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Ausgrabungen: Abschied von Troja

Nach 25 Jahren geht eine Ära zu Ende: Die Tübinger Archäologen ziehen sich von den Ausgrabungen in Troja zurück.
Gemälde Brand von Troja

Für Ernst Pernicka ändert sich im Grunde nicht viel. Die letzten Jahre leitete der Archäometallurg die Ausgrabungen an einem der prestigeträchtigsten Orte der Archäologie: in der legendären Stadt Troja. Nun nimmt er wieder die Spur des einen Metalls auf, die er eigentlich nie verlassen hatte. "Die Frage nach der Herkunft des Zinns hat mich überhaupt erst nach Troja gebracht", sagt der gebürtige Wiener. "Und diese Frage wird mich auch weiter beschäftigen."

Als Menschen vor rund 5000 Jahren im Vorderen Orient begannen, aus Zinn und Kupfer den neuen Werkstoff Bronze herzustellen, brach eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte an. Pernicka, ein studierter Chemiker, der teils aus Leidenschaft, teils aus Zufall zum Altertumskundler wurde, forscht schon seit Langem danach, woher die Rohstoffe für diese revolutionäre Legierung kamen. Indem er dem Weg des Zinns folgt, versucht er Handelswege zu ergründen, internationale Kontakte sowie wirtschaftlichen und kulturellen Austausch in der Frühgeschichte der Menschen.

Brand von Troja | Um 1600 malte der Künstler Adam Elsheimer dieses Bild vom "Brand Trojas". Es zeigt die Brandschatzung der Stadt und die Flucht überlebender Bewohner, nachdem die Griechen die Stadt mit einer List eingenommen hatten.

Diese Forschungen beschäftigten ihn vor Troja, in Troja und nun auch nach Troja. So gesehen ändert sich im Grunde nicht viel für Ernst Pernicka. Andererseits aber geht mit diesem Jahr eine Ära zu Ende – für den Forscher persönlich, aber auch für die deutsche Archäologie an sich. Heinrich Schliemann hatte in den 1870er Jahren als Erster in Troja gegraben, über Jahrzehnte bemühten sich deutsche Archäologen immer wieder, hier den Mythen Homers ein wissenschaftliches Fundament zu verleihen. Seit 1988 schließlich gruben und forschten Archäologen der Eberhard Karls Universität Tübingen nach den Ruinen der sagenumwobenen Stadt. Sieben Jahre lang war Pernicka der Leiter dieser Ausgrabungen.

Glorreiche Vergangenheit, bittere Gegenwart

Die Arbeiten auf dem Hügel namens Hisarlik im Nordwesten der Türkei boten sogar den Anlass zum bislang lautesten Streit unter deutschen Althistorikern, der Troja-Debatte. Doch dazu später, denn die Gegenwart ist bitter genug. Mit den deutschen Forschungen in Troja ist nun nämlich weit gehend Schluss: Ausgrabungsleiter Ernst Pernicka hat keinen Antrag für die Grabungslizenz 2013 gestellt. Freiwillig zwar, doch die äußeren Umstände ließen ihm auch wenig Bewegungsspielraum.

"Wir haben einfach kein Geld mehr", sagt der Archäometallurg. Die Förderung durch die Deutsche Forschungsgesellschaft lief aus, weitere Anträge wurden nicht entgegengenommen. Restmittel der deutschen Troja-Stiftung ermöglichten zwar noch die Kampagne im letzten Jahr, aber nun herrscht in der Archäologenkasse definitiv Ebbe. Dies vor allem führte zum jähen Ende einer Ära – doch nicht allein, betont Pernicka: "Die Entscheidung, mich von der Ausgrabung zurückzuziehen, fiel mir auch deshalb nicht schwer, weil die Arbeitsbedingungen in der Türkei mit den Jahren nicht einfacher wurden."

Die türkische Antikenverwaltung möchte die zahlreichen Stätten im Land hauptsächlich touristisch nutzen. "Das verträgt sich jedoch meist nicht mit der Forschung vor Ort", sagt Pernicka. Zudem verschlinge die fremdenverkehrsgerechte Präsentation und Rekonstruktion antiker und prähistorischer Bauwerke ungeheure Mittel, die der türkische Staat nach Möglichkeit nicht selbst bereitstellen will. Und darüber hinaus erschwerte die türkische Regierung in den letzten Jahren immer häufiger ausländischen Wissenschaftlern die Ausübung ihrer Arbeit: Oft genug sind es unbeteiligte archäologische Teams, die unter den Querelen um ungeklärte Restitutionsfragen zu vermeintlich oder tatsächlich geraubtem Kulturgut leiden müssen.

Der neue Minister für Kultur und Tourismus Ömer Çelik sähe es wohl wie seine Vorgänger am liebsten, wenn auch Troja ein derart imposanter Fremdenverkehrsort würde wie etwa das rund 250 Kilometer Luftlinie weiter südlich gelegene Ephesos, wo seit 1895 Forscher des Österreichischen Archäologischen Instituts arbeiten. Die antike Stadt verzeichnet jährlich rund zwei Millionen Besucher aus aller Welt. Damit ist sie nach Istanbul der zweitgrößte Touristenmagnet in der Türkei. Allerdings erwartet die Reisenden mit Ephesos eine Metropole des Römischen Reichs, in Troja hingegen geht es den Forschern hauptsächlich um jene bronzezeitliche Stadt (Troja VI und VII), in der sie die Stadt aus Homers Ilias erkannt zu haben glauben. "Um zu den bronzezeitlichen Schichten zu gelangen, mussten wir uns durch die griechischen und römischen, die uns nur am Rande interessieren, durchgraben", gibt Pernicka unumwunden zu. Die rund 500 000 Besucher im Jahr, so Pernicka, hätten sich dennoch nicht über die Art der Präsentation Trojas beschwert.

Langsame Deutsche

Auch wenn die deutschen Forscher nun nicht mehr die Ausgrabungen leiten, bleibt die Verbindung zu Tübingen bestehen. Die Nachfolge Pernickas wird höchstwahrscheinlich der türkische Vor- und Frühgeschichtler Rüstem Aslan antreten, der 2006 an der Universität Tübingen promovierte und zudem seit Jahren an den wissenschaftlichen Arbeiten in Troja beteiligt ist. Auch in seinem angekündigten Team von bis zu 100 Mitarbeitern aus acht Ländern werden voraussichtlich einige Tübinger Platz finden. Noch hat Aslan die Grabungslizenz freilich nicht in der Tasche. Doch alles deutet darauf hin, dass sein Antrag wohlwollend aufgenommen wird. Immerhin besuchte der Ende vergangener Woche abberufene Kulturminister Ertugrul Günay noch persönlich den Archäologen an der Universität Çanakkale, an der dieser lehrt, um sich die Planungen präsentieren zu lassen. Der Minister zeigte sich höchst zufrieden. Aslan hatte seine Eingabe offenbar den Wünschen des türkischen Antikendienstes angepasst. In einer ersten Stellungnahme versicherte er, in Zukunft den Bereichen Präsentation und Rekonstruktion mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Zudem teilte der Archäologe mit: "Unser Arbeitsplan ist bereit, die Finanzierung gesichert. Sollte unserem Antrag stattgegeben werden, werden wir die Arbeiten beschleunigt fortsetzen."

Heinrich Schliemann | Der Mecklenburger Archäologe begründete die lange Tradition deutscher Forscher in Troja.

Beschleunigung scheint überhaupt ein Stichwort zu sein im Troja des Jahres 2013. So verwies auch der Rektor der Universität Çanakkale, Sedat Laçiner, auf die vermeintlich mangelnde Effizienz der deutschen Archäologen: "Seit 150 Jahren graben Ausländer in Troja. Was zu Tage gefördert wurde, steht in keinem Verhältnis zu der Dauer der Arbeiten." Man will offenbar endlich Resultate sehen. Ernst Pernicka widmet sich unterdessen anderem. "Ich war angetreten, das Lebenswerk meines Freunds und Kollegen Manfred Korfmann zu Ende zu führen", sagt der Archäometallurg. Dieses Ziel werde mit der Auswertung seiner Forschungsergebnisse erreicht. Insgesamt sechs Bücher wollen Pernicka und sein Team in den nächsten Jahren zu Troja veröffentlichen, drei davon werden den vorgeschichtlichen Ort behandeln, drei den griechisch-römischen. Die jeweils ersten Bände sollen noch in diesem Jahr erscheinen.

Als er 2006 die Ausgrabungsleitung übernahm, wiederholte Pernicka den Vorschlag seines Vorgängers Korfmann, ein Museum zu errichten, in dem den Besuchern – noch vor dem Gang durch die Stadt selbst – die Geschichte Trojas, die Besonderheiten der archäologischen Arbeit an diesem Ort sowie die Grundlagen der Bronzezeit nahegebracht werden sollten. Ein Architektenwettbewerb für ein entsprechendes Gebäude wurde bereits abgeschossen. Der Baubeginn ist für dieses Jahr geplant.

Der 2005 verstorbene Korfmann stand auch im Mittelpunkt des eingangs erwähnten Althistorikerstreits um Troja, der ab 2001 erbittert und oft beleidigend um die Frage nach der tatsächlichen Größe und Macht der bronzezeitlichen Stadt kreiste. Vor allem der ebenfalls in Tübingen lehrende Althistoriker Frank Kolb warf seinem Kollegen vor, unredlich zu arbeiten und die Bedeutung Trojas aufzubauschen. Mit Korfmanns Tod kam die Debatte zwar weit gehend zum Erliegen, im Stillen schwelt die Kontroverse aber auch heute noch weiter.

Pernicka ist sich indes sicher, die Thesen seines Vorgängers zu Troja beweisen zu können: "Die Unterstadt, die außerhalb der eigentlichen Burgmauern lag, hatte schon vor rund 3300 Jahren in der Bronzezeit einige tausend Einwohner." Darauf lasse ihre Ausdehnung schließen, womit auch ein eindeutiger Hinweis vorliege, dass die Stadt damals ein regionales Zentrum war. Es gäbe zudem genügend Indizien, dass es sich dabei um jenes Troja handelt, das Homer in seiner Dichtung besang.

Allerdings gelang es den Forschern bisher nicht, den Nekropole genannten Friedhof der Stadt zu finden. Dieser wäre aber ein wichtiger Beweis für die tatsächliche Bevölkerungsdichte vor über drei Jahrtausenden – wo mehr Menschen leben, werden mehr bestattet. Auch nach dieser Totenstadt wird der vermutliche neue Ausgrabungsleiter Rüstem Aslan in Zukunft wohl beschleunigt suchen müssen. Sein Vorgänger Pernicka bleibt auf der Spur des Zinns.

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