelegt – die Neumayer-Station gleicht inzwischen einer unterirdischen Höhle.

In der Bremerhavener Werkshalle erfahren die Besucher, was das für die Polarforscher im ewigen Eis bedeutet – Stationsleiter Karlheinz Waltner berichtet per Telefonschaltung live von der Neumayer-Station in der Antarktis vom Leben und Forschen am südlichen Polarkreis: So seien die Wissenschaftler durch die Wellblechhöhlen zwar vor den schneidenden Stürmen der langen antarktischen Winter sicher geschützt. Doch dass bei aktuellen minus 33 Grad Celsius draußen die Sonne scheine, könne man mit seinen eigenen Augen nur bei Außeneinsätzen entdecken. Ansonsten böten nur einige Webcams einen Ausblick aus der Wellblechhöhle.

Luftaufnahme der unterirdischen Neumayer-Station | Eine Luftaufnahme der heutigen Neumayer-Station zeigt wenig: Die Röhrenkonstruktion befindet sich inzwischen in zwölf Metern Tiefe. Jedes Jahr fällt in der Region des Ekström-Eisschelfs bis zu einem Meter Schnee. Da war die Station bereits kurz nach ihrem Bau 1991 nicht mehr zu sehen. Das Bild zeigt einige Einstiegsschächte und verschiedene Messplattformen.
Mehr als zwölf Meter Schnee liegen inzwischen auf der Neumayer-Station. Und seit einiger Zeit macht sich die weiße Last nun auch innerhalb der Station bemerkbar: Die Stahlröhren halten dem Druck des Schnees kaum noch Stand, erste Deformationen werden sichtbar. Es wird höchste Zeit für einen Umzug.

Ein Schiff auf Stelzen

Die Vorbereitungen hierfür begannen bereits vor acht Jahren. Zusammen mit Ingenieuren und Technikern der Firmengruppe J.H. Kramer entwickelten Mitarbeiter um den Logistiker Hartwig Gernandt vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven ein neues, diesmal oberirdisches Stationsgebäude. Moderner, größer und ökologischer sollte es sein – und vor allen Dingen mit den starken Schneefällen fertig werden, damit nicht zehn Jahre nach dem Bau erneut umgezogen werden müsste.

Hydraulische Bipode der Neumayer-Station III | Der Clou der neuen Station sind ihre hydraulischen Stelzen: Jedes Jahr werden sie einzeln angehoben, der entstandene Hohlraum wird mit Schnee aufgefüllt. So kann die Station mit dem Schneeaufkommen mitwachsen.
Entstanden ist ein 2300 Tonnen schwerer Stahlkoloss, der auf sechzehn hydraulischen Stelzen oberhalb der Schneedecke steht. Große leuchtend blaue Fundamentplatten verteilen das Gewicht gleichmäßig auf dem Untergrund. Droht das Gebäude im winterlichen Neuschnee zu versinken, können die Stahlbeine einzeln angehoben werden. Anschließend wird der entstandene Hohlraum mit Schnee aufgefüllt, und die zweite Stelze wird bewegt. Auf diese Weise klettert das schiffförmige Gebäude immer wieder an die Oberfläche – und bleibt so als einzige der aktuell etwa 80 internationalen Forschungsstationen in der Antarktis dauerhaft über der Schneegrenze. Mindestens dreißig Jahre soll der neue Bau so den Witterungen am Südpol standhalten.

Mehr Platz für Forschung und Forscher

Zwischen den Fundamentplatten, sozusagen im Untergeschoss, besitzt die Neumayer III zudem eine Garage für einen hauseigenen Fuhrpark. Darüber werden 1850 Quadratmeter auf insgesamt drei Etagen den Forschern und ihren Gästen ausreichend Raum für Wissenschaft und Freizeit bieten. In dem 68 Meter langen und 24 Meter breiten Gebäude finden zwölf Labore Platz. Für die zahlreichen Gastforscher, die während der Sommermonate von November bis Februar anreisen, gibt es mit 15 Räumen und 40 Betten endlich auch innerhalb der Station angenehme Schlafstätten. Bislang mussten die Besucher in roten Wohniglus – von den Forschern liebevoll "Tomaten" genannt – außerhalb des Hauptgebäudes unterkommen. Für jede Mahlzeit und jeden Toilettengang bedeutete dies bei Wind und Wetter "jedes Mal 96 Stufen runter und wieder hoch", beschreibt Gernandt die Mühen.

Probeaufbau der Treppenkonstruktion von Neumayer III | Die aufgebauten Teilsegmente standen bei einem Tag der offenen Tür auch interessierten Besuchern offen. Hunderte kamen, um sich die beeindruckenden Stahlkonstruktionen aus nächster Nähe anzusehen.
Doch auch die neun AWI-Forscher, die den Forschungsbetrieb während der dunklen Wintertage in Gang halten, Messungen durchführen und die Observatorien überwachen, haben Grund zur Freude: Für sie werden eine Sauna und ein Sportraum installiert. Eine Ballonhalle auf dem Außendeck bietet Platz für die meteorologischen Ballonsonden, mit denen die Forscher des AWI Daten über die Luftfeuchtigkeit oder Spurengasanteile der Atmosphäre messen können. Auch die Messgeräte befinden sich dann auf dem Dach des Hauses und ersparen im Winter so den täglichen Spaziergang zu den bisherigen Messstationen, der bisher bei orkanartigen Stürmen auch schon mal recht abenteuerlich werden konnte. Insgesamt wird die neue Station knapp 4500 Quadratmeter Nutzfläche bieten, doppelt so viel wie die alte Behausung.

Genug Fläche, um weiterhin neben den wissenschaftlichen auch den politisch motivierten Studien gerecht zu werden: Mit Hilfe einer Infraschallstation ermitteln die Wissenschaftler des AWI auch mikroskopisch kleine Veränderungen in den Druckverhältnissen der atmosphärischen Schwingungen. Sie können so ganz genau sagen, ob und wo irgendwo auf der Erde gerade Atomwaffen gezündet wurden. Mit einem flächendeckenden Netzwerk solcher Messstationen wird der Atomwaffensperrvertrag überwacht. Die Station in der Antarktis ist der deutsche Beitrag zu diesem Abkommen – ein Grund, weshalb das Ministerium für Wissenschaft und Forschung den Bau des Stelzenhauses mit bislang 26 Millionen Euro gefördert hat und erst vor Kurzem weitere Mittel in Aussicht stellte.

Energie durch Windkraft

Längsschnitt durch Neumayer III | Ein Längsschnitt zeigt den Aufbau der zukünftigen Antarktisstation: Zwei beheizbare Ebenen dienen den bis zu vierzig Forschern zum Arbeiten und Schlafen, eine Garage schützt den Fuhrpark. Das neue Gebäude wird etwa doppelt so groß sein wie die jetzige Station und sogar Sauna und Sportraum beherbergen.
Die Energie für all diese Aufgaben liefert in Zukunft ein Mix aus Dieselgeneratoren und Windenergie. Zwar kann auch die jetzige Neumayer-Station bereits mit einem Windrad aufwarten. In den ersten Jahren nach der Fertigstellung des neuen Gebäudes sollen sich jedoch weitere hinzugesellen – bis letztlich fünfzig Prozent des Energiebedarfs von Windkraft gedeckt werden. "Langfristig ist es das Ziel aller Nationen, Stationen in der Antarktis so zu betreiben, dass ein Minimum an Emissionen entsteht und wir nach Möglichkeit alternative Energien nutzen", erklärt Gernandt den Trend zur ökologischen Energiegewinnung.

Doch dass die deutsche Station dem Vorbild des kürzlich vorgestellten belgischen Forschungsgebäude folgen und vollständig mit Windkraft betrieben werden könnte, bezweifelt er: "Das ist bei einer Station dieser Größe schwierig zu lösen“, sagt der Logistiker. Schließlich ist die belgische Station mit ihrem Fassungsvermögen von maximal zwanzig Menschen wesentlich kleiner als das deutsche Stelzengebäude. Hinzu kommen die schwierigen Untergrundbedingungen auf dem Ekström-Schelfeis: "Als Deutschland sich entschloss, in die Polarforschung einzutreten, waren die zwei Prozent Felsgrund auf dem Antarktischen Kontinent, die als guter Baugrund hätten dienen können, bereits vergeben", erklärt Gernandt. Und damit auch die Gebiete, auf denen sich ein Windrad sicher montieren ließe. Auf dem schwimmenden Eis des Ekström-Schelfes jedoch, das sich stetig in Richtung Meer vorschiebt, sind den Bauplänen der Forscher enge Grenzen gesetzt.

Bau während des antarktischen Sommers

Dennoch sind die Techniker zuversichtlich, dass der Stelzenbau gelingen wird. Anfang November werden die Bauteile mit einem Schiff in die Antarktis gebracht – eine logistische Herausforderung bei 3500 Tonnen an Material, Ausrüstung und Baumaschinen. Einmal angekommen, sorgen dann 45 Techniker und Ingenieure für einen reibungslosen Aufbau von Neumayer III.

Sie müssen sich sputen: Der antarktische Sommer währt nur von November bis Februar. Danach machen orkanartige Stürme und dauerhafte Dunkelheit weitere Baumaßnahmen unmöglich. Doch die Techniker sind vorbereitet. Schließlich konnten sie beim Teilaufbau in den Werkshallen des Herstellers in Bremerhaven ausgiebig üben. Bis zum nächsten Frühjahr soll der Rohbau des Gebäudes stehen, im nächsten Jahr die Inneneinrichtung folgen. Wenn alles gut geht, kann Karlheinz Waltner dann im März 2009 die Sonne aus einem der Fenster von Neumayer III direkt begrüßen – ohne Webcam.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.