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Rinderpest: Ausgerottet, aber kaum erforscht

Tierseuchen-Forscher atmen auf: Zuletzt durften sie nicht mit aktiven Rinderpest-Viren experimentieren. Dieses Verbot fällt nun.
Rinderpest in Südafrika 1896

Was tun, wenn ein Forscher gute Fragen hat und die Mittel, sie zu beantworten – aber nicht darf? In dieser Zwickmühle steckte nun gut ein Jahr lang der Veterinärmediziner Michael Baron mit seiner Arbeitsgruppe am englischen Pirbright Institute: Er wollte testen, ob mit dem Pest-Impfstoff für Ziegen und Schafe geimpfte Rinder auch vor Rinderpest geschützt sind. Die notwendige Infrastruktur stand parat; etwa aktive Rinderpest-Viren und ein geeignetes Hochsicherheitslabor. Doch dann kam ein Moratorium dazwischen: Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) verkündeten im Sommer 2012, dass die Forschung mit aktiven Rinderpest-Viren vorerst nicht mehr erlaubt ist. Seitdem sind Barons Rinderpest-Proben am britischen Pirbright Institute weiter vor allem gut verwahrt: "Die Viren lagern in verriegelten Kühltruhen in einem verriegelten Raum, der sich wiederum in einem verriegelten Gebäude befindet, das auf einem sicheren Grundstück steht."

Jetzt könnte der Wissenschaftler das Material wieder zur Hand nehmen und die brach liegende Forschungsfrage doch noch angehen: Die FAO und die OIE haben das Moratorium gerade gelockert . Barons Thema, die Rinderpest, ist eine der ältesten bekannten Tierseuchen; sie soll schon vor 5000 Jahren in Ägypten beschrieben worden sein. Sie kann Büffel und Rinder treffen – aber auch Giraffen, Antilopen und andere große Wiederkäuer – und wirkt dann oft verheerend: Infizierte Tiere leiden an Fieber und Durchfall, ihre Schleimhäute an Maul, Nase und Augen entzünden sich, sie werden apathisch. Viele Tiere sterben, bei der schwersten der der vier Verlaufsformen siechen sie sogar innerhalb von nur zwei bis drei Tagen dahin. Zudem ist die Rinderpest hochansteckend; vor allem über das Nasensekret geben infizierte Tiere die Viren weiter. Immer wieder kam es zu schweren Epidemien, etwa in den 1970er und 1980er Jahren in Südasien und in Afrika oder 1994 in Pakistan, wo etwa 50 000 Büffel und Rinder an der Rinderpest verendet sind.

Rinderpest in Südafrika 1896 | Die Rinderpest gehört zu den ältesten bekannten Tierseuchen. Auf der historischen Aufnahme aus dem Jahr 1896 sieht man die Folgen eines Ausbruchs der hochansteckenden Krankheit in Südafrika.

Um die Rinderseuche loszuwerden, gründete die FAO im Jahr 1994 das Global Rinderpest Eradication Programme (GREP). Daraufhin liefen mit Hilfe der Internationalen Organisation für Tiergesundheit und anderen Unterstützern weltweit massive Impfkampagnen an. Mit Erfolg: Die Tierseuche wurde nach und nach eingedämmt, seit 2011 gilt die Rinderpest gar als weltweit ausgerottet – als zweite Infektionskrankheit nach den Pocken.

Ausgerottet in der Natur, gelagert in rund 40 Laboren

Der leitende Veterinärbeamte der FAO, Juan Lubroth, warnt jedoch: "Die Weltgemeinschaft hat das Rinderpest-Virus in der Natur auszurotten können – die Virus-Proben in Laboren müssen wir aber weiter im Auge behalten." Aus diesem Grund brachten die FAO und die OIE Anfang 2011 auch eine Umfrage unter ihren Mitgliedsländern auf den Weg: Wer hat noch aktives Rinderpest-Material, also Proben von kranken Tieren oder Lebend-Impfstoff mit abgeschwächten Rinderpest-Viren?

In Deutschland verfüge niemand über aktive Rinderpest-Viren, teilte das deutsche nationale Referenzlabor für Rinderpest am Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit mit. Man selbst arbeite nur mit inaktiven Material, um etwa Diagnose-Verfahren zu verbessern.

Weltweit haben bei der Umfrage rund 40 Länder zurückgemeldet: Ja, wir haben aktive Rinderpest-Viren, fasst der OIR-Generaldirektor zusammen. Welche Länder oder konkret welche Einrichtungen die Viren vorhalten, mögen allerdings weder FAO noch OIE offenlegen: Die Liste gilt als heikel. Würde heute die Rinderpest erneut ausbrechen, seien Jahrzehnte der Arbeit zunichte, erklärt Lubroth von der FAO. Sein Kollege Vallat von der OIE ergänzt: "Aktive Rinderpest-Viren sind eine perfekte Waffe für Bioterroristen." Mit ihnen ließen sich ganze Rinderherden anstecken, was Hungerkatastrophen und letztlich internationale Krisen nach sich ziehen könnte.

Nur vier bis sechs Labore sollen Experimentier-Erlaubnis bekommen

Deswegen seien zwei Dinge wichtig für die Zukunft, sagen Experten: Die Rinder müssten weiterhin geimpft werden und man müsse verhindern, dass aktive Viren freigesetzt werden, egal ob absichtlich oder aus Versehen. Ein Problem ist, so Vallat, dass nicht alle Einrichtungen, die aktives Material vorhalten, ausreichend sicher sind. "Deswegen hatten wir beschlossen, die Forschung mit dem Virus so lange zu stoppen, bis Regeln ausgearbeitet sind."

Während das Moratorium anlief, nahm daher ein gemeinsamer Beratungsausschuss die Arbeit auf, um die OIE und die FAO zu beraten. Diese Expertengruppe legte Standards fest, die Forschergruppen erfüllen müssen, um wieder mit aktiven Rinderpest-Viren experimentieren zu dürfen – in Hochsicherheitslaboren mit ausgebildetem Personal und unter unabhängiger Kontrolle. Außerdem soll die Forschung "erhebliches Potenzial haben die Ernährungssicherheit zu verbessern" – während zudem das Risiko minimal bleiben muss, ein erneute Auftreten der Krankheit zu fördern.

Nicht alle der aktuell rückgemeldeten Einrichtungen mit aktiven Rinderpest-Viren sollen daher auch weiter experimentieren dürfen, erklärt der Generaldirektor der Weltorganisation für Tiergesundheit: "Die meisten Labore, die momentan lebende Viren haben, werden gebeten, die Erreger zu vernichten oder das Material an ein auf der offiziellen Liste stehendes Labor zu schicken."

© FAO
Aufruf der FAO: Zerstört eure Rinderpestvirus-Vorräte!

Diese "offizielle Liste" führt all jene Institutionen auf, die von der FAO und der OIE die Erlaubnis bekommen, aktive Rinderpest-Viren zu besitzen und damit auch zu forschen. Bislang ist diese Liste aber noch leer: Vier bis sechs Einrichtungen, sagt Vallat,sollen schließlich die Forschungsgenehmigung bekommen. Der britische Rinderpest-Forscher Michael Baron wäre gerne einer der Auserwählten: "Theoretisch könnte ich morgen starten", sagt der Brite und fügt gleich hinzu: "Praktisch müssen wir uns erst einmal bewerben und mit der OIE verhandeln."

Baron geht davon aus, dass er eine Genehmigung erhält. Immerhin sei das Pirbright Institute nach wie vor das Welt-Referenzlabor für Rinderpest, und zwar im Auftrag der Weltorganisation für Tiergesundheit und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Und die Sicherheitsstandards, die von den neuen Vorschriften vorgeschrieben werden, seien am Pirbright Institute auch längst Usus, sagt Baron.

Kein Lebend-Impfstoff mehr nötig?

Wenn alles klappt, dann könne man Anfang 2014 mit den Experimenten beginnen, sagt Baron: Rinder im Hochsicherheitstrakt sollen mit dem Wirkstoff, der gegen die Pest bei Schafen und Ziegen gedacht ist, geimpft werden. Anschließend werde man testen, ob die geimpften Tiere mit Rinderpest infiziert werden können und wie schlimm ihre Erkrankung im Falle des Falles dann auftritt. "Wenn wir zeigen könnten, dass das Vakzin gegen die Pest der kleinen Wiederkäuer auch gegen Rinderpest bei großen Wiederkäuern wirkt, dann wären große Vorräte an Rinderpest-Impfstoff als Sicherheitsvorkehrung unnötig", sagt Baron.

Der Generaldirektor der Internationalen Organisation für Tiergesundheit sieht das ähnlich: "Viele Länder lagern schon den klassischen Impfstoff gegen die Pest bei kleinen Wiederkäuern – Impfstoff-Vorräte speziell für die Rinderpest würden verzichtbar." Das wiederum hieße: Noch mehr von dem gefährlichen Rinderpest-Material, das mancherorts in Kühltruhen liegt, könnte zerstört werden.

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