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Ausgestorbener Vogel: Der Dodo soll von den Toten auferstehen

Der Dodo starb vor 300 Jahren aus, doch sein Erbgut ist noch da. Lässt es sich in eine verwandte Spezies einsetzen? Ein Unternehmen will genau das tun.
Illustration eines Dodos in seinem natürlichen Habitat
Der Dodo, wie er leibte und lebte (Illustration). Damit aus den vorhandenen DNA-Resten ein kompletter Vogel geklont werden kann, wird das Unternehmen Colossal Biosciences immense Hürden überwinden müssen.

Wenn es um die »Wiederbelebung« ausgestorbener Tiere geht, kommt man an Colossal Biosciences kaum vorbei. Das mit viel Risikokapital ausstaffierte Start-up ist der Big Player der Szene und dominiert regelmäßig die Schlagzeilen. So auch am 31. Januar 2023. In einer Mitteilung kündigt das Unternehmen an, den Dodo zurückzuholen und in seinem natürlichen Lebensraum auf Mauritius auszuwildern.

Doch ob es überhaupt technisch möglich ist, den flugunfähigen Vogel – oder auch nur seinen genetischen Doppelgänger – zurückzuholen, ist hochumstritten.

Das 2021 vom Tech-Unternehmer Ben Lamm und dem Harvard-Genetiker George Church gegründete Unternehmen kündigte bereits an, das Mammut wiedererschaffen zu wollen. Ein Jahr später kam der Tasmanische Tiger dazu. Jetzt, mit der Gründung einer neuen Abteilung für Vogelgenetik und zusätzlichen Investitionen in Höhe von 150 Millionen Dollar, auch noch der legendäre Dodo.

Vor allem im angelsächsischen Sprachraum hat der Dodo (und sein Aussterben) eine große symbolische Bedeutung. »Dead as a dodo«, so tot wie ein Dodo, heißt so viel wie mausetot. Der auf Mauritius im Indischen Ozean beheimatete Vogel starb Mitte bis Ende des 17. Jahrhunderts aus, und zwar nicht lange, nachdem die Menschheit in Gestalt europäischer Seefahrer die Insel erreicht hatte. Der unbeholfene Vogel, etwa einen Meter groß und 15 bis 20 Kilogramm schwer, hatte offenbar besonderes evolutionäres Pech: Er kannte einfach keine Angst vor Menschen. Die Vögel spazierten munter auf die Seeleute zu, so die Überlieferung, und zuckten nicht einmal, als ihre Artgenossen um sie herum getötet wurden. Gleichzeitig produzierten sie nur wenig Nachwuchs. Ein einzelnes Ei legten sie pro Jahr auf den Boden, während gleichzeitig Menschen und die von ihnen eingeschleppten Affen und Ratten über sie herfielen. Der Dodo wurde zum Sinnbild des Aussterbens selbst.

»Diese Ankündigung ist wirklich erst der Anfang dieses Projekts«, sagt Beth Shapiro, leitende Paläogenetikerin und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Colossal Biosciences. Shapiro ist Professorin für Ökologie und Evolutionsbiologie an der University of California in Santa Cruz. Den Dodo hat sie bereits untersucht, als die Paläogenetik, die Erforschung alten Erbguts, noch kaum die Techniken dazu hatte. Im Jahr 2002 veröffentlichte sie eine Studie im Fachblatt »Science«. Darin beschrieben sie und ihr Team, wie sie ein winziges Stück mitochondrialer DNA (mtDNA) des Vogels extrahierten – jenes Erbgut, das in den »Kraftwerken« der Zelle steckt und sich vergleichsweise einfach gewinnen lässt. Dieses Stück mtDNA verriet ihnen, dass der engste lebende Verwandte des Dodos die Kragentaube war. Im Jahr 2022 gab Shapiro dann bekannt, dass ihr Team in Santa Cruz das gesamte Genom des Dodos rekonstruiert hatte.

Langer Weg mit ungewissem Ziel

Zwei Jahrzehnte dauerte ihr Weg von der mtDNA zum kompletten Genom. Doch der Weg vom Erbgut zum lebendigen Wesen stellt wohl eine noch viel gewaltigere Herausforderung dar, mit zahllosen, miteinander verquickten Hindernissen.

Theoretisch wäre es denkbar, eine Spezies dadurch wiederzubeleben, dass man erhaltene DNA klont. In der Praxis ist das jedoch nicht möglich, weil das Erbgut nach so langer Zeit zu stark degradiert ist. Darum zielen die meisten Projekte darauf ab, das Genom einer nah verwandten Spezies so abzuwandeln, dass eine Art Doppelgänger des ausgestorbenen Tiers entsteht. Das künstlich veränderte Genom würde man anschließend in eine Eizelle dieser verwandten Art einpflanzen, aus der sich dann das fertige Tier entwickelt. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Trächtigkeit beziehungsweise das Heranreifen im Ei erfolgreich verläuft, dass das Tier lebendig auf die Welt kommt, dass geeignete Ersatzeltern zur Verfügung stehen, dass es passend ernährt wird und dass es in einer geeigneten Umgebung aufwächst.

Kragentaube | Die Kragen- oder Nikobarentaube ist der nächste noch lebende Verwandte des Dodos und deutlich kleiner als dieser.

Colossal Biosciences versucht, all diese Probleme auf einmal zu lösen. »Wir sind zwar noch lange nicht so weit, Embryonen in Leihmütter einzupflanzen«, sagt Mitgründer Lamm. Trotzdem arbeite bereits ein Team des Unternehmens an der Klonierungsmethode, die für diesen Prozess erforderlich ist. Andere Teams sind aktiv in den Bereichen Bioinformatik, Zell-Engineering, Reprogrammierung von Stammzellen, der Embryologie, Protein-Engineerings und Tierhaltung, um nur einige zu nennen.

Vögel lassen sich (noch) nicht klonen

Mit einem speziellen Problem dabei kämpft die gesamte Vogelgenomik. Säugetiere kann man »zurückholen«, wenn man ein Verfahren nutzt wie damals bei Klonschaf Dolly. Vögel aber, sagt Shapiro, »können wir nicht klonen«. Dazu würde man Zugriff auf eine Eizelle benötigen, die zwar befruchtungsfähig ist, aber noch nicht befruchtet wurde. Was laut Shapiro bei Vögeln noch nicht möglich ist, zumindest nicht »zum gleichen Entwicklungszeitpunkt wie bei einem Säugetier«. Colossal Biosciences erforscht darum ein Verfahren, mit dem man aus Vogeleiern so genannte Urkeimzellen gewinnen kann, aus denen sich reife Eizellen entwickeln. Wenn das Verfahren funktioniert, könnten solche Zellen von Tauben dergestalt manipuliert werden, dass sie schließlich zu einem dodoähnlichen Vogel heranreifen. Letztendlich müsste man dazu aber den Umweg über eine genveränderte Taube gehen, die so groß ist wie ein Dodo – damit die Größe der Eier einheitlich bleibt, sagt Shapiro.

Während der erste Abschnitt der Genmanipulation bei Vögeln schwieriger ist als bei Säugetieren, sollte der zweite einfacher sein, »weil alles im Ei stattfindet«, erklärt Shapiro. Wie ein gentechnisch verändertes Säugetier in der Gebärmutter mit der Wirtsart interagiert, sei nämlich noch überhaupt nicht klar.

»Es gibt niemanden, der dem Dodo beibringt, wie man ein Dodo ist«Mikkel Sinding, Paläogenomiker

Sobald ein neu geschaffenes Tier geboren oder geschlüpft ist, stellen sich weitere Fragen. Die meisten Tiere haben eine Mischung aus instinktivem Verhalten, das sich aus ihrer genetischen Programmierung ergibt, und sozialem Verhalten, das sie von ihren Eltern abschauen oder – im Fall von sozialen Tieren – von ihrem Rudel oder ihrer Gruppe. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, die einzigartige Erfahrungswelt wiederaufleben zu lassen, die das Sozialverhalten der Dodos oder anderer ausgestorbener Tiere über Generationen prägte. Ja, in vielen Fällen kennt man deren Ökosystem nicht einmal sonderlich gut.

Anders gesagt: »Es gibt niemanden, der dem Dodo beibringt, wie man ein Dodo ist«, findet Mikkel Sinding, Paläogenomiker an der Universität Kopenhagen. »De-extinction«, wie es im Fachjargon heißt, die Rücknahme des Aussterbens, ist so gesehen eine falsche Bezeichnung. Den Dodo bringt niemand zurück, sondern höchstens einen Vogel mit Dodo-Genom.

Der Dodo kennt die Welt nicht mehr

Hinzu kommt, dass der Dodo-Doppelgänger in einer Welt überleben müsste, die sich in den letzten 300 Jahren deutlich verändert hat. Nur wenig weiß man über das Leben der Dodos in ihrer natürlichen Umwelt. Sie lebten ausschließlich in den Wäldern auf Mauritius. Vor der Einführung invasiver Arten kannten sie keine großen Raubtiere. Sie pflanzten sich nur langsam fort. Trotzdem gab es sie wohl zu Tausenden, wie die Seefahrer alter Zeiten berichteten. Dass es eines Tages den dort ausgewilderten Neu-Dodos gut gehen wird, ist fraglich und eine weitere Herausforderung für das Unternehmen.

»Das Ziel ist es, ein Tier zu schaffen, das sich in der Umgebung, in der es lebt, physisch und psychisch wohl fühlt«, sagt Shapiro. »Wenn wir etwas zurückbringen wollen, das funktional einem Dodo entspricht, dann müssen wir Lebensräume finden, identifizieren oder schaffen, in denen diese Wesen überleben können.« Die Forscherin verweist dazu auf Umweltschutzprojekte auf Mauritius und den umliegenden Inseln, die zum Ziel haben, ursprüngliche Habitate wiederherzustellen.

Der Dodo kannte keine Angst | Seinen Verfolgern machte er es damit viel zu leicht. Sollte er wieder ausgewildert werden, müsste er zudem vor invasiven Ratten und Affen geschützt werden.

Womöglich könnten sich beide Unternehmungen sogar wechselseitig zugutekommen: Einheimische Pflanzen und Tiere könnten von der Anwesenheit der wiederbelebten Dodos ebenso profitieren wie diese von jenen. Beispiele dafür gibt es, etwa im Fall neu angesiedelter Riesenschildkröten unweit von Mauritius. Sie füllen dort die Nische einer ausgestorbenen Art und halfen Ebenholzbäumen bei der Wiederverbreitung, indem sie deren Früchte fraßen und die Samen in der Landschaft verteilten.

Doch lieber in bedrohte Arten investieren?

Sinding, der bereits alte DNA von Wölfen, Wollnashörnern und Auerochsen aus dem Pleistozän extrahiert hat, war nach eigenem Bekunden überrascht und begeistert von den Dodo-Plänen. Er traut Colossal Biosciences in diesem Fall eher einen Erfolg zu als bei Mammut oder Tasmanischem Tiger. Was allerdings auch von der Definition von Erfolg abhänge. »Man kann ja wie wild Genome editieren und irgendwann behaupten, man habe eine Art wiederbelebt«, sagt er, »aber ist das die Art dann wirklich?«

»Der Dodo ist eine gute Wahl, weil die Entwicklung des Fötus in einer kurzen Zeitspanne und in einem Ei stattfindet und nicht in einer Leihmutter. Ein Mammut müsste fast zwei Jahre lang von einem Elefanten ausgetragen werden«, sagt Sinding. »Es dürfte auch einfacher sein, mit einem Küken umzugehen als mit einem kleinen Tasmanischen Tiger.« Die ethische Frage beim Dodo sei allerdings, »ob das Geld gut angelegt ist oder ob wir das Geld lieber dafür ausgeben sollten, andere lebende Tauben zu erhalten, die fast ausgestorben sind«.

Den Dodo wiederauferstehen zu lassen, sei »keine Lösung für die Artenkrise«, sagt Shapiro. Was ausgestorben ist, sei unwiederbringlich verloren. Doch mit dem Dodo-Projekt entwickele Colossal Biosciences auch dringend benötigte Werkzeuge für die Vogelgenomik. Dazu zähle etwa die genetische Rettung derzeit bedrohter Arten, beispielsweise indem man die genetische Vielfalt in einer geschrumpften Vogelpopulation künstlich erhöht. Ein Dodo des 21. Jahrhunderts könnte also durchaus dem gesamten Vogelschutz dienen.

Dabei ist er nur einer von vielen ausgerotteten Vogelarten: Laut einem Bericht von Bird Life International aus dem Jahr 2022 wurden 161 Spezies seit dem Jahr 1500 als ausgestorben eingestuft. Colossal Biosciences setzt jedoch auf die Symbolkraft des Dodos, um Fachwelt und Öffentlichkeit zu inspirieren. »Wir hätten viele andere Vögel auswählen können«, sagt Shapiro und zeigt auf das Dodo-Tattoo auf ihrem rechten Arm. »Aber ich bin nun einmal großer Dodo-Fan.«

Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Fassung des Artikels haben wir an einigen Stellen den Tasmanischen Tiger mit dem Tasmanischen Teufel verwechselt. Letzterer ist noch nicht ausgestorben, Ersterer soll von Colossal Biosciences wiederbelebt werden. Wir bitten die Verwechslung zu entschuldigen und danken den zahlreichen Hinweisgebern!

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