Medizin: Ausflug in die Zukunft
Spektrum.de: Eckart, heute Abend sieht dich ein Millionenpublikum zur Primetime, wie du für drei Tage und Nächte in ein Düsseldorfer Altenheim einziehst. Wozu?
Eckart von Hirschhausen: Dieses Jahr werde ich 50. Und nur mit sehr viel Optimismus kann ich das als Halbzeit bezeichnen. Wovor habe ich Angst, wovor haben wir alle Angst, wenn wir an Alzheimer denken? Wer Höhenangst hat, geht am besten Schritt für Schritt auf Türme. Wer Spinnen fürchtet, tastet sich an Gummispinnen heran. Und wer Angst vor dem Alter hat, übernachtet am besten einfach mal dort, wo die Matratzen Gummiüberzüge haben.
Fernsehtipp
Am 12. Juni 2017 um 20.15 Uhr zeigt die ARD Teil 1 des "Check-ups" von Eckart von Hirschhausen im Altenheim. Teil 2 und 3 werden am 19. und am 26. Juni zur selben Zeit ausgestrahlt. Darin besucht der Moderator eine Psychiatrie und eine Kinder-Intensivstation.
Du bist ja selbst Arzt und kanntest den Medizinbetrieb und auch Pflegestationen schon vorher. Welche neuen Erfahrungen hast du bei den Dreharbeiten gemacht?
In meiner Arztausbildung vor 25 Jahren habe ich noch gelernt, Alter und den Tod als bösen Feind zu betrachten. Was für ein Quatsch. Denn dass heute mehr Menschen mit Alzheimer in Deutschland leben, ist salopp gesagt ein gutes Zeichen. Es bedeutet: Man ist nicht an etwas anderem vorher schon gestorben. Ich habe erlebt, dass es gute Einrichtungen gibt, wo auch Demenzkranke in Würde leben können. Eine schöne bauliche Idee ist zum Beispiel, dass unten im Altenpflegeheim eine Kita und ein Restaurant sind – automatisch durchmischen sich die Lebenswelten. Und ich habe gegen einen 85-Jährigen im Tischtennis verloren. Seitdem habe ich, wenn ich mit meinem Bühnenprogramm auf Tour bin, eine Pingpongplatte dabei und spiele, damit ich auch fit alt werde.
Eine für mich sehr ergreifende Szene im ersten Teil der Dreierserie zeigt, wie eine Musiktherapeutin einer Dementen das Lied "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen" von Zarah Leander vorspielt. Die Reaktion war verblüffend. Wie hast du das selbst erlebt?
Was mich sehr beeindruckt hat: Wie viel Musik auch in der letzten Lebensphase bewirken kann. Das Projekt "Music and Memory" nutzt den persönlichen Soundtrack des Lebens bei Menschen mit Demenz, um lang verschollene Erinnerungen wieder zum Klingen zu bringen. Das Rezept: Spiel die Hits individuell auf einen MP3-Player und gib Musik als Medikament zweimal am Tag für zehn Minuten – über Kopfhörer, sozusagen "ohr-al". Ich konnte es mit einer Musiktherapeutin zusammen praktisch ausprobieren. So unterschiedlich wie die Menschen und Lieder sind, so unterschiedlich sind auch die Reaktionen. Mal tat sich wenig, mal hatten alle Tränen in den Augen. Ich drehte mich im Walzertakt mit einer 93-Jährigen zu "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein …". Ich erlebte, wie eine in sich zusammengesunkene Frau die Augen aufschlug, als mit "Veronika der Lenz ist da" ein bisschen Frühling bei ihr einzog. Und bei einem bettlägerigen schwer dementen 69-jährigen Mann fing unter der Bettdecke der Fuß an zu zucken, als er "I can't get no satisfaction" über die Kopfhörer bekam. Bei der Gelegenheit fiel mir auf, dass ich dringend meine Eltern fragen muss, was sie eigentlich in ihrer Jugend gehört haben.
In "Gehirn&Geist" haben wir 2016 über die erstaunliche Robustheit des musikalischen Gedächtnisses selbst bei Demenz berichtet, und du hast das Thema "Tanzen gegen Alzheimer" selbst vor einem Jahr in deiner Kolumne aufgegriffen. Inwieweit hat die Erfahrung mit der Musiktherapie im Altenheim jetzt deinen Blick nochmals geschärft?
Sowohl unsere Forschungsinvestitionen als auch unsere therapeutischen Bemühungen sind viel zu sehr danach ausgerichtet, was Ärzte tun können und ob wir irgendwann den einen Schalter im Hirn finden, den wir nur umzulegen brauchen, und alles wird gut. Das ist naiv und engstirnig. Je länger ich diese biologistischen Modelle betrachte, desto weniger glaube ich ihnen. Wir müssen dringend die Heilkraft der Berührung, der Zuwendung, der Lebensstile und auch die Wirkung von Gemeinschaft, Musik, Tanzen und Lachen ernsthaft untersuchen und anwenden. Das Leben spielt im Leben und nicht im Labor. Für Millionen unserer Steuergelder forschen wir über Rezeptoren und Grundlagen. Das ist alles wichtig. Aber warum wird in den teuren langen epidemiologischen Studien keine Interventionsgruppe gemacht. Ich wüsste gerne, was es bringt, zwischen 40 und 60 Bewegung, Musik und Tanzen ins Leben bewusster zu integrieren. Sehr wahrscheinlich ist das die wirksamste Strategie gegen Demenz! Aber da braucht es Geduld und die hat im Forschungs- und Publikationswettbewerb keiner. Ich finde es wichtig, wieder von Patientenseite aus zu denken: Welche Fragen haben wir als Gesellschaft an die Forschung?
An einer anderen Stelle im Film, kurz nachdem du mit dementen Senioren "Horch, was kommt von draußen rein" gesungen hast, sagst du, dir gehe die "intellektuelle Grundstimmung von Zynismus und Kaltherzigkeit in Deutschland tierisch auf den Sack". Was und wen kritisierst du konkret?
Wer hat sich selbst geboren? Niemand. Wer möchte alleine sterben? Auch niemand. Wir sind aufeinander angewiesen und früher oder später alle einmal davon abhängig, dass jemand da ist, der sich um uns kümmert. Schnell sind diejenigen, die auf den Wert des Engagements hinweisen "Gutmenschen". Die größte Gruppe im Gesundheitswesen sind pflegende Angehörige! Ohne deren stille und unhonorierte Leistung in Milliardenhöhe wären wir als Gesellschaft sofort pleite! Dann kommen die Pflegekräfte, von denen wir auch weniger hören als von den Apothekern. Ich freue mich, dass ich neulich auf dem Deutschen Pflegetag den Ehrenpreis "Freund der Pflege" verliehen bekam, denn wenn die Piloten streiken, kommt man schlechter von A nach B. Ohne Pflege kommt keiner vom Bett aufs Klo!
"Ohne die stille und unhonorierte Leistung pflegender Angehöriger wären wir als Gesellschaft sofort pleite"
Zwei Drittel aller Medikamente werden in Deutschland an Über-60-Jährige verabreicht, erfahren die Zuschauer im Film. Und wenn mehr als drei Wirkstoffe konsumiert werden, wisse niemand mehr, welche Wirkungen dies beim Patienten nach sich zieht. Ist dies der wunde Punkt, wenn du an die Versorgung von Menschen etwa in Heimen denkst?
In meinem Buch "Wunder wirken Wunder" zitiere ich den höchsten Sachverständigen für das Gesundheitswesen, Professor Ferdinand Gerlach, der das die "organisierte Verantwortungslosigkeit" nennt. Zwischen dem, was in der Arztpraxis in der Akte steht und dem, was die Menschen tatsächlich auf dem Küchentisch liegen haben und einnehmen, gibt es praktisch keine Übereinstimmung. Mein Onkel kam zum Sterben in ein Pflegeheim, setzte seine 20 Tabletten ab – und blühte auf! Das ist kein Einzelfall. Gerade Schlafmittel sind ein Desaster unter Älteren, die dadurch nachts eher stürzen, und mit einem Knochenbruch beginnt oft der Verlust der Selbstständigkeit. Die Kunst der Medizin sollte sein, Krankenhausaufenthalte zu vermeiden!
Welche Erkenntnisse hast du bei den Dreharbeiten in der Psychiatrie und der Kinder-Intensivstation für die kommenden Sendungen noch für dich gewonnen?
Jede Menge – deshalb werden das ja weitere zweimal 45 Minuten! In der Psychiatrie war es mein Anliegen, zu zeigen, dass viele Klischees seit 30 Jahren nicht mehr stimmen. Und bei den Frühchen traf ich ehemalige Arbeitskollegen wieder, und erlebte, wie man heute bei der Versorgung die Eltern viel besser miteinbezieht. Zu meiner Zeit durften die Kinder kaum raus aus dem Brutkasten – heute ist klar: Säuglinge gehören an die Brust der Mutter – und des Vaters!
Du fragst im Film heute Abend verschiedene Menschen – eine 84-Jährige, aber auch einen Altenpfleger –, ob sie Angst vor dem Tod haben. Hast du selbst Angst vor dem Tod?
Frei nach Woody Allen möchte ich lieber in meiner Wohnung als in der Erinnerung andere Leute weiterleben. Ich lebe gerne und möchte noch viel erleben und bewirken. Herr Danecke riet mir, so viel wie möglich von der Welt zu sehen. Er war sein Leben lang gerne unterwegs und ist noch mit 80 mit seiner Frau auf Kuba gewesen, mit Rucksack. Jetzt ist er 86 und in Kurzzeitpflege, weil es zu Hause nicht mehr klappte. Wo war es am schönsten? Samoa? Philippinen? Norwegen? "Das kann ich so gar nicht sagen. Aber wissen Sie – wenn ich abends in meinem Bett liege, mach ich die Augen zu, nehme mir ein Ziel vor – und verreise."
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Carsten Könneker, Chefredakteur von "Spektrum der Wissenschaft", "Spektrum.de" und "Gehirn&Geist".
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