Direkt zum Inhalt

News: Außer Kontrolle geraten

Die einzelnen Erbanlagen, die verschlüsselt in unserem Bauplan vorliegen, diktieren der Zelle, welche Substanzen sie herstellen soll. Verändert sich die molekulare Architektur der DNA nur geringfügig, wirkt sich dies oftmals folgenschwer aus - so auch bei Personen mit Neurofibromatose des Typs I, die mitunter Lernstörungen zeigen. Schuld daran ist offenbar das modifizierte Genprodukt Neurofibromin, welches das Signalprotein Ras nicht länger in Schach zu halten vermag.
Neben hellbraunen, so genannten Café-au-lait-Flecken auf der Haut und bösartigen Geschwüren (Neurofibromen) zeigen Menschen, die an Neurofibromatose des Typs I (NF1) erkrankt sind, oftmals auch Lern-, Leistungs- und Verhaltensstörungen. All diese Symptome treten infolge einer unscheinbaren Veränderung eines Tumorsuppressorgens auf, das auf dem Chromosom 17 beheimatet ist. Diese Erbanlage enthält die Bauanleitung für das Protein Neurofibromin, das die Aktivität des Signalmoleküls Ras penibel überwacht. Das intakte Protein erfüllt seine Kontrollfunktion gewöhnlich gewissenhaft – nicht jedoch das defekte von NF1-Patienten: Es unterzieht Ras keiner genauen Überprüfung, so dass dieses nunmehr Signale im Überfluss verursacht.

Bisher machten Forscher für die mit NF1 verbundenen kognitiven Schwächen eine anormale Gehirnentwicklung verantwortlich. Doch jetzt kamen Alcino Silva und seine Kollegen von der University of California in Los Angeles vermutlich der wahren Ursache auf die Spur. Um die mögliche Rolle des Signalproteins Ras in diesem Prozess näher zu beleuchten, kreuzten sie Mäuse mit verschiedenen Veränderungen in der Erbsubstanz: Während die einen Nager eine Genmodifikation aufwiesen, welche die typischen NF1-Symptome hervorruft, drosselte bei ihren Artgenossen eine andere Mutation (K-ras) die Aktivität von Ras. Der Nachwuchs jener Versuchstiere musste den Test des Wasserlabyrinths bestehen, ein häufig angewendetes Experiment, das Aufschluss über das Raumgedächtnis der Probanden gibt.

Und die Ergebnisse fielen eindeutig aus: Alle Mäuse mit einer NF1- oder K-ras-Mutation zeigten eine deutlich beeinträchtigte Leistung im Wasserbecken. Hingegen schnitten Nager, die beide Genveränderungen in ihrem Bauplan vereinten, wesentlich besser ab – sogar ähnlich gut wie die gesunden Kontrolltiere. Offensichtlich kommt dem Protein Ras im Lernprozess eine bedeutende Funktion zu: Kann es bei NF1-Tieren ungehindert Signale aussenden, so wirkt sich dies negativ auf deren Raumgedächtnis aus.

In einem weiteren Schritt verabreichten die Forscher den NF1-Mäusen eine Substanz, die Ras an der Signalübermittlung hindert. Und siehe da, das Lernverhalten jener Nager verbesserte sich. Die Wissenschaftler deckten sogar den vermutlichen Mechanismus auf, der zu der Lernstörung führt. Wie Experimente ergaben, erhöht die ungebremste Ras-Aktivität Nervensignale, die ihrerseits die Formbarkeit von Synapsen – den Schaltstellen zwischen Neuronen – hemmen. Doch gerade diese aktivitätsabhängigen synaptischen Veränderungen sind die Grundlage für Lernprozesse im Gehirn, spekulieren Wissenschaftler.

Allerdings löst nicht nur eine maßlose, sondern auch eine eingeschränkte Signalgebung von Ras Lernschwächen aus, wie die K-ras-Mäuse beweisen: Ihr Lernverhalten war ja ähnlich beeinträchtigt wie das der NF1-Tiere, deren Ras überaktiv war. Demnach kommt es offenbar auf die richtige Menge der Molekülaktivität an – sowohl ein zuviel als auch ein zuwenig ist schädlich für das Lernen. "Es ist vergleichbar mit einer zu starken Beschleunigung oder einer unzureichenden Bremsung – beides ist schlecht", betont Silva.

Angesichts der neuen Erkenntnisse können Menschen mit NF1-bedingten Lernproblemen möglicherweise demnächst auf eine Linderung ihrer Symptome hoffen. Momentan werden bereits die ersten klinischen Versuche mit dem Medikament durchgeführt, welches bei Mäusen der Lernschwäche entgegenwirkte. Ziel der Wissenschaftler ist es herauszufinden, ob die Substanz eventuell auch die Zahl von Tumoren bei NF1-Patienten zu reduzieren vermag.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.