News: Auslöschen oder nicht auslöschen?
Das gesamte Genom des für Menschen tödlichen Variolapockenvirus und eines zweiten Virusstammes ist bekannt, von fünf weiteren Stämmen sind große Teile der Erbsubstanz sequenziert. Die beiden oben genannten Institute in den USA und Rußland arbeiten zusammen an der Entschlüsselung der DNA eines anderen Pockenvirus. Außerdem sollen nach dem Plan der WHO in verschiedenen Hochsicherheitslabors Stücke der Pocken-DNA als Bestandteil kleiner DNA-Ringe – sogenannter Plasmide – aufbewahrt werden. Mit der Vernichtung der letzten Virenbestände wäre deren genetische Information somit nicht verloren. Aber Wolfgang Joklik von der Duke University meint: "Um die Pathogenese der Pocken zu studieren, ist ein komplettes Virus notwendig, nicht nur Plasmidclone und die Sequenz."
Die wissenschaftlichen Gegner der geplanten Ausrottung warnen auch vor möglichen neuen Epidemien. Sie verweisen darauf, daß durchaus noch Viren in Laboratorien gelagert sein könnten, von denen die WHO nichts weiß. Außerdem befürchten sie, daß die Pocken in Rußland wieder ausbrechen könnten, wenn Erreger von Leichen überspringen, die im Dauerfrostboden begraben wurden. Und schließlich könnte im Prinzip ein Affenpockenvirus seinen Wirt wechseln. Die aktuellen Impfstoffe haben mitunter schwere Nebenwirkungen. Daher müsse an neuen Mitteln geforscht werden.
Dem halten Befürworter entgegen, daß die Szenarien allesamt recht unwahrscheinlich sind. Für den Fall der Fälle hält die WHO aber stets 500 000 Impfdosen bereit und kann bei Bedarf innerhalb von Wochen weitere produzieren. Sie sehen die große Gefahr vor allem in der nicht garantierbaren politischen Stabilität, vor allem Rußlands. Nach Frank Fenner von der WHO würden "viele Länder sich viel sicherer fühlen, wenn da nicht diese etwa 600 Virenstämme in den Tiefkühlbehältern wären".
Am 21. Mai 1999 beschlossen die Vertreter der 191 Mitgliedsstaaten der WHO in Genf, die Vernichtung der Pockenviren um weitere drei Jahre aufzuschieben. Während dieses Zeitraums soll durch die WHO kontrollierte Forschung zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken erlaubt sein. Ob im Jahre 2002 wirklich die letzten Viren zerstört werden, wird sich wohl erst dann herausstellen.
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