Ausbreitung des Menschen: Arabien war ein Hotspot der Menschheitsgeschichte
Zwei Augen, zwei Ohren und eine haarige Schnauze mit Nasenlöchern ragen aus dem Wasser. Es ist ein massiges Flusspferd, das sich in dem See von der anstrengenden Futtersuche der vergangenen Nacht ausruht. Auch eine kleine Elefantenherde samt Nachwuchs, Büffel und Antilopen stillen an dem Gewässer ihren Durst, einige von ihnen nehmen ein Bad. Dann tauchen Menschen am Ufer auf. Sie schleichen, legen sich schließlich auf die Lauer und warten, bis sich der richtige Moment ergibt, die Tiere am See zu erlegen.
Das beschriebene Szenario ist erfunden, könnte sich aber sehr wohl so oder so ähnlich ereignet haben. Wo genau? Nicht wie man meinen möchte an einem Wasserloch irgendwo in der Serengeti, sondern im Inneren der Arabischen Halbinsel – in der Nefud-Wüste im heutigen Saudi-Arabien. Während der Altsteinzeit, vor bis zu 400 000 Jahren, gab es immer wieder Phasen, in denen in Arabien häufiger Niederschläge fielen. Es bildeten sich Seen, und die Wüste verwandelte sich in eine Savanne ähnlich der Serengeti im Norden Tansanias. Vegetation und Wasser lockten bald Elefanten, Antilopen, Pferde und Flusspferde auf die Arabische Halbinsel, denen Jäger und Sammler prompt folgten.
Forschende um Michael Petraglia und Huw Groucutt vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena fanden heraus, dass es mindestens fünf solcher grünen Zeitfenster gab, in denen verschiedene Menschenformen – Homo erectus, Neandertaler und Homo sapiens – auf die Arabische Halbinsel gelangten, sich womöglich begegneten und auch vermischt haben könnten: vor zirka 400 000 Jahren, dann vor 300 000, 200 000, 130 000 bis 75 000 Jahren und vor ungefähr 55 000 Jahren. Von der Halbinsel, so vermuten die Wissenschaftler, wanderten Gruppen auch weiter. So gelangten Menschen in mehreren Wellen in andere Winkel der Welt. Ihre These beruht auf Grabungsergebnissen aus der Nefud-Wüste, wie die Wissenschaftler um Petraglia in der aktuellen Ausgabe von »Nature« berichten. Dort, im Norden Saudi-Arabiens, haben die Ausgräber die Sedimente einstiger Seen frei gelegt und in den Schichten Steinwerkzeuge und Tierfossilien dokumentiert.
Die Sanddünen wichen einer Savanne
»Eine so lange Abfolge von Belegen für eine steinzeitliche Besiedlung in der heutigen Wüste, die sich damals in eine Savannenlandschaft verwandelte – das ist wirklich ein toller Fund«, freut sich Knut Bretzke von der Universität Tübingen. Der Archäologe sucht im Südosten der Arabischen Halbinsel im Oman und in den Vereinigten Arabischen Emiraten ebenfalls nach Spuren menschlicher Aktivitäten der letzten Jahrhunderttausende; an der Forschung in der Nefud-Wüste war er nicht beteiligt. Allzu überrascht von den Erkenntnissen seiner Kollegen ist Bretzke allerdings nicht: »Wir wissen ja, dass die Arabische Halbinsel heute zwar knochentrocken ist, aber früher immer wieder Perioden mit mehr Regen auftraten, in denen die Wüste einem üppigen Grasland wich.«
Einen Wechsel zwischen extremer Trockenheit und feuchten Phasen voller Leben gab es nicht nur in Arabien, sondern auch in der Sahara und auf der Sinai-Halbinsel. Solche regionalen Klimawandel hingen nach Analysen von Martin Claußen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und seiner Arbeitsgruppe mit einem leichten Taumeln der Erdachse zusammen. Dadurch kam die Erde auf ihrer Umlaufbahn vor rund 10 000 Jahren im Juli dem Zentralgestirn am nächsten. Heute steht unser Planet dagegen im Januar an dieser Stelle. Nach weiteren 10 000 Jahren wird das so genannte Perihel dann wieder im Juli erreicht.
Die Neigung der Erdachse und die Nähe zur Sonne setzten einst einen Klimazyklus in Gang. Auf der Nordhalbkugel wurde es im Sommer ein wenig wärmer, während die Winter ein wenig kälter wurden. Die Temperaturunterschiede ließen den afrikanischen Sommermonsun anschwellen, der mehr Feuchtigkeit in die Wüsten Nordafrikas und der Arabischen Halbinsel trug. Aus dem sprießenden Grün verdunstete zusätzlich Wasser, was die Monsunregen weiter verstärkte und sie noch tiefer in die Wüsten vordringen ließ. Wanderte das Perihel wieder weiter, verringerten sich die Temperaturgegensätze und damit auch der Einfluss des Monsuns auf die Arabische Halbinsel und die Sahara. Die Folge: Die Savanne verwandelte sich wieder in eine Wüste.
Der klimatische Wandel hing noch von einer Reihe weiterer Faktoren ab. Während der Kaltzeiten, als mächtige Eispanzer weite Teile Nordamerikas und Nordeuropas unter sich begruben, verdunstete auch erheblich weniger Wasser aus den Meeren. Dadurch fielen weniger Niederschläge. Der Monsun schwächte sich ab und erreichte kaum die Sahara und die Arabische Halbinsel. Es waren denn auch wärmere Klimaepochen, in denen nicht nur auf der Arabischen Halbinsel, sondern auch in weiten Teilen der Sahara und auf dem Sinai saftige Grasflächen wogten und einzelne Baumgruppen standen.
Pflanzen und Tiere aus der Sahara und Arabien ähneln sich
Bald nachdem die grünen Landschaften entstanden waren, weideten dort Elefanten und Antilopen, die aus südlichen Gebieten zugezogen waren und noch heute über die Savannen Ostafrikas streifen. Wo sich heute Wüstenflächen erstrecken, gab es damals Flüsse und Seen, in denen die Tiere vor allem in den trockenen Jahreszeiten Wasser fanden. Selbst Flusspferde hielten sich auf der Arabischen Halbinsel auf. Michael Petraglia und sein Team haben Knochen der Dickhäuter gefunden. Eine solche Umwelt »war natürlich auch für die Menschen interessant«, sagt Petraglia. »Ohnehin waren die Jäger und Sammler der Steinzeit viel mobiler als viele Menschen heutzutage. Sie konnten solche neuen Lebensräume rasch nutzen.« Menschen waren den Tierherden gefolgt, von Afrika über den Sinai bis auf die Arabische Halbinsel, die den Wildbeutern mit ihren Grasländern und Galeriewäldern entlang der Gewässer auf rund 2,73 Millionen Quadratkilometern gute Jagdgründe bot.
Die Menschen kamen demnach über den Landweg. »Das Rote Meer mussten sie nicht überqueren«, erklärt Petraglia. Dass auch andere Lebewesen über diese Route nach Arabien gelangten, belegen heute dort lebende Tiere und Pflanzen, die auch in der Sahara vorkommen. »Aus der Sicht eines Biogeografen sind sich die Arabische Halbinsel und die Sahara sehr ähnlich«, so Archäologe Petraglia.
2006 fanden sich in Arabien erstmals frühe Spuren von Menschen
Dass sich während der Altsteinzeit tatsächlich Menschen auf der Arabischen Halbinsel aufhielten, war lange Zeit graue Theorie. Der Grund: Kaum ein Archäologe erforschte die Wüsten, weil sie dort einfach keine Funde vermuteten. »Die Ausgrabungen konzentrierten sich auf die heute fruchtbaren Gebiete in der Levante, in Israel und dem Libanon«, sagt Petraglia. Das änderte sich vor ungefähr 15 Jahren, als Hans-Peter Uerpmann von der Universität Tübingen und Knut Bretzke im Südosten der Halbinsel am Berg Jebel Faya in den Vereinigten Arabischen Emiraten etliche Steinwerkzeuge fanden. Das Alter der Geräte bestimmten sie auf 125 000 Jahre. Auf einen Schlag war klar, dass bereits in der Altsteinzeit Menschen auf der Arabischen Halbinsel gelebt hatten.
Seit 2010 sichten Michael Petraglia und sein Team Satellitenbilder auf der Suche nach den Spuren längst verschwundener Gewässer – mit Erfolg. »Rund 10 000 solcher Paläoseen haben wir inzwischen identifiziert«, berichtet der Anthropologe. Einige hundert von etwa 1500 einstigen Seen in der Nefud-Wüste im Nordwesten der Arabischen Halbinsel hat er mit seinem Team in den letzten Jahren am Boden untersucht. Bei rund 70 Prozent dieser Gewässer wurden die Forscher fündig: Sie entdeckten nicht nur die Überreste von Tieren, sondern auch die Werkzeuge von Steinzeitmenschen.
In den meisten Fällen handelt es sich aber um zeitlich isolierte Fundorte. Anders als in der Levante, der Region im Osten des Mittelmeergebiets, wo oftmals in Höhlen mehrere Kulturschichten übereinanderliegen und sich daraus eine menschliche Entwicklungs- und Migrationsgeschichte ableiten lässt, fehlten solche Daten bisher für die Arabische Halbinsel. Doch in einer Senke der Nefud-Wüste stießen die Jenaer Forscher nun auf eine besonders gute Fundsituation: an den Paläoseen von Khall Amayshan 4, abgekürzt KAM 4. »An der Stelle haben wir in verschiedenen Schichten sehr viele Steinwerkzeuge gefunden, die zeigen: In fünf verschiedenen Epochen haben sich dort Seen gebildet, an denen jeweils Menschen lebten«, erklärt Petraglia. Die Sedimente der einstigen Süßwasserseen datierten die Forscher mit Hilfe der Lumineszenzmethode. Damit lässt sich der Zeitraum bemessen, seit ein Sediment letztmalig dem Sonnenlicht ausgesetzt war.
Am Fundplatz KAM 4 kann so erstmals auf der Arabischen Halbinsel eine Abfolge von Gewässern nachverfolgt werden in Verbindung mit Werkzeugen verschiedener Technologien. Eine ähnliche Fundstelle haben die Jenaer Forscher überdies 150 Kilometer östlich von KAM 4 aufgetan. In der Oase Jubbah fanden sich ebenfalls Sedimente von Paläoseen und eine ähnliche Parallelität zwischen Phasen von Savannenlandschaften und menschlicher sowie tierischer Präsenz. Vor allem an KAM 4 lässt sich nun auch in Arabien die Geschichte eines Ortes rekonstruieren.
Die ersten Menschenformen an den Seen waren Homo erectus oder Vorfahren der Neandertaler
Vor rund 400 000 Jahren war die Wüste dort grün, und die Menschen dieser Zeit verwendeten Faustkeile, die sie mit der typischen Technik der Kulturstufe des Acheuléen herstellten. »Dabei schlägt man von einem Feuerstein so lange Splitter ab, bis ein handlicher Faustkeil entsteht«, beschreibt Knut Bretzke die Arbeit der Steinzeithandwerker. Mit dieser Technik fertigten Zweibeiner bereits vor 1,76 Millionen Jahren ihre Faustkeile. Der anatomisch moderne Mensch kommt für diese Kultur also kaum in Frage. Selbst noch vor 400 000 Jahren müssen es auf der Arabischen Halbinsel Vertreter der Menschenlinie Homo erectus gewesen sein, die diese Werkzeuge genutzt haben. Oder die Vorfahren der Neandertaler, die womöglich über die Levante oder den Kaukasus auf die Arabische Halbinsel gelangt waren. Letzteres legen jedoch die Fundstücke nicht nahe. »Die Faustkeile ähneln eher den damals in Afrika genutzten Geräten«, lenkt Michael Petraglia den Blick auf den Kontinent südlich der Sahara. Unabhängig davon stellen die 400 000 Jahre alten Faustkeile den bislang ältesten Nachweis von Menschenformen in Arabien dar.
Vor etwa 300 000 Jahren entstanden in der Region erneut Seen. Auch dieser Grünphase konnte Petraglias Team Faustkeile der Acheuléen-Kultur zuordnen. Womöglich hatten wieder Homo erectus oder Vorfahren der Neandertaler an einem See von KAM 4 gelebt. Und erneut ähneln die Werkzeuge solchen aus Afrika. In der nächsten Phase, vor rund 200 000 Jahren, sehen viele Steinwerkzeuge dagegen völlig anders aus – sie wurden eindeutig mittels der Levalloistechnik hergestellt.
»Dabei bearbeiten die Handwerker den Rohstein sehr aufwändig und sorgfältig, bis sie mit einem einzigen gezielten Schlag eine dünne Klinge mit rundherum scharfen Kanten abschlugen«, erklärt Bretzke. Diese Technik ist zwar typisch für anatomisch moderne Menschen, Homo sapiens. Nur beherrschten die Neandertaler, die zeitweise in der Levante auftauchten, die Technik genauso gut. Laut Bretzke muss man davon ausgehen, dass die Handwerker der Steinzeit eher problemlos Techniken von anderen Menschengruppen, denen sie begegnet waren, übernehmen konnten. Oder sie kopierten geschickt eine gefundene Klinge per »learning by doing«.
Die Brücke zwischen Afrika und Eurasien
In der Zeit vor 75 000 bis 130 000 Jahren erstreckten sich wieder Savannen und Seen auf der Arabischen Halbinsel. Und an dem Gewässer von KAM 4 hielten sich erneut Menschen auf. Michael Petraglia und seine Kollegen haben aus dieser Phase Steinwerkzeuge geborgen, die ähnlich den 200 000 Jahre alten Stücken mittels der Levalloistechnik produziert wurden und technisch mit afrikanischen Geräten verwandt sind. Für die Phase vor 55 000 Jahren liegt jedoch ein anderes Szenario nahe. Die Steingeräte waren zwar ebenfalls mittels einer Levalloistechnik hergestellt worden, aber einem Verfahren, das Neandertaler der nördlich gelegenen Region der Levante nutzten.
Sehr wahrscheinlich streiften zu jener Zeit Neandertaler und Vertreter von Homo sapiens in Arabien umher. Für Experten der Menschheitsgeschichte wie Robin Denell von der University of Exeter führen die neuen Erkenntnisse zu einer interessanten Schlussfolgerung: »Alle modernen nicht afrikanischen Individuen tragen etwas Neandertaler-DNA in sich – und die Arabische Halbinsel könnte eine Region gewesen sein, wo sich frühe Menschen und Neandertaler begegneten und vermischten«, schreibt Denell in einem begleitenden Kommentar in »Nature«. »Die Arabische Halbinsel könnte also weit mehr als eine Drehscheibe zwischen Afrika und dem Rest der Welt gewesen sein«, vermutet auch Petraglia. Sie diente offenbar als Brücke – für Menschen aus Afrika und Neandertalern aus Europa und Asien – und als Ort, an dem verschiedene Menschenformen miteinander Nachkommen zeugten.
Alle Gruppen waren Jäger und Sammler, die vermutlich dorthin zogen, wo viele Tiere weideten und wo sie gut Beute machen konnten. Einige waren dem Wild aus Afrika gefolgt in die ergrünte Sahara und danach über die Sinai-Halbinsel weiter auf die Arabische Halbinsel. Von dort könnten die Sippen dann über den Kaukasus nach Sibirien im Osten und bis nach Europa im Westen gewandert sein. Und vermutlich wurden die Wege auch in die umgekehrte Richtung beschritten. Knut Bretzke und Michael Petraglia haben also triftige Gründe, auf der Arabischen Halbinsel nach weiteren Spuren unserer Vorfahren und möglicher Techtelmechtel mit Neandertalern zu suchen.
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