Neurowissenschaften: Aus dem Takt gebracht
Gegen das Parkinson-Syndrom werden sie schon jahrelang erfolgreich eingesetzt: Doch die Zeiten, in denen Hirnschrittmacher nur die Motorik kontrollieren sollten, sind vorbei. Wird die tiefe Hirnstimulation bald das Behandlungsrepertoire von Psychologen aufstocken?
Franz Selhofer liebt die Musik. Jahrelang spielte er leidenschaftlich Klarinette, Akkordeon und Querflöte – doch irgendwann spürte der 31-jährige Musiklehrer, dass mit seiner Beweglichkeit etwas nicht stimmte. "Der vierte Finger der rechten Hand wollte beim Spielen nicht so recht", berichtet er. Nach und nach wurden auch noch die anderen Finger und sein Fuß unbeweglich. Schließlich musste er seinen Beruf aufgeben. Die Ärzte diagnostizierten Morbus Parkinson, eine unheilbare Nervenkrankheit.
Es gibt etliche Medikamente, welche die Symptome der Krankheit lindern. So kommen beispielsweise Dopamin-Ersatzstoffe zum Einsatz oder auch Mittel, die den Abbau des Neurotransmitters verzögern.
Ein neues Leben
Auch Franz Selhofer bekam Medikamente, doch diese riefen bei ihm nach einiger Zeit starke Nebenwirkungen hervor – so genannte Hyperkinesen, überschießende Bewegungen. Er fasste schließlich einen Beschluss, der sein Leben ändern sollte: Er entschied sich für eine tiefe Hirnstimulation.
In einer langwierigen Operation wurden ihm zwei Elektroden in die subthalamischen Kerne sowie ein Schrittmacher unter das Schlüsselbein implantiert. Durch schwache Stromstöße sollten so die durch die Krankheit überaktiven Nervenzellen in den richtigen Rhythmus gebracht werden.
"Für mich begann ein neues Leben", beschreibt er das Gefühl, als der Schrittmacher eingeschaltet wurde. Heute kann der Musiklehrer wieder spazieren gehen, schreiben, Auto fahren und – was ihm besonders wichtig ist – musizieren. Mit einem Steuergerät kann er das Gerät innerhalb voreingestellter Grenzen regulieren.
"Bestimmte motorische Erfolge"
Dass das Gehirn elektrisch reizbar ist, haben schon vor etwa 140 Jahren Gustav Fritsch und Edvard Hitzig entdeckt. Als die Forscher den Kortex von Hunden stimulierten, zuckten die Beine der Tiere. "Wir können [...] als Thatsache erkennen, dass electrische Reizung bei Aufsetzung der Electroden auf gewisse Gyri bestimmte motorische Erfolge hat", schrieb wenige Jahre später der Züricher Physiologe von Borosnyai, der die Experimente von Fritsch und Hitzig wiederholt hatte [1].
So auch Helga Kilcullen: Sie war eine der ersten Patienten, die einen Hirnschrittmacher gegen ihre Parkinson-Krankheit bekommen hatte. Die damals 56-Jährige war unbeweglich und hatte starke Schmerzen. "Die elektrischen Impulse haben mir wieder Lebensqualität gegeben", erzählt sie begeistert. "Sofort nach der Operation ging es mir besser, ich war wie ausgewechselt". Schon seit nunmehr zehn Jahren lebt sie mit den Elektroden im Kopf. Momentan geht es ihr allerdings wieder schlechter: "Die Batterien sind leer."
Zu Nebenwirkungen und Risiken
Trotz der Zufriedenheit zahlreicher Patienten mit Hirnschrittmachern birgt die Methode auch Risiken: Zwar ist der Eingriff verglichen mit anderen Hirnoperationen relativ ungefährlich, doch können die elektrischen Impulse schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Stechen die Chirurgen beispielsweise mit den Stimulationsnadeln an dem etwa erbsengroßen Ziel vorbei, so landen sie schnell im Sprachzentrum. Auch wenn die korrekt positionierten Elektroden zu stark feuern, können Sprachstörungen auftreten. Während der Operation prüfen die Ärzte daher ständig, ob sie gerade das richtige Areal stimulieren – aus diesem Grund müssen die Patienten während des Eingriffs bei vollem Bewusstsein sein.
Die Arbeitsgruppe um Michael Frank von der Universität von Arizona hat zudem herausgefunden, dass Parkinson-Patienten mit Stimulationselektroden im subthalamischen Kern häufig sehr impulsiv sind [2]. Die Stromstöße stören die natürliche Fähigkeit, bei Entscheidungskonflikten erst einmal verschiedene Möglichkeiten abzuwägen, bevor man einen Beschluss fasst, berichten die Wissenschaftler. Patienten mit Hirnschrittmacher würden daher oft überstürzt reagieren.
Dennoch hält der Neurologe Mathias Oechsner vom Parkinsonzentrum Bad Nauheim die Methode als letzten Ausweg für gerechtfertigt. "Früher hat man die überaktiven Kerngebiete einfach mit dem Skalpell zerstört", betont der Mediziner. "Die Stimulation kann man dagegen einfach abstellen, und die Wirkung hört sofort auf."
Manipulierte Gefühle
Dass sich mit Elektroden auch Emotionen manipulieren lassen, machte sich ein Forscherteam um Thomas Schläpfer von der Uniklinik Köln zunutze: Die Wissenschaftler testeten, ob das Verfahren auch gegen schwere Formen von Depression hilft [3].
Niels Birbaumer von der Universität Tübingen steht der tiefen Hirnstimulation als Mittel gegen Depression eher kritisch gegenüber. Es gebe zahlreiche Methoden, für die man die Schädeldecke nicht öffnen müsse, so zum Beispiel die transkranielle Magnetstimulation. Hierbei werden Bereiche des Gehirns mit Hilfe starker Magnetfelder stimuliert oder gehemmt. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht-invasive Methoden gibt, die schlechter wirken als die tiefe Hirnstimulation", meint der Psychologe.
Die gezielte invasive Stimulation zieht er dennoch entschieden der Elektroschock-Therapie vor, "die leider wieder zur Standardtherapie geworden ist". Die Stromschläge zerstörten unkontrolliert Teile des Hippokampus, wettert Birbaumer. Seiner Meinung nach müsse man einer Depression zuerst mit Verhaltenstherapie entgegenwirken. Zeige diese keinen Effekt, könne man zu Medikamenten greifen. Ist auch das erfolglos, setzt der Psychologe auf nicht-invasive Stimulationsmethoden, da diese nur wenige Gefahren birgen: "Das Schlimmste, was bei diesen Verfahren passieren kann, ist, dass sie nichts bewirken".
Das Parkinson-Syndrom gilt als eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen. Bei den Betroffenen gehen Nervenzellen in den so genannten Basalganglien unterhalb der Großhirnrinde zugrunde, die normalerweise Dopamin freisetzen. Da der Neurotransmitter die Aktivität einiger Neurone hemmt, sind bestimmte Hirnregionen wie der subthalamische Kern bei Parkinson-Patienten überaktiv. Statt kontrolliert nacheinander, feuern die Zellen ungebremst synchrone Signale ab, was zu den typischen Bewegungsstörungen führt.
Es gibt etliche Medikamente, welche die Symptome der Krankheit lindern. So kommen beispielsweise Dopamin-Ersatzstoffe zum Einsatz oder auch Mittel, die den Abbau des Neurotransmitters verzögern.
Ein neues Leben
Auch Franz Selhofer bekam Medikamente, doch diese riefen bei ihm nach einiger Zeit starke Nebenwirkungen hervor – so genannte Hyperkinesen, überschießende Bewegungen. Er fasste schließlich einen Beschluss, der sein Leben ändern sollte: Er entschied sich für eine tiefe Hirnstimulation.
In einer langwierigen Operation wurden ihm zwei Elektroden in die subthalamischen Kerne sowie ein Schrittmacher unter das Schlüsselbein implantiert. Durch schwache Stromstöße sollten so die durch die Krankheit überaktiven Nervenzellen in den richtigen Rhythmus gebracht werden.
"Für mich begann ein neues Leben", beschreibt er das Gefühl, als der Schrittmacher eingeschaltet wurde. Heute kann der Musiklehrer wieder spazieren gehen, schreiben, Auto fahren und – was ihm besonders wichtig ist – musizieren. Mit einem Steuergerät kann er das Gerät innerhalb voreingestellter Grenzen regulieren.
"Bestimmte motorische Erfolge"
Dass das Gehirn elektrisch reizbar ist, haben schon vor etwa 140 Jahren Gustav Fritsch und Edvard Hitzig entdeckt. Als die Forscher den Kortex von Hunden stimulierten, zuckten die Beine der Tiere. "Wir können [...] als Thatsache erkennen, dass electrische Reizung bei Aufsetzung der Electroden auf gewisse Gyri bestimmte motorische Erfolge hat", schrieb wenige Jahre später der Züricher Physiologe von Borosnyai, der die Experimente von Fritsch und Hitzig wiederholt hatte [1].
Vor etwa dreißig Jahren behandelten Mediziner zum ersten Mal Schmerzen und spastische Lähmungen mittels tiefer Hirnstimulation. Mit ihrer Anwendung zur Behandlung des Parkinson-Syndroms begann man Ende der 1990er Jahre. Seit 2002 ist diese Methode auch in den USA zugelassen. Weltweit über 35 000 Patienten mit Bewegungsstörungen haben sich seither Elektroden in ihr Gehirn implantieren lassen.
So auch Helga Kilcullen: Sie war eine der ersten Patienten, die einen Hirnschrittmacher gegen ihre Parkinson-Krankheit bekommen hatte. Die damals 56-Jährige war unbeweglich und hatte starke Schmerzen. "Die elektrischen Impulse haben mir wieder Lebensqualität gegeben", erzählt sie begeistert. "Sofort nach der Operation ging es mir besser, ich war wie ausgewechselt". Schon seit nunmehr zehn Jahren lebt sie mit den Elektroden im Kopf. Momentan geht es ihr allerdings wieder schlechter: "Die Batterien sind leer."
Zu Nebenwirkungen und Risiken
Trotz der Zufriedenheit zahlreicher Patienten mit Hirnschrittmachern birgt die Methode auch Risiken: Zwar ist der Eingriff verglichen mit anderen Hirnoperationen relativ ungefährlich, doch können die elektrischen Impulse schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Stechen die Chirurgen beispielsweise mit den Stimulationsnadeln an dem etwa erbsengroßen Ziel vorbei, so landen sie schnell im Sprachzentrum. Auch wenn die korrekt positionierten Elektroden zu stark feuern, können Sprachstörungen auftreten. Während der Operation prüfen die Ärzte daher ständig, ob sie gerade das richtige Areal stimulieren – aus diesem Grund müssen die Patienten während des Eingriffs bei vollem Bewusstsein sein.
Eine andere Nebenwirkung kann wesentlich subtiler in Erscheinung treten und den Betroffenen oftmals stark verunsichern: die Manipulation von Emotionen. So kommt es vor, dass Patienten von einer immensen Traurigkeit überwältigt werden; andere wiederum reagieren mit Lachanfällen.
Die Arbeitsgruppe um Michael Frank von der Universität von Arizona hat zudem herausgefunden, dass Parkinson-Patienten mit Stimulationselektroden im subthalamischen Kern häufig sehr impulsiv sind [2]. Die Stromstöße stören die natürliche Fähigkeit, bei Entscheidungskonflikten erst einmal verschiedene Möglichkeiten abzuwägen, bevor man einen Beschluss fasst, berichten die Wissenschaftler. Patienten mit Hirnschrittmacher würden daher oft überstürzt reagieren.
Dennoch hält der Neurologe Mathias Oechsner vom Parkinsonzentrum Bad Nauheim die Methode als letzten Ausweg für gerechtfertigt. "Früher hat man die überaktiven Kerngebiete einfach mit dem Skalpell zerstört", betont der Mediziner. "Die Stimulation kann man dagegen einfach abstellen, und die Wirkung hört sofort auf."
Manipulierte Gefühle
Dass sich mit Elektroden auch Emotionen manipulieren lassen, machte sich ein Forscherteam um Thomas Schläpfer von der Uniklinik Köln zunutze: Die Wissenschaftler testeten, ob das Verfahren auch gegen schwere Formen von Depression hilft [3].
Dazu implantierten sie "therapieresistenten" Patienten Elektroden in den Nucleus accumbens, ein zentrales Areal des Belohnungssystems. Diese Hirnregion sorgt dafür, dass wir uns gute Erfahrungen merken und Vorfreude erleben können; daher steht sie im Verdacht, an Depressionen beteiligt zu sein. Und in der Tat: Das Krankheitsbild der "Stimulierten" verbesserte sich spürbar. "Einer der Patienten äußerte schon eine Minute nach Beginn der Stimulation den Wunsch, den Kölner Dom zu besteigen, und setzte ihn am nächsten Tag in die Tat um", berichtet Schläpfer.
Niels Birbaumer von der Universität Tübingen steht der tiefen Hirnstimulation als Mittel gegen Depression eher kritisch gegenüber. Es gebe zahlreiche Methoden, für die man die Schädeldecke nicht öffnen müsse, so zum Beispiel die transkranielle Magnetstimulation. Hierbei werden Bereiche des Gehirns mit Hilfe starker Magnetfelder stimuliert oder gehemmt. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht-invasive Methoden gibt, die schlechter wirken als die tiefe Hirnstimulation", meint der Psychologe.
Die gezielte invasive Stimulation zieht er dennoch entschieden der Elektroschock-Therapie vor, "die leider wieder zur Standardtherapie geworden ist". Die Stromschläge zerstörten unkontrolliert Teile des Hippokampus, wettert Birbaumer. Seiner Meinung nach müsse man einer Depression zuerst mit Verhaltenstherapie entgegenwirken. Zeige diese keinen Effekt, könne man zu Medikamenten greifen. Ist auch das erfolglos, setzt der Psychologe auf nicht-invasive Stimulationsmethoden, da diese nur wenige Gefahren birgen: "Das Schlimmste, was bei diesen Verfahren passieren kann, ist, dass sie nichts bewirken".
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