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Immunologie: Aufgepasst - ausrichten - und los!

Immunzellen müssen bei Bedarf im Eiltempo zu ihrem Einsatzort eilen. Ein fein aufeinander abgestimmtes System bringt sie auf den rechten Weg.
Orientierungsmechanismus von Immunzellen
Notruf bei der Polizei: ein Unfall im Stadtzentrum! Sofort sendet die Einsatzzentrale die notwendigen Einsatzfahrzeuge aus. Mit Blaulicht und Martinshorn rasen diese los und sind innerhalb kürzester Zeit am Einsatzort – mit moderner Kommunikationstechnik und detaillierten Stadtplänen kein Problem.

Bei Notfällen im Inneren des menschlichen Körpers – Verletzungen, Angriffen von Bakterien oder Viren – funktioniert der schnelle Einsatz der Hilfstruppen genauso hervorragend und blitzschnell – und das ganz ohne technische Krücken: Die Immunzellen, die beschädigte Zellen oder eingedrungene Fremdkörper zu beseitigen haben, registrieren den Notruf und eilen zielstrebig dorthin, wo sie gebraucht werden. Nur wie finden sie ihren Weg?

Im Prinzip ganz einfach: Verletzte Zellen und auch Bakterien senden chemische Substanzen aus, welche die Immunzellen wahrnehmen. Dann folgen sie dem Konzentrationsgradienten von ganz schwachem Signal zu immer stärker werdendem Reiz, bis sie die Quelle erreichen. Wie der Körperpolizei dieses Kunststück im Detail gelingt, fanden nun Yu Chen und Ross Corriden von der Universität von Kalifornien in San Diego zusammen mit ihrem Team heraus.

Die Wissenschaftler vermuteten, dass das Universalmolekül Adenosintriphosphat (ATP), das in erster Linie als biologischer Energieträger dient, aber im Gehirn auch als Neurotransmitter fungiert, bei der Orientierung der Immunzellen eine Rolle spielt. Deshalb behandelten sie Neutrophile, eine Gruppe von Fresszellen, die bei der Bekämpfung von Eindringlingen und der Reparatur von Gewebe, aber auch bei chronischen Entzündungen wie rheumatoide Arthritis entscheidend mitmischt, mit dem chemischen Lockstoff N-formyl-Met-Leu-Phe (fMLP).

Mit dem Fluoreszenzmikroskop beobachteten die Forscher, dass die Neutrophilen innerhalb von Sekunden nach der Stimulation mit fMLP reichlich ATP in dem Bereich der Zellmembran freigesetzten, der in Bewegungsrichtung der Zelle vorne liegt. Zerstörten die Wissenschaftler das ATP mit einer weiteren Substanz, kamen die Immunzellen trotz des lockenden Signals auf einmal nicht von der Stelle und konnten vor allem die Signalquelle nicht lokalisieren.

Damit war klar: Das ATP fungiert als Starter, der die Bewegung der Immunzellen in Gang setzt. Nun stellte sich die Frage nach der Orientierung: Wie erkennen die Zellen die feinen, richtungsweisenden Konzentrationsunterschiede des Lockstoffs?

Orientierungsmechanismus von Immunzellen | Kaum nimmt eine Immunzelle einen Lockstoff wahr, bildet sie in der Richtung, aus der der Reiz kommt, reichlich ATP. Dies ist das Alarmsignal für die Zelle, dass sie gebraucht wird und sich auf den Weg machen muss. Das ATP bindet nun an P2Y2-Rezeptoren, die in Bewegungsrichtung vorne in der Zellmembran liegen und gibt damit die Marschrichtung vor. Anschließend wird das ATP in Adenosin umgewandelt, das dann an A3-Rezeptoren bindet, die auf das Locksignal hin aus dem Zellinneren in den vorderen Bereich der Zellmembran transportiert wurden. Dieser Vorgang beschleunigt die Zellbewegung.
Dafür kommen nun Rezeptoren ins Spiel: Das ATP bindet nach seiner Freisetzung aus der Zelle an P2Y2-Rezeptoren. Diese finden sich, wie die Wissenschaftler beobachteten, ebenfalls in Bewegungsrichtung ganz vorne an der Zelle. Diese ATP-Rezeptor-Bindung ist der zweite wichtige Schritt bei der Aussendung der Immunzellen: Er gibt die Marschrichtung vor. Denn Neutrophile ohne diese Rezeptoren konnten einen Konzentrationsgradienten nicht mehr ausreichend erkennen und zeigten sich recht orientierungslos.

Nachdem die Zellen nun durch die ATP-Freisetzung wissen, dass sie los müssen und sie durch die Bindung des ATP an die Rezeptoren auch die Richtung kennen, in die sie ausschwärmen sollen, fehlen nur noch Gaspedal und Blaulicht, um möglichst schnell zum Einsatzort zu gelangen.

Diese identifizierten die Wissenschaftler in Form eines weiteren Rezeptors: Kaum registrieren Neutrophile den Lockstoff fMLP, transportieren sie den Rezeptor A3 aus kleinen Bläschen innerhalb der Zelle an die Oberfläche. An sie bindet dann Adenosin, ein Recyclingprodukt des verbrauchten ATP.
"Diese Beobachtungen klären das Rätsel, wie Neutrophile ihren Weg finden und wie sie zu Verletzungs- oder Infektionsstellen gelangen"
(Wolfgang Junger)
Kaum ist das geschehen, geben die Zellen Gas – umgekehrt kamen Zellen ohne A3-Rezeptoren oder mit blockierten Rezeptoren kaum voran.

Demnach nutzen Neutrophile als Äquivalente zu Funksprechgerät, Stadtplan und Blaulicht das kleine Molekül ATP als Übermittler des Notsignals, einen Rezeptor als Wegweiser zum Ziel und einen weiteren, um das Vorankommen der Zelle zu beschleunigen.

"Diese Beobachtungen klären das seit langem ungelöste Rätsel, wie Neutrophile ihren Weg finden und wie sie zu Verletzungs- oder Infektionsstellen gelangen", erklärt Studienleiter Wolfgang Junger. Die Wissenschaftler hoffen nun, dass neue Medikamente zur Behandlung chronischer Entzündungen, die in diesen zellulären Orientierungsmechanismus eingreifen, entwickelt werden können.

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