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News: Aus den dunklen Tiefen der See

Im Dezember 1992 erkrankten an der Südküste von Bangladesh Tausende Menschen an starkem Durchfall und Erbrechen. Der Flüssigkeitsverlust war dabei so hoch, daß die Augen der Betroffenen in die Höhlen sanken und die Haut an den Fingerspitzen runzelig wurde. Innerhalb weniger Tage starben viele Bewohner der Region an schwerer Dehydrierung. Die Übeltäter waren wohlbekannt: Cholera-Bakterien, die vermutlich aus den Tiefen des Ozeans an die Oberfläche gespült wurden.
Nicht das erste Mal hatte diese Infektionskrankheit zu einer Epidemie geführt. Bemerkenswert war für die Wissenschaftler diesmal, daß etwa gleichzeitig mit dem Beginn der Seuche Wassermassen aus tiefen Meeresschichten hochgetrieben wurden und an die Küste des asiatischen Landes gelangten. In zunehmendem Maße traten gerade in diesem Wasser der Tiefsee Krankheitserreger auf, die man sonst nur in menschlichen Fäkalien und dann im Abwasser findet. Wohin führt es also, wenn die Menschen weiterhin ihre mehr oder minder geklärten Abwässer in die Ozeane pumpen -und kann sich so ein Fall wie in Bangladesh auch an anderen Küsten der Erde wiederholen?

"Die Tiefsee ist wie ein riesiger Kühl- und Lagerraum", sagt Rita R. Colwell, die Direktorin der National Science Foundation. "Man hatte bisher angenommen, daß man diesen Bakterien nie mehr begegnet, wenn sie erst mehrere tausend Meter unter der Oberfläche sind. Aber die Wasserströmungen können sie wieder hochspülen und an andere Küsten führen. Es ist also durchaus möglich, daß die Mikroben aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden und uns in eine Epidemie führen."

Der Meereswissenschaftler D. Jay Grimes von der University of Southern Mississippi sagt, daß man eine Vielzahl von Viren, die den menschlichen Magen-Darm-Trakt infizieren können, aus Wasserproben isoliert hat, die aus Schichten 1000 Meter unter der Oberfläche und tiefer kamen. Beispielsweise fand man das Poliovirus, den Erreger der Kinderlähmung, und Rotaviren, die zu heftigen Durchfällen führen. Daß die Erreger lange Zeit überdauern können, weiß man schon seit den späten achtziger Jahren. Sagar M. Goyal von der University of Minnesota isolierte Darmbakterien aus Abwasserschlamm, der 170 km entfernt von der New Yorker Küste stammte – dreißig Monate nachdem das letzte Abwasser dorthin eingeleitet worden war. Die Bakterien waren gegen mehrere Antibiotika resistent – ein untrügliches Zeichen, daß sie von Menschen ausgeschieden wurden, die diese Antibiotika eingenommen hatten.

Folgt man Grimes, so beginnen die Wissenschaftler gerade erst, die Gefahren zu erkennen, die von diesen Krankheitserregern ausgehen. "Allerdings steht der Beweis noch aus, der den Zusammenhang zwischen dem hochgewirbelten Tiefseewasser und dem Ausbruch einer Epidemie eindeutig belegt."

Paul R. Epstein ist Experte für öffentliches Gesundheitswesen. Er geht von früheren Studien von Colwell aus und sieht in den Ereignissen von Bangladesh eine andere Ursache. Mit den Wasserumwälzungen sind vor allem Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff an die Oberfläche gekommen, die dort zu einer schnellen Plankton-Blüte geführt haben. Und die Cholera-Bakterien haben sich so stark vermehrt, weil diese im Verdauungstrakt von anderen Meerestieren leben, welche sich wiederum von dem Plankton ernähren. "Sicherlich, möglich ist es schon," sagt Epstein, "daß Cholera-Bakterien aus der Tiefsee hochgespült werden und wieder Krankheitsfälle auslösen. Aber das ist wirlich schwer zu beweisen."

Benjamin H. Sherman von der University of New Hampshire sieht ebenfalls in der Ansammlung von pathogenen Mikroorganismen in diesen Tiefen ein deutliches Warnsignal, wie sehr der Mensch das Ökosystem der Erde angreift. Sein Kommentar: "Die Aussicht, daß wir altbekannte Krankheitserreger in diesen dunklen Tiefen haben ist interessant." Dennoch ist für ihn gegenwärtig die Verschmutzung der Küstengewässer das größere Problem.

Nichtsdestotrotz sagt Epstein, er sei "ernsthaft und tief" besorgt über die Existenz pathogener Keime in der Tiefsee. Besonders vor dem Hintergrund solcher Projekte wie in Boston, wo eine 17 km lange Pipeline demnächst die Abwässer der Stadt ins Meer leiten soll. Auch wenn diese gechlort würden, gebe es resistente Organismen und die Gefahr bleibe bestehen.

Epstein warnt: "Wir kennen nicht die Konsequenzen, wenn man das Schmutzwasser ins Meer leitet. Wir fangen doch erst an zu begreifen, wie die weltweite Klimaveränderung die Meeresströme beeinflußt und diese Viecher uns wieder verfolgen."

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