News: Aussagefähigkeit internationaler Arbeitskostenvergleiche
Die wachsende Globalisierung der Wirtschaft und die ungünstige Entwicklung am Arbeitsmarkt haben im Laufe der neunziger Jahren die Diskussion über Höhe und Bedeutung der Arbeitskosten für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wie auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland neu entfacht. Jede Seite konnte dabei zur Untermauerung ihrer Position auf empirische Studien mit zum Teil unterschiedlichen Ergebnissen verweisen, was nicht nur in der Öffentlichkeit für Verwirrung sorgte. Jetzt soll eine weitere Untersuchung Klarheit schaffen: Ein neues Gutachten, das die Aussagefähigkeit der bisherigen Studien vergleicht.
Das HWWA – Institut für Wirtschaftsforschung – Hamburg erhielt vom Bundesministerium für Wirtschaft Mitte 1996 den Auftrag, ein Gutachten über die Aussagefähigkeit internationaler Arbeitskostenvergleiche anzufertigen. Es sollten zum einen die methodischen Grundlagen internationaler Arbeitskostenvergleiche herausgearbeitet und geeignete Indikatoren entwickelt werden, zum anderen anhand der abgeleiteten Kriterien die vorliegenden Untersuchungen zu diesem Themenkreis analysiert und das vorhandene statistische Material ausgewertet werden. Das Gutachten wurde am 10. September in Hamburg der Presse durch Vertreter des HWWA vorgestellt.
Bei internationalen Arbeitskostenvergleichen ergeben sich eine Reihe methodischer Probleme, die bei der Interpretation der Ergebnisse zu beachten sind. So wird schon der Begriff Arbeitskosten nicht einheitlich verwendet. Zum Teil werden darunter lediglich die Löhne je Stunde bzw. pro Kopf verstanden, zum Teil die Lohnstückkosten, die neben den Arbeitskosten auch die Produktivität einbeziehen; zwischen beiden bestehen Interdependenzen. Abgrenzungsunterschiede gibt es auch bei den Komponenten der Arbeitskosten, speziell bei den Lohnnebenkosten. Sofern Arbeitskosten auf einheitlicher Währungsbasis ausgewiesen werden, spiegeln sie nicht allein Kosten-, sondern auch Wechselkurseinflüsse wider. Letztere haben bisweilen ein größeres Gewicht als die Entwicklung der Arbeitskosten in heimischer Währung.
Probleme ergeben sich auch daraus, daß internationale Arbeitskostenvergleiche für unterschiedliche Fragestellungen verwendet werden, und daß je nach Fragestellung die Art des Vorgehens wie auch die heranzuziehenden Arbeitskostenindikatoren differieren können. So sind z.B. zur Untersuchung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Gütern andere Indikatoren heranziehen als zur Beurteilung der Lohnpolitik.
Die HWWA-Studie kommt – wie andere Arbeitskostenvergleiche auch – zu dem Ergebnis, daß Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Arbeitskosten je Stunde gehört. Dem steht aber eine im internationalen Vergleich hohe Produktivität gegenüber, so daß das Gefälle bei den Lohnstückkosten erheblich geringer ist; wegen der Probleme bei der Messung der Produktivität läßt es sich jedoch nur schwer quantifizieren. Die Untersuchungen zeigen, daß sich die Position Deutschlands im internationalen Vergleich in der ersten Hälfte der neunziger Jahre selbst bei den Lohnstückkosten spürbar verschlechtert hatte. Da sich überdies die D-Mark in dieser Zeit beträchtlich aufwertete, zeichnen die Arbeitskostenindikatoren auf einheitlicher Währungsbasis (z.B. in DM) ein noch deutlich ungünstigeres Bild als auf der Basis der jeweiligen Landeswährungen. Nach rationalisierungsbedingten kräftigen Produktivitätssteigerungen, einer moderaten Lohnentwicklung und der Korrektur der Währungsrelationen sind die in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts erlittenen Einbußen an internationaler Wettbewerbsfähigkeit in den letzten Jahren aber wieder weitgehend kompensiert worden.
Die Struktur der Arbeitskosten, d.h. die Relation von Direktlohn zu Lohnnebenkosten, ist von Land zu Land unterschiedlich, vor allem wegen unterschiedlicher Sozialversicherungssysteme. Hohe Löhne bedeuten ebenso wie hohe Lohnzusatzkostenquoten nicht automatisch hohe Arbeitskosten. Der Kostennachteil Deutschlands liegt in der Kumulation von hohen Löhnen und hohen Lohnzusatzkosten.
Die niedrigen Arbeitskosten in den mittel- und osteuropäischen Ländern sind für diese nur bedingt ein Wettbewerbsvorteil. Denn sie gehen zumeist mit einer geringeren Produktivität einher, so daß die Unterschiede bei den Lohnstückkosten nicht so groß sind wie bei den Arbeitskosten. Zudem weisen diese Länder vielfach bei anderen Standortfaktoren ungünstigere Bedingungen auf, die die niedrigen Arbeitskosten aufwiegen. Schließlich spielt auch der Wechselkurs eine erhebliche Rolle. Ähnliches gilt im Prinzip auch für die süstostasiatischen Schwellenländer, deren internationale Wettbewerbsfähigkeit sich in den letzten zwölf Monaten als Folge der Finanzkrise in Asien und des damit einhergehenden Währungsverfalls spürbar verbessert hat.
Ökonometrische Untersuchungen im Rahmen der HWWA-Studie zeigen, daß die Unterschiede in der Beschäftigungsentwicklung zwischen wichtigen Industrieländern teilweise durch Unterschiede in der Lohnentwicklung erklärt werden können. Die geänderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit erfordern vom Faktor Arbeit in diesem Jahrzehnt ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsbereitschaft. Gefordert ist aber nicht nur die Lohnpolitik, sondern auch die Wirtschaftspolitik. Sie muß die von ihr "verursachten" Lohnnebenkosten zurückführen, die in den neunziger Jahren über weite Strecken stärker stiegen als die tariflich bedingten Lohnkosten.
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